DER VERPACKUNGSVERWENDER

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Raschelschluss! Ab 2030 wird total recycelt


Brüssel hat gesprochen, jetzt ist es auch bis zu mir gedrungen: Ab 2030 muss jede Verpackung recycelbar sein. Jede! So steht es im Amtsblatt, nüchtern wie die Zutatenliste einer Industriewaffel. „Design for Recycling“ nennt sich das. Klingt wie ein Kunstseminar in Weimar, bedeutet aber: Der Alltag, so wie wir ihn kennen, wird eine kleine Revolution durchmachen. Jedenfalls im Supermarktregal. Die Chipstüte zum Beispiel: Dieses kleine Wunderwerk aus Hochglanz außen, Alu innen und geheimnisvollem Zwischenmaterial, das man nur mit einem Schweißbrenner von der Raumfahrtbehörde sauber trennen könnte. Bald ist Schluss damit. Monomaterial ist dann angesagt. So eine Art Bauhaus im Knabbersegment. „Form folgt Recycling.“

 

Abgesehen davon, dass mir mein Weib Chips ohnehin verbietet – egal in welcher Darbietung: Natürlich ist das sinnvoll. Plastik, vor allem in der beliebten Tütenform, ist einfach unzeitgemäß. Aber ich gebe es zu: Ich gehöre zu den Menschen, die das Rascheln einer Plastiktüte für irgendwie sexy hielten. Außerdem war sie ein dankbares Distinktionsmerkmal – erschwinglich, omnipräsent und als Statement nie zu unterschätzen. Man ging mit ihr durch die Stadt wie mit einem flatternden Statussymbol. Wer wollte, konnte am Aufdruck sofort den eigenen Lebensstil erkennen: „Aldi Nord“ bedeutete Pragmatismus, „Karstadt“ eine gewisse Bürgerlichkeit, und wer es besonders mondän mochte, schleppte eine glänzende Tüte von Gucci oder Louis Vuitton durch die Fußgängerzone und outete sich stolz als Mehrverdiener. Oder Hallodri – je nachdem. Heute baumeln oft nur noch Jutebeutel mit Sprüchen wie „There is no Planet B“ am Henkel des Lastenrades und predigen einen verantwortungsbewussteren Lebensstil. Schön. (Aber sexy rascheln tun die Dinger nicht.)

Auch der Onlinehandel verliert einen Teil seines Zaubers. Die Zeit der überdimensionierten Kartons, in denen ein schlichtes USB-Kabel verschickt wurde, ist dann vorbei. Bald wird alles auf den Kubikzentimeter genau eingepasst. Effizienz schlägt Theater. Wir werden uns nicht mehr durch Schichten von Folie und Knisterpapier wühlen wie Archäologen auf der Suche nach einem Fossil, um am Ende einen Adapter freizulegen. Stattdessen: Klappe auf, Produkt raus, Feierabend.

 

Das trifft auch die Kosmetikindustrie hart. Diese Cremedosen, eingebettet in Satin, eingepackt in drei Schachteln, umhüllt von Folie, versiegelt mit goldenem Bändchen – alles Geschichte. Bald steht da ein nackter Tiegel im Regal, schutzlos, pur. Und wir erkennen: Aha, die 80-Euro-Creme war bloß eine 20-Euro-Creme in einem aufwändigen Kostüm. Transparenz kann so grausam sein.

 

Mein persönlicher Schmerzpunkt betrifft das Merchandising meines Vereins, dem FC St. Pauli. Früher bekam man das Totenkopf-Shirt in einer pechschwarzen Plastiktüte, glänzend und bedrohlich, als hätte man gerade noch selbst auf der Bounty gemeutert. Heute: Papier. Nachhaltig und recycelbar – Rebellion im Altpapiercontainer. Ich sage nicht, dass das falsch ist. Aber es fühlt sich so an, als hätte man der Anarchie eine Kantine im Biomarkt eingerichtet.

Harald Braun ist kein Verpackungsentwickler, kein Marketingstratege, kein Recyclingprofi – er ist Verpackungsverwender. Nicht mehr und nicht weniger. Und genau das macht seine Perspektive so wertvoll: ungeschönt, direkt und voller Alltagsbeobachtungen.

In seiner Kolumne „Verpacken wir’s an“ schildert er sehr persönliche Erlebnisse mit Schachteln, Folien, Deckeln und allem, was Produkte umhüllt. Mal herrlich komisch, mal mit feinem Seitenhieb, immer aus der Sicht eines Konsumenten.

Wer Verpackung herstellt, gestaltet oder verkauft, bekommt so einen erfrischenden Blick von außen – und im besten Fall auch ein Schmunzeln.

Kolumnen im packaging journal