Branchentalk: In Zukunft nur noch kreislauffähig

Zum Jahresausklang präsentieren wir noch einmal unsere meistgeklickten Artikel des Jahres 2021. Platz 3: Der Branchentalk über Kreislaufwirtschaft


Kunststoff hat gerade bei Verbrauchern nicht den besten Ruf. Andere Stimmen halten ihn dagegen für einen nachhaltigen Werkstoff mit Zukunft – wenn er denn richtig eingesetzt wird. In der dritten Runde unseres packaging journal TV Live Talk haben wir einen Blick auf aktuelle Entwicklungen und die Zukunft von Kunststoff in der Verpackung, Kreislaufwirtschaft und Recycling geworfen.

In der aktuellen Folge unseres Branchentalks waren sich die Leiterin des Instituts für Biokunststoffe und Bioverbundstoffe der Hochschule Hannover, Andrea Siebert-Raths, der Kreislaufwirtschaftsexperte vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Henning Wilts, und Alpla-Chef Philipp Lehner einig: Die positiven Eigenschaften von Kunststoff werden zu oft vergessen.

Philipp Lehner weiß, wovon er spricht: Sein Unternehmen Alpla, das er seit Januar in dritter Generation führt, entwickelt und produziert mit rund 21.000 Beschäftigten in 178 Produktionswerken weltweit Kunststoffverpackungen und betreibt zudem eigene Recyclingwerke für das PET-Recycling. „Kunststoff hat sehr viele Facetten. Die Festigkeit ist eine wichtige Eigenschaft, die gute Formbarkeit interessiert unsere Kunden speziell im Marketingbereich – und nicht zu vergessen: die Kosteneffizienz.“ Um die positiven Seiten von Kunststoff hervorzuheben, beteiligt sich Alpla proaktiv an der öffentlich geführten Diskussion über Nachhaltigkeit und den Umgang mit Recyclingmaterialien. „Wir wollen die Diskussion über den Umgang mit Verpackungsmaterialien nach deren Gebrauch zielgerichtet leiten.“ Eine Welt ohne Kunststoffe sei schwer vorstellbar.

Philipp Lehner, CEO Alpla

(Bild: ALPLA Group)

„Die leichte Struktur des Kunststoffs und sein CO2-Vorteil gegenüber anderen konventionellen Verpackungsmaterialien wird ihn in Zukunft noch wichtiger machen. Wenn wir das Thema CO2 gesamtheitlich weltweit lösen wollen, ist Kunststoff einfach nicht wegzudenken.  Aber der Lebensstandard steigt, immer mehr Menschen wollen konsumieren. In der Folge wachsen die  Müllberge. Hier ist die Kreislaufwirtschaft sicher einer der Wege, wie man das Problem in den Griff bekommen könnte. Kunststoff eignet sich dafür durchaus, wenn er recycelt und über mehrere Zyklen verarbeitet wird.“ Philipp Lehner, CEO Alpla

Recyceln statt kompostieren

Viele sehen in Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen eine Zukunft. Am Institut für Biokunststoffe und Bioverbundstoffe der Hochschule Hannover (IfBB) forschen Wissenschaftler nicht nur an neuen Materialien und deren Nachhaltigkeit, dort werden auch Produkte aus Biokunststoff produziert. Prof. Dr.-Ing. Andrea Siebert-Raths leitet das Institut und muss häufig erst einmal erklären, was sich hinter dem Begriff „Biokunststoff“ verbirgt. „Es gibt hier oft Verwirrung, denn eine echte Definition gibt es nicht. Wir unterteilen Biokunststoffe in zwei Kategorien und reden über abbaubare und nichtabbaubare Materialien. Die Rohstoffbasis für die abbaubaren Kunststoffe ist entweder biobasiert, also aus nachwachsenden Rohstoffen, oder petrochemisch basiert und damit aus Erdöl.“

Die Auseinandersetzung mit alternativen Werkstoffen sei wichtig. „Wir teilen die Ansicht, dass Kunststoff ein hervorragender Werkstoff ist, uneingeschränkt, sehen aber auch, dass man herkömmliches Plastik durchaus substituieren kann. Die Erdölvorräte sind endlich, und deshalb sehen wir uns nach Alternativen um.“ Werkstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen müssen aber die gleichen Anforderungen erfüllen wie konventionelle Kunststoffe und sollten sich vor allem auch in die Kreislaufwirtschaft eingliedern.

