Was hat ein Banker mit Antrieben zu tun? Und was hat heute die Verpackungstechnik davon? Wie passt das zusammen? Ganz einfach. Ein Mann der Zahlen ist Geburtshelfer für ein Unternehmen, das heute als SEW-Eurodrive zu den internationalen Technologieführern für die Maschinen- und Fabrikautomatisierung zählt und in diesem Jahr einen runden Geburtstag feiert.
Was für ein Start und was für ein Stoff für einen historischen Wirtschaftsthriller. Wir schreiben das Jahr 1931, sind mitten in der Weltwirtschaftskrise. Zwei Jahre werden in Deutschland noch ins Land gehen, bis die Weimarer Republik Geschichte ist. Und in dieser Zeit entsteht in Nordbaden eine Keimzelle für Antriebstechnik und Automation. Am 13. Juni 1931 gründet der Banker Christian Pähr die heutige SEW-Eurodrive GmbH & Co. KG unter dem Namen Süddeutsche Elektromotorenwerke (SEW).
Davor stand ein Konkurs, und zwar der der Albert Obermoser AG. 1927 erhielt der Bankkaufmann von seinem Arbeitgeber, der Rheinischen Creditbank, den Auftrag, die Buchhaltung des in Schieflage geratenen Motorenherstellers in Bruchsal einer Revision zu unterziehen. Das Engagement mündete schließlich in der Position eines Interimsmanagers, konkret in der Rolle des kaufmännischen Direktors.
Die folgenden vier Jahre blieben spannend und fanden schließlich ihr gutes Ende in einem Neuanfang. Christian Pähr gründete aus der Konkursmasse der Pleite gegangenen Obermoser AG heraus ein neues Unternehmen. Im Gepäck hatte der Banker als Pfund für die weitere Entwicklung die Fabrikationsrechte.
Wie gut sich sein Unternehmen letztlich entwickeln sollte, erlebte Christian Pähr nicht mehr. Er verstarb mit 70 Jahren gerade einmal vier Jahre nach dessen Gründung. Die Frauen in der Familie traten die Nachfolge an. Witwe Kunigunde und die gemeinsame Tochter Edeltraut leiteten fortan das junge Unternehmen.
Starker Familienzusammenhalt
Was folgte, ist sehr oft in familiengeführten Unternehmen der Fall: Der Generationswechsel wurde möglich dank einer innigen Partnerschaft und einer Hochzeit. So übernahm der auf der Schwäbischen Alb geborene Ernst Blickle 1945 die Unternehmensleitung von seiner Schwiegermutter. Seitdem ist das Unternehmen untrennbar mit seinem Familiennamen verbunden.
Der ehemalige Offizier hatte bis dato nur wenig Berührungspunkte zum elterlichen Betrieb seiner Frau Edeltraud. Visionärer Unternehmergeist und auch das Glück, dass die SEW von einem verheerenden Luftangriff auf Bruchsal weitgehend verschont blieb, sollten in der Folgezeit jedoch den Grundstein für die florierende Firma legen. Und Ernst Blickle lernte: In Windeseile sammelte er ingenieurstechnische Fachkenntnisse. Was folgte, waren die Jahre des Wirtschaftswunders. SEW wuchs schnell. Zählte eine Schwarz-Weiß-Aufnahme der Belegschaft aus den Gründungsjahren noch 35 Menschen, waren es 1960 bereits 600.
Innerhalb von gerade einmal zehn Jahren steigerte der Antriebshersteller seinen Umsatz von 1,4 Millionen Mark im Jahr 1950 auf 20 Millionen im Jahr 1960. Schon damals war es die enge räumliche Kundennähe mit Vertriebsgebieten zunächst in Deutschland, die den kometenhaften Aufstieg ermöglichte. Die Gründung erster ausländischer Filialen gab dem Ganzen weitere Dynamik. Den Beginn der Internationalisierung markiert 1960 die SEW-Usocome im elsässischen Haguenau.
Und die Technik?
Mit dem heutigen Antriebs- und Automatisierungsportfolio lassen sich die Anfangsjahre der Süddeutschen Elektromotorenwerke nur eingeschränkt vergleichen. Ja, es gab schon die ersten Elektro- und Getriebemotoren. Das Unternehmen stand in seinen Anfängen vor allem für die Elektro-Bandsägen „Milicut“, den Hobler „Simplitt“, die elektrische Kreissäge „Circut“ sowie die Schleifmotoren „Poliglitt“. Ein Produktionsprogramm, das in der Vorkriegszeit zunächst das Know-how der Obermoser AG in der Holzbearbeitung widerspiegelt. Das sollte sich aber durch Ernst Blickle schnell in Richtung eines eigenständigen Antriebsbaukastens ändern.
Baukasten in der Mitte des 20. Jahrhunderts? Ja, genau das ist richtig. Den Baukasten von heute gab es schon gestern, und der bekam in den 1960er-Jahren mit dem Einzug des Marketings als neue unternehmerische Denkhaltung weiteren Drive. Im Mittelpunkt dieser betriebswirtschaftlichen Disziplin stehen die Bedürfnisse des Marktes, gefolgt von der konsequenten Ausrichtung der Unternehmen in Richtung Kunden. Doch wie sind die differenzierten Wünsche an die Antriebstechnik wirtschaftlich beherrschbar? Wie lassen sich Anforderungen aus unterschiedlichen Branchen und Fertigungsprozessen sinnvoll erfüllen? Beide Antworten mündeten bei den Süddeutschen Elektromotorenwerken während der Flower-Power-Zeit in modularen Motor-Getriebe-Kombinationen. Ein leicht und flexibel konfigurierbarer Baukasten trat an die Stelle teurer Sonderlösungen.
