Eine Druckindustrie nach acht Monaten Krieg

Bild von der ukrainischen Flagge
Bild von einer Frau
Valeriia Grankin, CEO Slavena LLC

„Jedes Volk hat das Recht, unabhängig zu leben. Jede Stadt hat das Recht auf vollständige Sicherheit. Jeder Mensch hat das Recht, frei zu sein und sein eigenes Glück zu suchen. Jeder von uns hat das Recht, sein eigenes Unternehmen zu gründen und zu entwickeln und es mit Freude wachsen zu sehen. Das hat jeder Ukrainer vor dem Krieg geglaubt und glaubt es auch heute noch. Doch wir haben uns verändert. Auch das Geschäftsumfeld hat sich verändert.“

Nach sieben Kriegsmonaten blickt die Geschäftsführerin der ukrainischen Druckerei Slavena, Valeriia Grankin, auf die Veränderungen in der ukrainischen Druckindustrie zurück. Für das packaging journal wirft sie einen Blick auf die verschiedenen Arten von Unternehmen, die noch tätig sind, und darauf, wie sich der Wettbewerb auf dem Markt verändert hat.

Ich erinnere mich sehr genau an meinen Arbeitstag am 23. Februar 2022. Ich weiß noch, was ich anhatte, welche Art von Arbeit ich verrichtete, welche Aufgaben ich meinen Mitarbeitern stellte, welche Umläufe zur Bearbeitung anstanden. Ich erinnere mich, dass es ein beunruhigend ruhiger und emotional intensiver Tag war. Wir gratulierten einer Kollegin zum Geburtstag und ich spürte, wie viel Unruhe in der schweren Stille der Mitarbeiter lag. Sie sahen mich an und warteten darauf, dass ich sagte, was als Nächstes passieren würde. Wir wussten genau, dass in diesem Moment die Truppen unseres aggressiven Nachbarn 60 Kilometer von uns entfernt standen. Wir konnten buchstäblich den heißen Atem im Nacken spüren, aber wir weigerten uns zu glauben, was passieren würde. In diesem Moment glaubte ich, dass es keinen Krieg geben würde.

Doch der Krieg kam gleich am nächsten Morgen in unsere Häuser und brachte unser normales Leben, unsere Arbeit und im Grunde alles, was uns glücklich machte, zum Stillstand. Gleich am ersten Tag des Angriffs wurde in der Ukraine das Kriegsrecht verhängt, sodass alle Unternehmen, einschließlich der Druckereien, ihre Türen für Mitarbeiter und Kunden auf unbestimmte Zeit schlossen. Wir alle hofften, dass dieser Zeitraum nicht länger als zwei Tage dauern würde. Aber die Tage verschmolzen zu einem endlosen, furchtbaren Tag.

Aber das Leben musste weitergehen und die Wirtschaft des Landes musste mit dem konzentrierten Übel fertig werden, das bis heute in unserem Land herrscht. Deshalb wurde bereits im März eine Druckerei nach der anderen in den Gebieten der Ukraine wiedereröffnet, in denen der Krieg nicht so stark zu spüren war, wie in Charkiw, Cherson, Saporischschja, Mykolajiw, Nikopol und damals auch in der Region Kyiv.

Die Produktion geht weiter

Druckereien in relativ sicheren Städten wurden langsam und vorsichtig eröffnet. Die Menschen wussten, dass jederzeit auch in ihrem Gebiet schreckliche Dinge passieren konnten. Sie bearbeiteten die Aufträge, die vor Kriegsbeginn bei ihnen eingegangen waren, nahmen neue Bestellungen entgegen, aber oft erreichte die Auslastung der Druckereien nicht einmal die Hälfte des Vorkriegsvolumens.

