packaging journal TV Live. Das ist unser neues digitales Format, in dem Sie Diskussionen zu aktuellen Branchenthemen nicht nur live verfolgen, sondern auch Ihre Meinungen und Fragen einbringen können. Bei der Premiere im März sind wir mit einem Dauerbrenner, nämlich dem Thema „Nachhaltigkeit“ gestartet. Live diskutierten mit unserem Moderator Jan Malte Andresen die Branchenvertreter Carolina Schweig (Verpackungsberaterin), Timothy Glaz (Leiter Corporate Affairs bei Werner & Mertz) sowie Dominik Bröllochs und Ulrich Burkart (Optima Packaging Group).
Für eine aktuelle Studie hatte das Deutsche Verpackungsinstitut kürzlich Verbraucher gefragt, ob sie wahrnehmen, dass Verpackungen nachhaltiger geworden sind. 44 Prozent der Befragten gaben an: Ja, Verpackungen sind heute umweltfreundlicher. Haben Handel und Hersteller also alles richtig gemacht? Haben sie schon die richtige Nachhaltigkeitsstrategie?
„Das Bewusstsein ist da, die Umsetzung wird aber noch dauern“, sagt Verpackungsberaterin Carolina E. Schweig. „Wir sehen, dass die Handelsketten das Thema sehr stark treiben und viel kommunizieren. Es ist Bewegung da, die von den Verbrauchern wahrgenommen wird.“ Heutzutage kann es sich also kein Unternehmen mehr leisten, nicht in Nachhaltigkeit zu investieren. Das „sich leisten“ sei allerdings nicht die richtige Herangehensweise, meint Carolina Schweig. „Es geht hier um ein Wirtschaftsprinzip. Unternehmen sollten sich klarmachen, dass sie etwas davon haben, wenn sie in Nachhaltigkeit investieren, auch im ökonomischen Sinne.“ Die Argumentation, Nachhaltigkeit verursache nur Mehrkosten, zeuge daher eher von einer fehlenden Nachhaltigkeitsstrategie. Die Verpackungsberaterin empfiehlt zunächst eine genaue Prozessanalyse. „Vorne anfangen, analysieren, versuchen zu optimieren – dann wird aus der Investition in Nachhaltigkeit sehr schnell ein Sparprojekt, das eben nicht mit Zusatzkosten verbunden ist.“
Ein deutsches Unternehmen setzt seine Nachhaltigkeitsstrategie bereits seit Jahren so konsequent um wie kein anderes. Werner & Mertz wurde dafür kürzlich im Ranking um die 50 wertvollsten deutschen Marken mit einen Sonderpreis für die ganzheitlich-nachhaltige Ausrichtung ausgezeichnet. Völlig zu Recht, findet auch die Verpackungsberaterin:
„Die Strategie von Werner & Mertz ist sehr kohärent – vom Auftritt des Inhabers Reinhard Schneider bis zu den verwendeten Druckfarben. Das spüren die Menschen. Aber auch die Schwarz Gruppe geht mit dem Umbau des Konzerns und einem eigenen Entsorgungsunternehmen konsequent in Richtung Nachhaltigkeit. Die Rewe Group fängt in diesem Bereich jetzt intensiv an ebenso wie etliche Markenartikler oder Hidden Champions, die ebenfalls beginnen, strategisch sauber Prozesse zu analysieren und zu optimieren. Wir stellen fest, dass es überall beginnt, und wir werden im nächsten halben bis Dreivierteljahr noch viele positive neue Beispiele sehen.“ Verpackungsberaterin Carolina E. Schweig
Nachhaltigkeit zahlt sich aus
Für Werner & Mertz hat sich die langjährige nachhaltige Ausrichtung ausgezahlt. Die Marktanteile wachsen stetig und haben im letzten Jahr noch einmal deutlich zugelegt. Das habe nur teilweise an Corona und dem Bedürfnis der Verbraucher gelegen, mehr zu putzen, berichtet Timothy Glaz, Leiter Corporate Affairs bei Werner & Mertz. „Wir haben im Unternehmen seit 2013 sozusagen jeden Stein umgedreht. Insbesondere im Bereich der Verpackung, aber auch bei den Rezepturen unserer Produkte, denn als Cradle-to-Cradle-Unternehmen gehören beide Teile für uns zusammen. Der Verbraucher möchte heute die Lösungen haben, die wir ihm anbieten, und dazu gehört ganz wesentlich die Verpackung. Dieses Thema gehen wir ganzheitlich an für unser gesamtes Sortiment.“
Rund 450 Millionen Verpackungen hat der Hersteller aus Mainz schon auf den Markt gebracht, die zu 100 Prozent aus Post Consumer Rezyklat (PCR) bestehen. Bisher habe sich noch kein einziger Verbraucher über die Optik der Verpackungen beschwert. „Tatsächlich kann man einen leichten Unterschied zu den herkömmlichen PET-Verpackungen sehen.“
Unternehmerisch war es ein ambitioniertes Vorhaben, das ganze Unternehmen konsequent nachhaltig auszurichten – und natürlich auch mit Mehrkosten verbunden. „Beim Rezyklat zahlen wir drauf, denn Neuware ist angesichts des Rohölpreises spottbillig.“ Die zusätzlichen Kosten betreffen auch recycelte Kunststoffe aus Verpackungsabfällen aus dem Gelben Sack.
