Schutzrechte 6: Gebrauchsmuster in der Praxis

Seit 125 Jahren haben Gebrauchsmuster neben dem Patent ihren festen Platz im Mosaik der gewerblichen Schutzrechte. Während die Hintergründe der Entstehung und Entwicklung des Gebrauchsmusters bereits beleuchtet wurden, soll es nun um die gerade im internationalen Vergleich einzigartigen Vorteile des deutschen Gebrauchsmustersystems gehen.

Die strategischen Optionen, die sich aufgrund dieser Vorteile für den Schutzrechtsinhaber ergeben, erfahren in der Praxis häufig noch nicht die gebotene Aufmerksamkeit.

Ein rechtsbeständiges Gebrauchsmuster zu erhalten ist, ungeachtet des fehlenden Prüfungsverfahrens, in einigen Aspekten immer noch einfacher als beim Patent, wenn auch inzwischen die Anforderungen an den erfinderischen Schritt ebenso hoch wie an die erfinderische Tätigkeit beim Patent sind. Neben schriftlicher Dokumentation zählen nur inländische Vorbenutzungshandlungen zum Stand der Technik, stünden also einem wirksamen Gebrauchsmuster entgegen. Dies stellt in der Praxis einen Vorteil für global tätige Anmelder dar, die mit weltweiten Niederlassungen operieren. Nach unerwarteten Vorbenutzungshandlungen durch ausländische Konzerngesellschaften bietet das deutsche Gebrauchsmuster dann die einzig verbleibende Rückfallposition.

Unterschiede zum Patent

Den wohl bedeutendsten Unterschied zum Patent stellt aber die Neuheitsschonfrist dar. Danach bleibt eine sechs Monate vor dem Zeitrang des Gebrauchsmusters erfolgte Beschreibung oder inländische Benutzung der Erfindung außer Betracht, sofern sie vom Anmelder oder seinem Rechtsvorgänger veröffentlicht wurde oder die Veröffentlichung auf seiner Tätigkeit beruht.

Weiterhin eröffnen die sich aus der Möglichkeit einer Abzweigung ergebenden Chancen – insbesondere der maßgeschneiderten, parallelen oder sukzessiven Vervielfältigung der Rechtspositionen – dem Schutzrechtsinhaber interessante Optionen bei der Rechtsdurchsetzung. Dem Anmelder steht es frei, dieselbe Erfindung sowohl durch ein deutsches (oder europäisches) Patent als auch durch ein oder mehrere deutsche Gebrauchsmuster zu schützen.

Die Möglichkeit, ein paralleles Schutzrecht zu erlangen, besteht dabei nicht nur während der zwölfmonatigen Prioritätsfrist, sondern auch noch danach. Die Abzweigung eines Gebrauchsmusters aus einer Patentanmeldung mit Wirkung für Deutschland kann vorgenommen werden, solange diese als Anmeldung anhängig ist.

Vorzüge einer Abzweigung

Durch das Abzweigungsrecht kann der Anmelder das zeitintensive Prüfungsverfahren einer Patentanmeldung, während der sich keinerlei Verbotswirkung gegen Nachahmer entfaltet, überbrücken und kurzfristig ein zusätzliches, voll belastbares Schutzrecht erlangen. In der Praxis bietet es sich deshalb an, von der Abzweigung Gebrauch zu machen, wenn ein Verletzungsprodukt am Markt erscheint, das dann sogar mit maßgeschneiderten Schutzansprüchen eines speziell für diesen Zweck aus der zugrunde liegenden Patentanmeldung abgezweigten Gebrauchsmusters angegriffen werden kann.

Jedes Gebrauchsmuster ist ein einheitlicher und gesonderter Streitgegenstand, sodass damit eine Kumulation von Risiken für den potenziellen Verletzer einhergeht, weil dessen Verteidigung nur dann erfolgreich, wenn es gelingt, sämtliche Angriffe des Schutzrechtsinhabers abzuwehren. Gelingt es dem Schutzrechtsinhaber, eine Verletzung mehrerer paralleler Gebrauchsmuster und/oder Patente zu begründen, löst jedes verletzte Recht im Grundsatz eigenständige Schadensersatzansprüche aus.

Durch das Institut der Abzweigung erhält der Schutzrechtsinhaber zudem die Option einer zweiten Chance neben dem Patent. Dies gilt gerade dann, wenn er im Patenterteilungsverfahren vom Patentprüfer erzwungene Einschränkungen hinnehmen musste, die nach Einschätzung des Patentinhabers jedoch nicht zutreffend sind. In diesen Fällen steht es dem Patentinhaber frei, ein Gebrauchsmuster mit breiteren Ansprüchen abzuzweigen.

Autor: Hans-Peter Gottfried (Patentanwalt, Dresden)