Irgendwann wurde mir klar, dass die Druckereien in meinem Land in drei Kategorien eingeteilt werden: Druckereien, die nicht vom Krieg betroffen sind, Druckereien, die sich im Kriegsgebiet befinden, und solche, die in besetzten Gebieten liegen. Die Druckerei meiner Familie für Kartonverpackungen befindet sich in Charkiw, das in die zweite Kategorie fällt [Charkiw selbst wurde zwar nicht von den russischen Streitkräften eingenommen, befand sich aber bis zur ukrainischen Gegenoffensive Anfang September in umkämpftem Gebiet und wurde Anfang Oktober Ziel eines russischen Raketenangriffs. Anm. d. Red.]. Die Druckereien, die ich in die erste Kategorie eingeordnet habe, arbeiten recht ruhig, obwohl ihr Volumen zunächst zurückging, aber jetzt steigen ihre Umsätze wieder.

In die zweite Kategorie fällt auch unser Unternehmen in Charkiw. Dort sind außerdem drei große Druckereien, die Bücher gedruckt haben (ein Lager wurde in den ersten Kriegsmonaten beschädigt und ein großer Teil der Produktion wurde nach dem Beschuss durch Feuer zerstört), und zwei große Druckereien, die Etiketten hergestellt haben (eine davon wurde durch einen Raketentreffer erheblich beschädigt), ansässig. Dementsprechend sind wir nicht in der Lage, mit voller Kapazität zu arbeiten, und können nicht einmal 30 Prozent des Vorjahresvolumens erreichen. Aber jeder von uns versucht, zumindest 10 bis 15 Prozent zu erreichen, damit wir unsere Mitarbeiter bezahlen können.

Bild von einem Innenhof mit zerstörten Gebäuden

Zur dritten Kategorie gehört eine Stadt im Süden der Ukraine, Cherson. Diese Stadt ist besetzt und mit ihr eine große Kartondruckerei, die immer unser direkter Konkurrent war. Und jetzt wissen wir nicht, ob sie überhaupt noch intakt ist. [Im Oblast Cherson herrschen zum Redaktionsschluss weiterhin heftige Kämpfe. Die Stadt befindet sich in einem von Russland besetzten und mittels eines Scheinreferendums beanspruchten Gebiet. Anm. d. Red.].

Für eine bessere Zukunft

Der ukrainische Druckmarkt hat sich also verändert. Viele Druckereien äußern unverblümt, dass es noch sehr lange dauern wird, bis die zweite und dritte Kategorie von Unternehmen wieder die volle Kapazität erreichen wird, und es unklug wäre, den dadurch entstandenen Bedarf nicht zu decken. So sei eben das Geschäft. Aber ein Geschäft kann nicht auf dieser Art von vorübergehender Schwäche eines Wettbewerbers aufgebaut werden. Dieser kalten Analytik steht weiterer Raketenbeschuss auf schon zerstörte Städte gegenüber und als Unternehmenseigner sorgt man sich um den eigenen Betrieb. Gleichzeitig schämt man sich für derart banale Gedanken, wo doch auch Menschenleben auf dem Spiel stehen. Jeder Tag ist also eine emotionale Achterbahnfahrt. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie sich unser Leidensgenosse aus Cherson fühlt. Aber wie man so schön sagt: Die Starken legen sich nicht hin und akzeptieren ihre Niederlage. Stattdessen sind sie umso mehr entschlossen, für eine bessere Zukunft zu kämpfen.

Bild von einer nassen Straße und zerstörten Gebäuden

Und hier möchte ich meine Überraschung darüber zum Ausdruck bringen, dass gerade jetzt die großen deutschen Unternehmen uns die Hand reichen und ihre Bereitschaft erklären, uns nach dem Krieg wieder auf die Beine helfen zu wollen. Sie wollen uns aus der Krise helfen und eine Stütze beim Wiederaufbau sein. Und hierin liegt die Eigenschaft, die nur ein selbstbewusstes Unternehmen hat: die Kraft, jemanden zu unterstützen, der auf demselben Markt wie man selbst tätig ist, sich aber in Schwierigkeiten befindet.

