Glasverpackungen sind bei Kosmetikprodukten sehr beliebt, bergen jedoch ein Restrisiko. Bereits ein einziger Glassplitter im Endprodukt kann die Gesundheit des Verbrauchers ernsthaft gefährden. Hersteller und Abfüller können sich gegen die Gefahr mit einem auf ihre individuellen Anforderungen abgestimmten Röntgeninspektionssystem schützen.
Röntgeninspektionssysteme sind heute das Mittel der Wahl, um Glas-in-Glas-Verunreinigungen zu erkennen. Aber nicht jedes System ist für jede Anwendung gleich gut geeignet. Rainer Mundt, Head of Marketing bei Mettler-Toledo Produktinspektion Deutschland, erläutert, worauf es vor einer Investitionsentscheidung zu achten gilt.
packaging journal (pj): Recycelbar, geruchs- und geschmacksneutral, positives Image, vielseitig gestaltbar, dazu vergleichsweise kostengünstig und umweltfreundlich – die Vorteile, mit denen Glasverpackungen punkten, sind gemeinhin bekannt. Herr Mundt, wie sehen Sie das Verpackungsmaterial Glas aus der Perspektive des Produktinspektionsspezialisten?
Rainer Mundt Ich kann bei der Verwendung von Glasverpackungen nur warnen, das Risiko einer möglichen Glas-in-Glas-Verunreinigung zu unterschätzen. Transportbandvibrationen, falsch ausgerichtete Abfüllköpfe oder zu fest angezogene Verschlussdeckel sind nur einige der möglichen Ursachen, die zu Glasabsplitterungen führen und damit Chips in das Produkt einbringen können. Kommt es bei Glas als Verpackungsmaterial zu Fehlern, birgt das qua Materialeigenschaften immer ein hohes Gesundheits- und Verletzungsrisiko für den Endverbraucher. Damit verbundene Langfristschäden für Marke und Image ganz außen vor.
pj: Die Röntgeninspektion ist im Vergleich zu anderen Inspektionsverfahren eine sehr anspruchsvolle und aufwendige Technologie …
Rainer Mundt Richtig. Reden wir nicht um den heißen Brei: Röntgeninspektion ist damit auch auf der Preisskala der Inspektionstechnologien im oberen Bereich angesiedelt. Da stellt sich schnell die Frage: Benötige ich das wirklich? Ich denke, die Frage ist schnell beantwortet. Stellen Sie sich vor, Sie gehen nach jahrelangen Vorbereitungen mit Ihrem Kosmetikprodukt mit hohen Erwartungen auf den amerikanischen Markt, und eine Kundin verletzt sich beim Eincremen mit einem Glas-Chip im Gesicht. Hätten Sie Lust auf die Schlagzeilen und den Schadenersatzprozess? Aus technischer Perspektive ist die Glas-in-Glas-Erkennung die Königsdisziplin in der Fremdkörpererkennung, da Verpackung und Fremdkörper in Material und Dichte identisch sind.
pj: Gibt es neben den identischen Materialeigenschaften von Verpackung und Fremdkörper weitere Herausforderungen, die das Erkennen von Glas-in-Glas-Kontaminationen erschweren?
Rainer Mundt Formfaktoren wie variierende Außenwandstärken und nach innen gewölbte Bodenkronen können zu sogenannten Blind Spots auf dem Röntgenbild führen, die den Glasfremdkörper überlagern. Verunreinigungen im Glas selbst, etwa durch metallische Einschlüsse im Zuge des Herstellungsprozesses, können wiederum die Röntgenabsorption und Erkennungsempfindlichkeit beeinträchtigen. Prägungen, Glasschraubengewinde und variierende Stärken der Glasdicke machen gerade die Inspektion des Deckel- und Schulterbereichs der Glasgefäße sehr anspruchsvoll. Umgekehrt ist die Viskosität des Produkts ein wertvoller Indikator, wo Fremdkörper sich mit höherer Wahrscheinlichkeit ablagern. Kaltabfüllungen eines halbfesten oder zähflüssigen Produkts können diese in der Schwebe halten. Bei Heißabfüllungen mit niedrigerer Viskosität bewegen sich die Fremdkörper eher in Richtung Gefäßboden, bei Flüssigkeiten befinden sie sich sehr wahrscheinlich ausschließlich dort. Es macht also einen Riesenunterschied, ob Sie ein Gesichtswasser, eine Pflegecreme mit hohem Wasseranteil oder eine eher salbenartige Hautcreme inspizieren. Die Viskosität des Produkts muss – ebenso wie Formfaktoren meines Gefäßes – unbedingt in die Applikationsanalyse einfließen, bevor ich mich für eine bestimmte Systemausführung entscheide.
pj: Heißt das, ich muss mich auch mit den technischen Optionen der Röntgeninspektionstechnik auseinandersetzen, um mich vor einer Fehlinvestition zu schützen?