Andrea Siebert-Raths IfBB

(Bild: China Hopson)

„Es reicht nicht, Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen zu produzieren, die dann biologisch abbaubar oder kompostierbar sind. Das widerspricht dem Kreislaufgedanken, den wir am Institut sehr offensiv vertreten. Wir müssen dafür sorgen, dass Kunststoffe auch recyclingfähig sind. Das gilt nicht nur für die Biokunststoffe, sondern für alle Kunststoffe. Hier stehen wir nicht in Konkurrenz zueinander. Wir sehen Kunststoffe generell als Wertstoffe, die es zu erhalten gilt.“ Prof. Dr.-Ing. Andrea Siebert-Raths, Leiterin des Instituts für Biokunststoffe und Bioverbundstoffe der Hochschule Hannover

Das IfBB hat gerade in einem gemeinsamen Projekt mit dem Start-up Crafting Future eine Mehrwegschale für die Außerhausgastronomie designt, das Material ausgesucht, die Werkzeuge für die Produktion gebaut und die Schalen auf den Markt gebracht. „Momentan sind sie noch petrochemisch basiert, denn im ersten Schritt steigen wir erst einmal von Einweg auf Mehrweg um. Im nächsten Schritt geht es dann darum, diese Schalen auch aus nachwachsenden Rohstoffen zu produzieren. Dabei haben wir immer die Kreislauffähigkeit im Blick, denn es geht um den gesamten Lebenszyklus. Mit dem Projekt wollen wir Kunststoffe, ob nun biobasiert oder aus Rezyklat, salonfähiger machen, denn für den Recyclingbereich gilt es, noch Hürden abzubauen.“

Rebowl von Recup

Im Auftrag von Recup, dem größten deutschen Pfandsystem für To-Go, haben Crafting Future und das IfBB eine Mehrwegschale für Take-Away-Speisen entwickelt. (Bild: Recup)

Kunststoffe sinnvoll nutzen

Die Europäische Union und Deutschland haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: die Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft, in der Müll so weit wie möglich vermieden, Produkte und Komponenten möglichst lange genutzt und Abfälle als potenzielle Ressource betrachtet werden. Die damit verbundenen Herausforderungen und Fragestellungen sind der Ausgangspunkt für die Forschung der Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut.

„Zum Thema Kreislaufwirtschaft gibt es sehr viel Informationsbedarf auch vonseiten der Industrie. Viele Unternehmen sind gewillt, etwas zu verbessern, wissen aber nicht, wo sie anfangen sollen“, sagt Dr. Henning Wilts, Leiter der Abteilung  Kreislaufwirtschaft. Er erforscht mit seinem Team u. a. systemische Lösungen der Verpackungsvermeidung.

Henning Wilts, wuppertal institut

(Bild: Wuppertal Institut)

„In Deutschland sehen wir speziell bei den Kunststoffabfällen im Verpackungsbereich eine Verdopplung in den letzten 20 Jahren. Das ist klar ein Trend, der so nicht weitergehen darf. Ja, Plastic is fantastic, wenn wir über Potenziale reden. Wir sind nicht morgen nachhaltiger, wenn wir den Kunststoff abschaffen. Aber die Frage ist, wie nutzen wir ihn sinnvoll? Alle unsere Simulationen deuten auf einen weiteren Anstieg im Ressourcenverbrauch und damit weiter ansteigende Plastikabfälle hin. Es hilft daher nicht, nur einzelne Produktionsprozesse zu optimieren, sondern wir brauchen wirklich systemische Lösungen, ganz neue Materialien und Mehrweglösungen. Da haben wir in den letzten Jahren zu viel an den kleinen Stellschrauben gedreht und müssten jetzt das Gesamtsystem in den Blick nehmen.“ Dr. Henning Wilts, Leiter der Abteilung  Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut

Ein Lichtblick: Verpackungshersteller würden gerade beginnen, sich untereinander viel mehr zu vernetzen. Das sei wichtig, denn: „Für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft brauchen wir Produkte, die von vornhinein auf Recyclingfähigkeit ausgerichtet sind. Und das schafft kein Unternehmen alleine, sondern nur in kooperativen Strukturen.“

Alternativen in die Kreislaufwirtschaft einbeziehen

Biokunststoffe haben bislang nur einen kleinen Anteil am Markt, allerdings mit guten Wachstumsraten. „Wir müssen uns darum kümmern, wie Biokunststoffe ebenfalls in die Kreislaufwirtschaft integriert werden können“, sagt Andrea Siebert-Raths. „Wenn die Kapazitäten auf dem Markt aber gering sind, lohnt es sich nicht, über große Anlagen nachzudenken. Die Recyclingfähigkeit ist da, etwa bei PLA, und auch die Detektierung in den Sortieranlagen funktioniert. Die Nachfrage ist ebenfalls da, aber die Erhöhung der Produktionskapazitäten dauert, denn das ist immer mit Investitionen verbunden. Trotzdem sollten wir uns mit Alternativen auseinandersetzen, auch um uns unabhängiger vom Erdöl zu machen. Wenn man schaut, wo Erdöl gefördert wird und wie die politischen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern sind, ist es durchaus sinnvoll, Technologie und Rohstoffe im eigenen Land zu haben.“