„Wir haben hier eine Quelle von 1,5 Millionen Tonnen Kunststoffverpackungen, die bislang nicht hochwertig geschöpft werden. Da muss man unbedingt ran. Deshalb müssen wir uns als Branche viel intensiver mit diesen Materialströmen befassen, denn Verbrennen ist keine Option.“ Timothy Glaz, Leiter Corporate Affairs bei Werner & Mertz
Werner & Mertz hat kürzlich Flaschen auf den Markt gebracht mit einem PCR-Anteil von 50 Prozent aus dem Gelben Sack. Timothy Glaz: „Ich muss zunächst deutlich machen, dass wir 100 Prozent Rezyklat in unseren PET-Flaschen einsetzen, das aber aus dem Pfandflaschenrecycling kommt und nicht aus den Haushaltssammlungen. Theoretisch könnten wir aber 100 Prozent Material aus dem Gelben Sack verwenden. Es wird dann nur mit der Farbe schwierig, weil unsere farbigen Flüssigkeiten in solchen Rezyklatflaschen nicht mehr so schön wirken. Das ist aber auch eine Frage des Marketings. Daher sind die 50 Prozent momentan die Obergrenze für die Qualität, die wir für die gewünschte Transparenz brauchen.
Ein anderer Aspekt sind die Kosten. In den meisten Unternehmen wird der Rezyklateinsatz spätestens dann abgelehnt, wenn es um die Mehrkosten geht. Dabei ist die Verpackung ja nicht der Preistreiber. Wir reden hier über wirklich kleine Summen.“
Es geht nur gemeinsam
Nachhaltigkeit ist ein Zukunftsthema, bei dem heute die Weichen gestellt werden und übergreifende Strategien erforderlich sind, meinen auch die Experten der Optima Packaging Group. Der Abfüll- und Verpackungsmaschinenhersteller richtet sein Unternehmen ebenfalls ganzheitlich aus und begleitet seine Kunden von der Produktidee bis zur erfolgreichen Produktion und während des gesamten Maschinenlebenszyklus.
„Wir sehen das Thema Verpackung im direkten Zusammenhang mit der Maschine, denn durch entsprechende Technologien können auch komplett neue Verpackungslösungen entwickelt werden. Netzwerke gewinnen immer mehr an Bedeutung, denn das große Thema Nachhaltigkeit kann niemand mehr alleine bewältigen. Man braucht heute Partner und Verbündete, um gemeinsam mit der Technologie und dem Material neue Lösungen zu schaffen.“ Dominik Bröllochs, Group Sustainability Manager, Optima Packaging Group
Idealerweise sollten bei Nachhaltigkeitsprojekten auch Anbieter von Recyclingtechnologien mit am Tisch sitzen. Optima ist jüngst eine strategische Partnerschaft mit Voith, dem führenden Anbieter von Papiermaschinen und Recyclinganlagen für Papier, eingegangen. Das Ziel der Kooperation ist die Entwicklung nachhaltiger Papierverpackungslösungen. Wie und ob sich die neu konzipierten Verpackungen im Papier-Stream recyceln lassen, wird von Anfang an mit bewertet. Inzwischen arbeitet Optima bereits an der Entwicklung von Verpackungen und konnte schon die ersten nachhaltigen Verpackungslösungen präsentieren.