Produktionsvolumen & Materialien

Man könnte erwarten, dass die Druckereien der ersten Kategorie die Chance hatten, ihr Volumen auf Kosten der Druckereien der zweiten und dritten Kategorie zu erhöhen – ihre Kunden könnten durchaus zu den Druckereien gegangen sein, die noch arbeiten konnten. Dies ist jedoch nicht geschehen. Vielmehr haben einige Kunden ihr Produktionsvolumen aufgrund des allgemeinen Umsatzrückgangs im Land verringert. Andere haben noch nicht wiedereröffnet, weil sie dem Feind noch im Weg stehen. Und wieder andere ziehen es vor, zumindest einen Teil ihrer Aufträge an die Druckereien zu vergeben, mit denen sie zuvor zusammengearbeitet haben, um sie in schwierigen Zeiten zu unterstützen. Aber es gibt noch einen anderen Grund. Sie können nur dann die Führung übernehmen, wenn sie mehr Wert bieten als ihre Konkurrenten. Und Wert ist nicht immer leicht zu erzeugen.

Heute arbeitet eine große Zahl von Druckereien in der Ukraine im gewohnten Vorkriegsmodus, hat aber mehr Schwierigkeiten zu bewältigen als früher. Die Verdoppelung der Kartonkosten, das Fehlen einer Vielzahl von Beschichtungsmaterialien und Spezialausrüstungen auf dem Markt erschweren häufig die Herstellung hochwertiger Produkte. Am Ende des Jahres muss jede Druckerei, auch unsere, Pläne für das nächste Jahr machen, um Kontingente für Karton zu reservieren, was jetzt unmöglich erscheint. Der Krieg war von niemandem eingeplant und wir wissen nicht, wann wir wieder mit der Arbeit beginnen werden – dieses Jahr, nächstes Jahr oder noch später.

Faktor Mitarbeiter

Unsere Städte werden ständig beschossen, es gibt Opfer unter der Zivilbevölkerung und unter Kindern, Häuser und Infrastruktur werden zerstört. Die Menschen verlassen die Städte und ziehen in andere Regionen, in der Hoffnung, dort Zuflucht und Schutz zu finden. Man könnte meinen, dass diese Situation zu einer Abwanderung von Fachkräften in andere Druckereien führt. Doch in Wirklichkeit ist dies nicht der Fall. Nur eine Handvoll Fachkräfte hat in Druckereien in anderen Regionen eine Anstellung gefunden, und zwar nicht aufgrund geringer Qualifikation. Das liegt daran, dass in unserem Land in extrem kurzer Zeit ein starker Patriotismus und Dankbarkeit für das, was wir hatten, entstanden ist. Dies sich nicht nur auf die Haltung gegenüber dem Land, sondern auch auf den Respekt vor dem Arbeitsplatz, an dem man seinen letzten Tag vor dem Krieg verbracht hat. Einige warten auf die Wiedereröffnung ihrer Standorte, andere eilen unter Beschuss zur Arbeit, einige haben vorübergehend eine andere Stelle angenommen und einige sind einfach an die Front gegangen, um ihr Land zu verteidigen.

Es war nicht leicht für mich, diesen Artikel zu schreiben – es fällt mir immer noch schwer, über die Situation nachzudenken und zu begreifen, was aus meinem Land, meinem Leben und meiner Firma geworden ist. In meiner Heimatstadt Charkiw herrscht ein brutaler Krieg. Einige unserer Mitarbeiter leben direkt hier in unserem Unternehmen, weil sie nirgendwo anders hinkönnen. Sie arbeiten, sie transportieren Produkte unter Beschuss. Es hat sich viel verändert. Oft laufen die Dinge nicht wie geplant und oft stehen wir vor einer Fülle von Schwierigkeiten, aber wir sind uns bewusst, dass uns das alles stärker macht, und ich glaube nicht, dass uns irgendein Problem, das nach dem Krieg auf uns zukommt, noch aus der Bahn werfen kann. Wir hören viel darüber, wie die Ukrainer der Welt ihre Stärke und ihren Wunsch nach Freiheit gezeigt haben. Aber unsere Stärke ist, dass die Ukraine nicht an sich selbst, ihrer Zukunft oder ihrem Sieg zweifelt. Und deshalb arbeiten wir weiter, lächeln, schmieden Pläne und bereiten uns auf den Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg vor.

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