Auch die Art der nachwachsenden Rohstoffe sei zu bedenken, damit sie nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion stehen. „Da spielen Reststoffe eine Rolle, aus denen Biowerkstoffe auch hergestellt werden können.“ Am IfBB gehe man daher verschiedene Wege, um neue Möglichkeiten aufzuzeigen. „Da haben wir für die Biokunststoffe noch einiges auf der To-do-Liste.“

Schwarze Schafe erkennen

Mehr Aufklärung wünschen sich alle Gesprächspartner – über die Bedeutung von Kreislaufwirtschaft, die nötigen Voraussetzungen und darüber, was dies für konkrete Produkte bedeutet. Henning Wilts: „Die Akteure wissen, dass Veränderungsbedarf besteht, es gibt Forderungen sowohl von der Europäischen Kommission als auch von den Verbrauchern. Ich wünsche mir, dass man tatsächlich klar erkennen kann, wer jetzt wirklich engagiert ist und sich echte Ziele gesetzt hat und wer eigentlich nur Greenwashing betreibt und im Strom mitschwimmt. Nur dann hat der Verbraucher eine Chance, echte Anstrengungen durch seine Konsumentscheidungen auch zu belohnen.“

Blue Circle Alpla

Nachhaltige Kaffeekapseln waren das erste Produkt aus dem Blue Circle-Sortiment. (Bild: Alpla)

Andrea Siebert-Raths fügt hinzu: „Wenn wir Kreislaufwirtschaft wollen, müssen wir dem Verbraucher klarmachen, was Kunststoffe, auch Biokunststoffe, leisten können. Da sind wir wieder bei der Kommunikation. Im Supermarkt fällt eine Kaufentscheidung ja oft nicht nur wegen des Produkts, sondern auch wegen einer nachhaltigen Verpackung. Wir entwickeln dafür gerade eine App, die Verbrauchern im Supermarkt helfen soll, nachhaltige Kaufentscheidungen zu treffen.“

Aufklärung und Information rund um das Thema Kreislaufwirtschaft gibt es auch bei Alpla. Philipp Lehner: „Verpackung zukunftsfähig zu denken und zu entwickeln, ist im Moment einer unserer größten Services für Kunden weltweit. Wir haben seit vier Jahren ein Design-for-Recycling-Programm. Hier geben wir auch Wissen zum Thema Kreislaufwirtschaft weiter. Und die Nachfrage nach Workshops und Beratungseinheiten steigt, weil die Brandowner sich Gedanken machen müssen, wie sie sich im Markt positionieren.“

Auf politischer Ebene in Europa wachse die Einsicht, dass das Thema Kreislaufwirtschaft auch Industriepolitik ist. „Da fragt man, wie wir Rohstoffe aus heimischen Quellen und aus Abfallstoffen sichern und damit global zum Vorreiter werden können. Wie können wir erreichen, dass Wertschöpfung tatsächlich wieder in Europa stattfindet? Auch die EU-Kommission will eine Kunststoff-Kreislaufwirtschaft in Europa“, sagt Henning Wilts.

Einsatz muss belohnt werden

In Deutschland gehe es zudem um die Frage, wie Entgelte als Anreiz genutzt werden können, um Verpackungen in sinnvollen Kreisläufen zu führen. Nach Paragraf 21 des Verpackungsgesetzes müssen duale Systeme ihren Kunden Vorteile gewähren, wenn sie recyclingfähige Verpackungen zum Einsatz bringen. Wilts: „Das Gleiche wird auf europäischer Ebene kommen. Damit kann Abfallvermeidung und der sinnvolle Einsatz von Verpackungen zum Geschäftsmodell werden. Wir müssen es allerdings schaffen, dass diejenigen, die massiv investieren, wie Alpla, dafür auch belohnt werden. Für mich ist das einer der entscheidenden Punkte in den nächsten Jahren, denn damit geht es um die Frage nach sinnvollen Verpackungen und solchen, die einfach überflüssig sind und vom Markt genommen werden sollten. Davon gibt es ja immer noch genug.“

Es gehe auch um das Konsumentenverhalten und darum, wie Verbraucher einkaufen, meint Andrea Siebert-Raths. „Muss die Haltbarkeit, die eine Kunststoffflasche für Saft bietet, überhaupt so lang sein, oder sind ihre Eigenschaften in Bezug auf das Produkt vielleicht überdimensioniert? Da sollten wir hinterfragen: Braucht man die komplette Performance noch? Sind Multilayer nötig, die das Recycling erschweren, oder funktioniert in vielen Fällen auch eine Einstofflösung?“ Regularien seien hier wichtig, damit Dynamik in den Markt komme. „Die Firmen schauen natürlich auch untereinander, wer macht was, und wie positionieren sich andere auf dem Markt?“

 

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