DER VERPACKUNGSVERWENDER

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Trikottausch: Neuverpackung im Monatswechsel

Ich bin Fußballfan. Kein Ultra, kein Groundhopper, einfach ein ganz normaler Typ mit ein paar alten Trikots im Schrank. (Meine Frau würde da widersprechen, aber glauben Sie mir – es gibt noch schlimmere Kickernerds als mich.) Früher war so ein Trikot für mich ein nostalgisches Signal mit langem Ablaufdatum; es symbolisierte Treue und im besten Fall auch ein wenig Stilbewusstsein. Ich sammelte nur die schicken Trikots, mit denen ich mich auch in einen Club gewagt hätte. Heute ist so ein Leibchen kaum mehr als ein Stück Polyester mit eingebautem Wegwerfreflex. Die Vereine bringen inzwischen mehr Trikots heraus, als ihre Spieler Tore schießen. Wie soll man da eine Liebe zu einem bestimmten Trikot kultivieren? Heim, Auswärts, Third, Pokal, Retro, nachhaltig, Karneval, Jubiläum – jeder Stoff soll eine eigene Geschichte erzählen, und jede Geschichte kostet um die 99 Euro. Heißt: Wenn ein Klub mal wieder ein neues Shirt präsentiert, ist das bloß kalkulierte Inszenierung im Schweinsgalopp – oder schlichter Rip-off. 

Der 1. FC Köln zum Beispiel verdient sich mit dem Karnevalstrikot zur fünften Jahreszeit jedes Mal eine goldene Pappnase. Rot-weiß geringelt, limitiert auf 11.111 Stück – ein Textil-Alaaf mit Kassenbon, ein Geschäftsmodell in grellbunter Verpackung. Im närrischen Mainz zieht man bei dem Thema natürlich mit. Das Fastnachtstrikot gibt’s in vierfarbbunten Querstreifen, inspiriert von Gardekostümen, inklusive Narrenkappe im Kragen. Verkauft sich wie Fastnachtskrapfen, weil es auch als Kostüm nutzbar ist. Die Spieler sehen darin aus, als wären sie von einer Waldorf-Kita eingekleidet worden. Elegant ist das nicht, nachhaltig auch nicht direkt. Die Buchhaltung aber schunkelt zufrieden. Selbst St. Pauli ist dabei, wenn auch vermeintlich moralischer: Fairtrade-Baumwolle, recycelte Materialien, alles klar. Der Totenkopf als Symbol für Rebellion und Unangepasstheit wird zum Cash-Beschleuniger im Profibusiness.

 

Real Madrid – welche Überraschung – ist der Champions-League-Sieger in der Merchandising-Kategorie. 196 Millionen Euro hat der Klub im letzten Jahr mit Trikot- und Fanartikelverkäufen gemacht. Das Trikot als Luxusgadget, das Macht und Exzellenz symbolisiert. Wer es trägt, fühlt sich wie ein Sieger, aber nur dann, wenn er nicht die olle Joppe aus der letzten Saison aufträgt. Auch hier bewahrheitet sich die Binsenweisheit jedes Kreisliga-Trainers: „Fußball ist ein Tagesgeschäft.“ Der Verein ist in der Regel schlau genug, um den Trikotwechsel nicht als merkantilen Hebel zu verunglimpfen, sondern behauptet jede Saison mit erstaunlicher Impertinenz: „Wir haben uns neu erfunden.“ Dabei haben sie sich nur neu verpackt. Und trotzdem reden alle von Nachhaltigkeit. Das klingt gut, solange man nicht nachrechnet. Ein Trikot besteht zu 90 Prozent aus Polyester. Für jedes Kilo werden rund fünf Kilo CO₂ ausgestoßen. Recycelte Stoffe sparen immerhin bis zu 30 Prozent. Ja, ja, schon klar, FC St. Pauli, du bist der Streber unter den Emissionssündern … Trotzdem landen auch eine Menge deiner Trikots jedes Jahr im Müll oder in Altkleidersammlungen. Vielleicht bin ich altmodisch, aber ich finde: Ein Trikot sollte lange halten. Es darf altern, knittern, riechen. Es sollte nach Bier, Regen und Hoffnung duften, nicht nach Neuplastik. Und es sollte etwas aushalten können. Niederlagenserien, Bierduschen – und das länger als eine Saison!

Harald Braun ist kein Verpackungsentwickler, kein Marketingstratege, kein Recyclingprofi – er ist Verpackungsverwender. Nicht mehr und nicht weniger. Und genau das macht seine Perspektive so wertvoll: ungeschönt, direkt und voller Alltagsbeobachtungen.

In seiner Kolumne „Verpacken wir’s an“ schildert er sehr persönliche Erlebnisse mit Schachteln, Folien, Deckeln und allem, was Produkte umhüllt. Mal herrlich komisch, mal mit feinem Seitenhieb, immer aus der Sicht eines Konsumenten.

Wer Verpackung herstellt, gestaltet oder verkauft, bekommt so einen erfrischenden Blick von außen – und im besten Fall auch ein Schmunzeln.

Kolumnen im packaging journal