
EINBLICKE IN DIE VERPACKUNG
Restlos glücklich? Herausforderung der vollständigen Entleerbarkeit
„Verpackungen sollen so gestaltet sein, dass ihr Inhalt leicht entleert werden kann und sie bei der Entsorgung vollständig entleert sind.“ So steht es schwarz auf weiß in der neuen EU-Verpackungsverordnung. Klingt vernünftig, stellt sich aber mit Blick auf die Umsetzung als äußerst herausfordernd dar. Zwischen Theorie und Praxis klebt ein zäher Film aus Creme, Seife und Ketchup.
Aus Sicht der Entsorger und Recycler ist die Forderung nachvollziehbar: Verpackungen bzw. sortiertes Material wird nach Gewicht bemessen. Je weniger Produktreste darin kleben, desto sauberer ist der Wertstoff – das spart Waschprozesse, Energie, erhöht die Ausbeute und reduziert die biologische Belastung entlang der Aufbereitungsprozesse. Wer schon mal eine Leichtverpackungssortieranlage bei mehr als 18°C besichtigt hat, weiß, wovon hier die Rede ist.
Für die vollständige Entleerung bei der Entsorgung ist allein der Verbraucher verantwortlich. Von einem Ausspülen der Verpackungen wird abgeraten – aber was heißt dann „vollständig entleert“? Das Auskratzen des Joghurt- oder Quarkbechers mit dem Löffel? Das Ausdrücken des Tetra Paks mit passierten Tomaten? Vielleicht sogar das Aufschneiden? Was ist mit dem Fleischsaft und Blut im PET-Tray? Und wie stark soll die Bodylotion geschüttelt werden, um noch den letzten Klecks zu erwischen?
Was bedeutet „leicht entleerbar“ für die Verpackungsentwicklung? Primärer Zweck einer Verpackung ist nicht die perfekte Restentleerung. Sie soll schützen, transportieren, dosieren, verkaufen – und den Konsumenten helfen, Produkte einfach anzuwenden. Nebenbei soll sie auch noch schick aussehen. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass dickflüssige, cremige oder pastöse Produkte sich nur schwer aus der Verpackung lösen.
Wie lassen sich Lippenstift, Haarkur oder Handcreme bitte „vollständig“ entleeren, ohne dass wir sie auseinanderbauen, ausschaben oder aufschneiden müssen?

Verbraucher wollen Seife und Gesichtscreme bequem und hygienisch aus dem Pumpspender. Sie lieben das satte Gefühl einer reichhaltigen Creme – nicht das einer wässrigen Ersatzlösung. Sie wollen Auswahl, Qualität – und keine Umstände. Was also tun? Nur noch feste Seifen verkaufen, weil sich die Verpackung besser recyceln lässt? Duschlotionen verbieten, weil die Flasche zu viel Rückstand enthält?
Restentleerbarkeit wird zu einem Kriterium der Recyclingfähigkeit. Wer die geforderte 70 Prozet-Quote nicht erreicht, darf sein Produkt nicht mehr verkaufen.
Die Verpackungsentwicklung steht vor einem Zielkonflikt: funktionale, markentragende, sichere und attraktive Verpackungen, die sich gleichzeitig vollständig entleeren lassen und recycelbar sind. Das ist nicht unmöglich – aber es erfordert kluge Innovation und keine einseitige Paragraphenreiterei, sondern pragmatische Weitsicht.
Denn wenn die Jagd nach dem letzten Tröpfchen zum Dogma wird, bleibt am Ende nicht mehr viel übrig – weder vom Komfort noch von der Produktvielfalt.

Sonja Bähr ist eine der profiliertesten Stimmen der Verpackungsbranche.
Die studierte Verpackungstechnikerin und langjährige Strategieberaterin bringt technische Expertise und klare Haltung zusammen – sie denkt Verpackung ganzheitlich, aus Sicht von Markt, Marke, Material und Mensch.
In ihrer Kolumne „Aufgemacht – Einblicke in Verpackung“ schaut sie für packaging journal hinter die Schlagzeilen und Normtexte – und auf das, was Verpackung in der Praxis leisten soll: schützen, verkaufen, vereinfachen, begeistern. Mal meinungsstark, mal augenzwinkernd – aber immer fachlich fundiert.
🎯 Regelmäßig ein neuer Impuls für die Diskussion rund um Nachhaltigkeit, Regulatorik, Innovation und Realität in der Welt der Verpackung.
Sonja Bähr Director Business Development bei BPC
http://www.bpc.works