Verpackungswirtschaft und Brexit: Es drohen Lieferengpässe und Produktionsstillstände

Holzpaletten (Bild: CHEP)
111 Millionen Holzpaletten wurden voriges Jahr in Deutschland produziert. Auch wegen des Brexits füllen die Anbieter ihre Bestände auf. (Bild: CHEP)

Ist mit dem Amtsantritt Boris Johnsons als britischer Premierminister die Gefahr eine „harten“ Brexit zum 31. Oktober 2019 gewachsen? Aktuell sieht es so aus. Die britische Verpackungswirtschaft befürchtet jedenfalls massive Auswirkungen. Und wie denkt die deutsche Packaging-Branche? Das packaging journal hat sich umgehört und traf auf eine besorgte Kunststoffverpackungsindustrie sowie ebenso sensibilisierte Logistikdienstleister.

Die europäische Wirtschaft fürchtet ein ungeregeltes Ausscheiden Großbritanniens aus der EU. Für den deutschen Maschinenbau appelliert VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann: „Der britische Premier muss sich endlich seiner Verantwortung bewusst werden, dass ein chaotischer Brexit Arbeitsplätze und Wohlstand in ganz Europa, vor allem aber in Großbritannien, in Mitleidenschaft ziehen würde.“

Die britische Wirtschaft leide schon unter dem drohenden harten Brexit, berichtet Dr. Rüdiger Baunemann, Hauptgeschäftsführer von Plastics Europe Deutschland, dem packaging journal: „Die Unsicherheiten führen bereits jetzt dazu, dass Unternehmen und Institutionen ihre Standorte verlagern und ausländische Investoren ihr Engagement überdenken beziehungsweise damit drohen, ihr Kapital beziehungsweise ihre Produktionsstandorte von dort abzuziehen.“ Auch die Verpackungsindustrie ist betroffen. Bereits 2018 klagte der britische Verpackungskonzern DS Smith über ausbleibende oder verschobene Investitionen der Festlandskunden, berichtete jüngst eine britische Fachzeitschrift.

Dr. Rüdiger Baunemann (Bild: Plastics Europe Deutschland)

Dr. Rüdiger Baunemann, Hauptgeschäftsführer von Plastics Europe Deutschland. (Bild: Plastics Europe Deutschland)

Die Unsicherheiten führen bereits jetzt dazu, dass Unternehmen und Institutionen ihre Standorte verlagern und ausländische Investoren ihr Engagement überdenken.“
Dr. Rüdiger Baunemann, Hauptgeschäftsführer Plastics Europe Deutschland

Export nach Großbritannien wird schwieriger

Für die britische Kunststoffindustrie sieht Dr. Baunemann schwere Zeiten heranbrechen. Sie exportiere 69 Prozent ihrer Produkte in die EU. Gerate diese intensive Vernetzung ins Stocken, drohten Lieferengpässe und gar Produktionsstillstände. Fallstricke für die gesamte europäische Post-Brexit-Wirtschaft gibt es einige: „Mögliche Zölle, Verzögerungen des Warenverkehrs durch Grenzkontrollen, Wechselkursschwankungen durch Destabilisierung des Britischen Pfunds sowie sonstige Handelshemmnisse“, umreißt Dr. Lorena Fricke vom Referat Wirtschaft bei der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen (IK) die Risiken. Iñigo Canalejo, Brexit Lead Director beim Pooling-Dienstleister CHEP Europe, spricht bei der Zollproblematik von einem kaum vorhersagbaren „Risiko für die gesamte Branche“.

Sehr wahrscheinlich werden die Exporte nach Großbritannien zurückgehen. Dr. Rüdiger Baunemann schränkt aber ein: „Allerdings hat die Bedeutung von Großbritannien als Handelspartner schon seit Jahren abgenommen.“ Großbritannien werde ausbleibende Lieferungen aus der EU deutlicher spüren als umgekehrt, glaubt Dr. Lorena Fricke.