„Nachhaltigkeit ist eine der großen Herausforderungen und muss in Zukunft ein spannendes Geschäftsfeld werden, das einfach zum Überleben einer Firma dazu gehören wird. Dazu ist ein Wandel nötig: Der klassische Maschinenbau funktioniert heute nicht mehr wie früher. Wir müssen künftig viel früher gemeinsam miteinander agieren – vom Packmittel über die Maschine und deren ganzen Lebenszyklus. Das umfasst auch das Maschinenrecycling. Es muss ein geschlossener Kreislauf werden. Unsere Kunden fordern genau das inzwischen von uns ein. Daher haben wir bereits ein gutes Netzwerk aufgebaut und konnten so schon Projektlaufzeiten deutlich verkürzen, Risiken minimieren und Ergebnisse verbessern, weil alle Experten bereits früh an einem Tisch saßen.“ Ulrich Burkart, Group Sustainability Manager, Optima Packaging Group
Kreislaufwirtschaft gut hinbekommen
Zur Nachhaltigkeitsstrategie gehört es für Unternehmen auch, Prozesse und Materialien kreislauffähig zu gestalten. Schauen, was bereits in den Kreisläufen vorhanden ist, diese so oft es geht nutzen und so hochwertig wie möglich recyceln, sei dafür entscheidend, meinen die Experten. Carolina Schweig: „Wir versuchen, unseren Kunden zu vermitteln, dass die Rohstoffe, die sie einsetzen, ihr Material sind, das sie möglichst zurückbekommen sollten. Damit würde es ein ganz anderes Interesse geben, auf die Wertstoffströme Einfluss zu nehmen. In den 1980er-Jahren hatten große Unternehmen wie Unilever eigene Verpackungswerke, weil es nicht nur um das Produkt ging, sondern eben auch um das Packmittel. Dafür hat man Verantwortung übernommen, auch im Sinne von Produkthaftung. Das hat sich in den 2000ern geändert, Verantwortung wurde etwa an den Grünen Punkt abgegeben. So bekommen wir aber keine guten Wertstoffströme hin. Es ist ein Umdenken nötig, dass diese Materialien einen Wert haben. Die Getränkehersteller haben über die Jahrzehnte immer ihr Kistenmaterial als ihren Invest gesehen und das Material so oft es ging wiederverwendet, d. h., aus alten Getränkekisten wurden wieder neue produziert. Dieses Denken in Loops brauchen wir heute viel mehr. Verantwortung gehört auch zur Nachhaltigkeit dazu.“
Recycling durch Monomaterial erleichtern
Man werde in Zukunft eher mehr verpacken und nicht weniger, meint Dominik Bröllochs. Es brauche daher optimierte Verpackungen, die sich besser recyceln lassen. Eine Möglichkeit ist der Einsatz von Monomaterialien für Verpackungen. Am Beispiel Windelverpackung präsentierte Bröllochs dazu eine Lösung, die sowohl dem Marketing als auch der Ökologie gerecht wird. Hier wird mit den Windeln ein Papier-Sleeve in transparente PE-Monomaterial-Beutel vollautomatisiert eingebracht. Nur das Papier ist bedruckt. Beim Entsorgen durch den Verbraucher teilen sich Folie und Papier quasi von alleine, und selbst wenn der Konsument die Verpackung nicht trennt, lässt sie sich durch die fehlende Materialverbindung durch bestehende Sortiertechnologien trennen.
Deutlich wurde außerdem, dass Kunststoffe heute über sortenreines Recycling eine Qualität erreichen, die dem Ausgangsmaterial in nichts nachsteht. „Wir vertreten hier die Meinung, dass es nicht das eine Verpackungsmaterial gibt, das besonders ökologisch ist“, sagt Bröllochs. „Es ist beispielsweise nicht sinnvoll, grundsätzlich alles auf Papier umzustellen. Trotzdem gibt es viele nachhaltigere Verpackungen durch den Einsatz von Papier.“
Nachhaltige Ansätze gibt es weltweit
Europa sieht sich in Sachen Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Recycling gerne als Vorreiter. Doch es gibt weltweit diverse Strategien. „Wir sehen, dass sogar China jetzt anfängt, massiv in Nachhaltigkeit zu investieren“, sagt Carolina Schweig. Auch in Australien, Neuseeland oder in den USA gebe es etliche Ansätze. „Das ist bei uns nur nicht präsent, und wir sehen dies für Europa idealer, als es ist. Viele Länder haben ihre Prioritäten, und das Nachhaltigkeitsverständnis innerhalb der Welt ist sehr unterschiedlich gelagert.
Green Packaging statt Greenwashing
Nachhaltigkeit ist heute auch ein strapazierter Begriff, denn kaum ein Unternehmen gibt sich nicht nachhaltig. Da verwundert es nicht, dass auch Greenwashing ein großes Thema geworden ist, das Verbraucher zunehmend verwirrt. Unternehmen sollten sich daher absichern, wenn sie ihre Verpackungen nachhaltig nennen. „Es gibt eine eindeutige Rechtslage und dazu auch einen Entwurf der EU: Greenwashing ist alles das, was ein Unternehmen nicht belegen kann. Wer sagt, er sei nachhaltig, muss auch genau belegen, in was er nachhaltig ist. Unternehmen, die mit Nachhaltigkeit werben, tun gut daran, dies auch nachvollziehbar zu belegen“, so Carolina Schweig.
Die richtige Nachhaltigkeitsstrategie zu finden, ist also nicht einfach. Die Verpackungsberaterin empfiehlt Unternehmen, ihre eigene Strategie zu entwickeln. „Es nützt nichts, die Nachhaltigkeitsstrategie des Mitbewerbers zu übernehmen. Wichtig ist, zu schauen, was man kann, was sich im Unternehmen durchsetzen lässt und wofür man gesehen wird. Alle umgesetzten Maßnahmen sollten messbar sein, sodass sie für die Auslobung genutzt werden können und klar wird, ob die angestrebten Ziele überhaupt erreicht wurden. Dann ist man auf einem guten Weg zur richtigen Nachhaltigkeitsstrategie.
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