Antrieb als Kerngeschäft
1971 hieß es Abschied nehmen vom alten Namen. Aus „Süddeutsche Elektromotorenwerke“ wurde die SEW-Eurodrive. Bei allem Stolz auf die eigenen Wurzeln und der auch heute noch herrschenden Treue zu Bruchsal: Die zunehmende Bedeutung des globalen Marktes machte es unerlässlich, künftig mit einem Namen zu firmieren, der auch international funktioniert. SEW-Eurodrive war geboren; und dies mit zwei klaren Botschaften: „Europa und Drive“ – sowie „der Antrieb als Kerngeschäft“.
Wie die Geschichte weiterging? Zum Beispiel mit neuen Gesellschaften in Süd- und Nordamerika und weiteren Standorten auf anderen Kontinenten. Ernst Blickle baute seine SEW in mehr als vier Jahrzehnten vom kleinen mittelständischen Familienbetrieb zu einem starken Global Player auf. Die Internationalisierung trugen die beiden Söhne Rainer († 2021) und Jürgen konsequent mit und führten sie weiter. 1987 übernahmen sie die Geschäftsführung nach dem Tod des visionären Unternehmenspatriarchen im Jahr zuvor. Die Erfolgsgeschichte des familiengeführten Unternehmens ging damit weiter.
Weg frei in die industrielle Serienfertigung
Die von Ernst Blickle gelebte Strategie erfährt aktuell mit den Geschäftsfeldern Maxolution Machine Automation und Maxolution System Solutions weniger eine Renaissance, als vielmehr die logische Weiterentwicklung des Baukastens in Richtung modularer und bestens vorbereiteter Lösungen für Maschinen, Anlagen oder ganze Fabriken. Sie bietet enorme Vorteile beispielsweise für Verpackungsmaschinen, da gerade hier bestimmte Maschinentypen vorherrschen, die sich sehr gut mit vorbereiteten Hard- und Softwarelösungen bedienen lassen. Was genau dahintersteckt?
Vorbereitete Lösungen für wiederkehrende Aufgaben
Im Jubiläumsjahr des Unternehmens stellt sich aktuell einmal mehr die Frage, warum die Verpackungstechnik wichtige Vorteile von den Maxolution-Lösungen hat. Gerade in dieser Branche gibt es Verarbeitungsaufgaben, die sich prinzipiell betrachtet gleichen. Eine Schlauchbeutelmaschine bleibt in ihren Grundzügen unverändert, auch wenn sich die Maschinen unterschiedlicher Hersteller im Detail ohne Frage voneinander abheben. Der vertikale oder horizontale Verpackungsprozess an sich bleibt dabei mehr oder weniger unberührt.
Dementsprechend unterscheiden sich die daraus resultierenden Bewegungsaufgaben für die Antriebstechnik ebenfalls nur im Detail. Und genau hier setzt SEW an und bündelt im Bereich Maxolution Maschine Automation abgestimmte und intelligente Komplettlösungen inklusive Dienstleistungen. Das Ganze lässt sich durchaus mit einem Baukasten vergleichen, aus dem heraus sich Maschinen effizient und zeitsparend konstruieren und bauen lassen. Gerade die Verpackungstechnik ist ja letztlich als Folge immer kürzerer Produktlebenszyklen und ganz neuer Anforderungen in Richtung Losgröße 1 von kurzen Time-to-Market-Zeiten bestimmt.
Die Lösungen auf Grundlage des Automatisierungs- und Antriebsbaukastens Movi-C sind daher darauf ausgelegt, Maschinen modular zu konzipieren. Das wiederum bildet die Basis für die „Smart Factory“, in der sich Maschinen und Anlagen durch das Hinzufügen oder Entfernen von Prozessmodulen vergleichsweise einfach an neue Herausforderungen anpassen lassen. Dieser Ansatz reicht so weit, dass der Materialfluss zwischen Maschinen nicht mehr stationär, sondern mithilfe mobiler Assistenzsysteme realisiert wird. Auch hier stehen die Weichen in Richtung Flexibilisierung. SEW verlässt mit diesem Ansatz ein Stück weit die klassische Automatisierungspyramide in Richtung eines klar umrissenen Lösungsansatzes. Darüber hinaus steht Maxolution stellvertretend für den Anspruch des Unternehmens, für Kunden ein Antriebs- und Automatisierungspartner mit echten „One-Stop-Shopping“-Qualitäten zu sein.
Und wie geht’s weiter?
90 Jahre SEW-Eurodrive in diesem Jahr: Dahinter stehen heute über 19.000 engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 52 Ländern dieser Welt. Ihre Devise: „Driving the World“. Mit Blick auf die Herausforderungen, die gerade der Klimawandel mit sich bringt, sieht sich das Unternehmen bestens aufgestellt. Bereits heute lässt sich mit Speichertechnik aus Bruchsal beispielsweise viel Energie in der Produktion und Verpackungstechnik einsparen. Angesichts der zunehmenden Digitalisierung der Industrie wird die Vernetzung von Systemen in Zukunft einen größeren Stellenwert einnehmen. Auch die urbane Infrastruktur steht unter anderem mit einem eigenen Forschungscampus, den die SEW-Eurodrive zusammen mit der Hochschule Karlsruhe ins Leben gerufen hat, im Mittelpunkt.
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