Dr. Lorena Fricke (Bild: IK)

Dr. Lorena Fricke von der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen (Bild: IK)

„Knapp zehn Prozent der deutschen Exporte von Kunststoffverpackungen und Halberzeugnissen haben das Ziel UK. Direkte Importe aus dem UK machen hingegen nur weniger als fünf Prozent der Gesamtimporte aus.“
Dr. Lorena Fricke, Referat Wirtschaft bei der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen (IK)

Wie geht es weiter mit REACH?

Große Sorgen machen sich alle Befragten um Verpackungen für Lebensmittel, Pharma- und Chemieprodukte. Gerade bei Lebensmitteln – 71 Prozent der britischen Lebensmittel- und Agrarimporte stammen aus der EU – drohen den Briten sogar plötzliche Versorgungsengpässe. „Man darf nicht vergessen, dass Kunststoffverpackungen speziell für Lebensmittel als einzige Wertstoffklasse umfassend europäisch harmonisiert und geregelt sind“, erläutert Dr. Baunemann: „Dieses Regelwerk würde im Falle eines harten Brexits in Großbritannien wegfallen.“

Beklagt wird von der IK wie auch von Plastics Europe Deutschland die rechtliche Unsicherheit bei REACH. Die EU-Chemikalienverordnung legt die Registrierungspflichten für bestimmte chemische Produkte fest, bevor sie in der EU in Verkehr gebracht werden dürfen. Das betrifft beispielsweise Monomere, aus denen Kunststoffe hergestellt werden. Nach einem harten Brexit müssten chemische Stoffe dann in der EU und in Großbritannien registriert werden, befürchtet Dr. Lorena Fricke: „Bisher ist eine Übertragung der Registrierung aber noch nicht vollständig erfolgt.“

Droht bei Holzverpackungen „Käferalarm“?

Besonders vom Brexit betroffen sind auch Hersteller von Holzverpackungen und Holzpaletten. Denn ihnen droht nach dem EU-Austritt Großbritanniens „Käferalarm“, wie es das Handelsblatt nannte. Dahinter steckt „ISPM 15“, der Internationale Standard für Pflanzenschutzmaßnahmen, wonach Verpackungen aus Rohholz im internationalen Handel zum Schutz vor unerwünschten Schädlingen speziell wärmebehandelt und markiert werden müssen. Innerhalb der EU greifen diese Regelungen nicht. Großbritannien droht nun aber zum „Drittstaat“ zu werden. Mit dem EU-Austritt würde der Palettenaustausch problematisch. CHEP Europe bereitet sich seit Längerem darauf vor.

Iñigo Canalejo (Bild: CHEP)

Iñigo Canalejo, Brexit Lead Director bei CHEP Europe (Bild: CHEP)

„Basierend auf den Veränderungen in der Lieferkette, die unsere Kunden bereits mit uns geteilt haben haben wir uns verpflichtet, in neue Paletten zu investieren, um ihrer Aufstockung der Lagerbestände gerecht zu werden. Diese wird die Nachfrage nach Paletten und deren Zykluszeit erhöhen.“
Iñigo Canalejo, Brexit Lead Director CHEP Europe

Dass auch andere Anbieter entsprechend vorgesorgt haben, erklärt möglicherweise den deutschen Produktionsrekord von 111 Millionen Holzpaletten allein im Jahr 2018, den der Bundesverband Holzpackmittel, Paletten, Exportverpackung (HPE) ermittelt hat.

Dass es wirklich zu plötzlichen „Einreiseverboten“ für EU-Holzpaletten nach Großbritannien kommen könnte, hält der CHEP-Brexit-Beauftragte mittlerweile für unwahrscheinlich. Der Branchenverband „The Timber Packaging and Pallet Confederation“ habe gemeinsam mit der britischen Regierungsbehörde für Umwelt, Ernährung und ländliche Angelegenheiten DEFRA eine gemeinsame Erklärung abgegeben. „Diese bestätigt“, so erklärt es Iñigo Canalejo, „dass die Kontrollen von Holzverpackungsmaterial im Vereinigten Königreich weiterhin nur auf einer risikoorientierten Basis durchgeführt werden.“ Paletten aus der EU nach Großbritannien würden also zunächst nicht durchgängig kontrolliert. Aber er gibt zu bedenken, „dass dies möglicherweise nicht der Fall ist, wenn Paletten aus dem Vereinigten Königreich in die EU transportiert werden.“