Nach dem Lockdown versuchen viele Unternehmen angesichts anhaltender Engpässe in der Versorgungskette gerade händeringend, ihre Lagerbestände aufzufüllen. Laut einer Studie von Euler Hermes sind Hamsterkäufe aktuell im globalen Handel keine Seltenheit. Die USA haben im Rennen um die Waren derzeit die Nase vorn.
Im bisherigen Jahresverlauf hat sich der Welthandel schneller und stärker als erwartet erholt, insbesondere beim Wert der gehandelten Waren und Dienstleistungen. Für das Gesamtjahr 2021 dürfte sich dies fortsetzen und beim Volumen der gehandelten Waren und Dienstleistungen ein sattes Plus von 7,7 Prozent zu Buche stehen (2020: -8 %), beim Wert sogar ein Zuwachs um +15,9 % (2020: -9,9 %). Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Studie Ship me, if you can des Kreditversicherers Euler Hermes.
„Der prophezeite Nachhol-Boom nach dem Lockdown hat längst eingesetzt, und Unternehmen versuchen händeringend, ihre Lagerbestände aufzufüllen. Das ist aktuell allerdings kein Selbstläufer: Angesichts der anhaltenden Engpässe in der Versorgungskette, insbesondere bei den Schiffscontainern selbst, und den längsten Verspätungen seit einem Jahrzehnt steigen die Preise und damit Kosten des Welthandels im Galopp auf neue Rekordhöhen. Hamsterkäufe sind aktuell in im globalen Handel. Die USA haben im Rennen um die Waren dabei allerdings klar die Nase vorne – unter anderem aufgrund der früheren Wiedereröffnung.“ Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Europa und Deutschland im Hintertreffen
Der Einbruch bei Angebot und Nachfrage war der maßgebliche Treiber hinter dem Einbruch des Welthandels 2020. Für den diesjährigen Anstieg des Werts der gehandelten Waren und Dienstleistungen macht die Normalisierung der Angebots- und Nachfragebedingungen allerdings nur etwa 15 Prozent aus – die Aufstockung der Lagerbestände hingegen etwa 50 Prozent. Auch die knappen Schiffskapazitäten mit den damit verbundenen hohen Preisen machen rund 35 Prozent des Anstiegs aus.
Euler Hermes erwartet auch 2022 Engpässe
„Schiffskapazitäten dürften kurzfristig auch weiterhin knapp bleiben“, sagt Van het Hof. „Gründe dafür sind neben dem regional sehr ungleichmäßigen Aufschwung die unzureichenden Investitionen der letzten Jahre in der Seeschifffahrt. Auch die Tatsache, dass es wenige Alternativen zur Seefracht gibt und neue Kapazitäten nur langsam in Betrieb genommen werden können, tragen nicht zu einer schnellen Entspannung bei. Der Bau eines neuen Schiffes dauert in der Regel anderthalb Jahre, so dass es auch 2022 noch zu Engpässen und in der Folge zu hohen Frachtraten kommen dürfte.“
Der Preis- und Kapazitätsdruck dürfte also auch 2022 anhalten, obwohl er 2021 seinen Höhepunkt erreichen dürfte. Erwartete niedrigere Zölle werden den Preisdruck nicht ausgleichen können, die Handelskosten werden auch 2022 hoch bleiben. Insgesamt erwarten die Volkswirte des Kreditversicherers für 2022 ein erneut überdurchschnittliches Wachstum des Welthandels von +6,2 Prozent beim Volumen und +8,4 Prozent beim Wert.
USA an der Spitze des Rennens im Vergleich zu Europa
US-Unternehmen haben sich aktuell an die Spitze der Warteschlange gesetzt beim Rennen um die Waren: Warenlieferungen aus Asien in die USA nehmen derzeit um etwa 30 Prozent zu, nach Europa sind es aufgrund der wesentlich späteren Öffnung nur etwa 10 Prozent mehr. Nach den Lieferunterbrechungen im Jahr 2020 ist dies der zweite Schock für die globalen Lieferketten in kurzer Zeit.
„Die meisten europäischen Länder, insbesondere Deutschland, haben aktuell Mühe, ihre ohnehin niedrigen Lagerbestände wieder aufzufüllen“, sagt Van het Hof. „Unterbrechungen von Lieferketten sind also auch 2021 an der Tagesordnung – obwohl viele Unternehmen bereits im vergangenen Jahr zahlreiche Maßnahmen eingeleitet haben, um ihre Lieferketten zu stabilisieren. Es ist definitiv an der Zeit, das Thema anzugehen, denn auch in den kommenden Jahren ist mit weiteren Schocks für die Versorgungsketten zu rechnen. Unternehmen haben es daher selbst in der Hand, zu den Gewinnern zu gehören.“
Lieferketten stabilisieren
2020 mussten 94 Prozent der im Zuge einer Euler Hermes Studie zu Lieferkettenunterbrechungen befragten Unternehmen in Deutschland, den USA, Großbritannien, Frankreich und Italien zeitweise Unterbrechung ihrer Lieferketten verkraften (Deutschland 95 %), jedes fünfte Unternehmen davon verzeichnete sogar schwerwiegende Beeinträchtigungen (Deutschland 16 %). Mehr als die Hälfte (52 %) hatte damals bereits Maßnahmen ergriffen, um ihre Versorgungskette für die Zukunft robuster aufzustellen. Auch Re-Shoring wurde teilweise diskutiert – allerdings erwägten nur etwa 10 bis 15 Prozent der Unternehmen, ihre Produktion tatsächlich nach Deutschland zurückzuholen.
„Lieferketten können brechen, egal ob sie global sind oder lokal“, sagt Van het Hof. „Das hat die Coronapandemie gezeigt – aber auch die aktuelle Flutkatastrophe, bei der auch Lieferketten im eigenen Land unterbrochen wurden. Eine Garantie für eine robuste Versorgungskette gibt es nie – letztlich geht es vielmehr darum, Notfallpläne für verschiedene Szenarien in der Tasche zu haben, um schnell und flexibel handeln zu können. Zudem dürfte die Beziehungsqualität mit den eigenen Lieferanten für die Zukunft eine immer größere Rolle spielen, unabhängig davon, wo diese geografisch ihren Sitz haben. Eine partnerschaftliche Beziehung zu Lieferanten dürfte sich langfristig eher auszahlen als aus diesem bei Liefervereinbarungen den letzten Cent herauszupressen.“
Quelle: Euler Hermes