Rainer Mundt Grundsätzlich ja. Die Komplexität der Technik erlaubt keinen One-size-fits-all-Ansatz. Kompetente Beratung ist hier oberstes Gebot. Um hier das Thema grob anzureißen: Vom Prinzip her eignen sich Horizontal-Beam-Systeme am besten für die Glas-in-Glas-Erkennung. Einfache Single-Beam-Systeme entlang der Oberfläche des Transportbandes erzielen dabei eine gute Erkennung im Gefäßinneren, nicht aber in den oft kritischen Bereichen der Bodenkrone, des Gewindes und Deckels. Entscheide ich mich für ein Split-Beam-System, erkenne ich unregelmäßig geformte Glasfragmente im Gefäßinneren leichter.
pj: … aber die Problemzonen sind, wie Sie sagten, ja meist Krone, Deckel und Gewinde …
Rainer Mundt Richtig. Mit einem sogenannten Combination-Beam-System mit horizontalen und einem vertikalen Röntgenstrahl steigere ich die Detektionsleistung am Gefäßboden. Als State of the Art würde ich Angled-Beam-Systeme sehen, die mit einem einzelnen abgewinkelten Röntgenstrahl Gefäßboden und -inneres gleichzeitig durchleuchten. Durch eine Draufsicht auf den Gefäßboden und unteren Gefäßkörper erscheint die Krone flach, zudem verläuft der Röntgenstrahl bündig mit der Gefäßschulter unterhalb des Glasschraubengewindes und Deckels. Damit vermeide ich Blind Spots, habe weniger Bildkomplexität und eine höhere Detektionsleistung sowohl am Gefäßboden und unteren Bereich des Gefäßkörpers als auch im Gefäßinneren. Übrigens kann ich mit solchen Angled-Beam-Systemen auch Produktkonformitätsprüfungen wie Füllstandkontrollen durchführen. Über den Return on Investment entscheiden aber andere Faktoren.
pj: Können Sie dazu die wichtigsten Parameter nennen?
Rainer Mundt Die Kunden haben immer höhere Anforderungen an Bandgeschwindigkeiten und Durchsatzraten. Was die Durchsatzraten angeht, kann eine Multi-Lane-Variante erhebliche Steigerungen bringen. Als noch gewichtiger würde ich das Minimieren von Stand- und Rüstzeiten sowie Vermeiden von Bedienfehlern und Fehlausschleusungen sehen. Wir sprechen heute von Röntgeninspektionssystemen, die kein manuelles Einrichten des Produkts mehr erfordern. Der Bediener lernt das System auf ein neues Produkt an, indem er für dieses den Inspektionsvorgang nur wenige Male ausführt. Das Inspektionssystem erkennt und speichert die Produktmerkmale und passt die erforderliche Stromleistung sowie die Einstellungen der Inspektionstools automatisch an. Damit sind keine zeit- und kostenaufwendigen Bedienerschulungen mehr erforderlich. Gleichzeitig verbessern sich die Geräte- und Linienverfügbarkeit, aber auch die Energieeffizienz dank der für jedes Produkt individuell abgestimmten Kombination aus Leistung und Röntgenkontrast. Noch einen Schritt weitergedacht, bündele ich die Daten der Produktinspektionssysteme in einer Datenmanagement-Software, wie wir sie etwa mit ProdX vermarkten.
pj: Welche Vorteile ziehe ich aus einer solchen Datenbündelung?
Rainer Mundt Damit erreiche ich ein neues Qualitätsniveau, was die Automatisierung und richtlinienkonforme Dokumentation meiner Compliance-Vorgaben betrifft. Ich habe in Echtzeit Zugriff, auch remote, auf die Daten aller Inspektionssysteme und kann über deren Auswertung und Analyse immer wieder inkrementell weitere Verbesserungen in meiner Fertigungslinie anstoßen. Das geht weit über die Glas-in-Glas-Inspektion hinaus. Wir beraten und begleiten unsere Kunden gerne, step by step entsprechende Integrationsprojekte – auch mit Blick auf Industrie 4.0 – voranzubringen.