Sonja Bähr | Recyclingfähig? O Ja / O Nein / X Vielleicht

EINBLICKE IN DIE VERPACKUNG

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Recyclingfähig? O Ja/O Nein/X Vielleicht

Ab 2030 gilt im europäischen Wirtschaftsraum: Alle Verpackungen müssen zu mindestens 70 Prozent recyclingfähig sein. Alle – das heißt: Glas, Metall (Weißblech, Aluminium), Papier, Pappe, Karton (PPK), Kunststoffe sowie biologisch abbaubare Materialien und Mehrwegverpackungen. Unabhängig davon, ob es sich um Monomaterialien oder Materialverbunde handelt.

Klingt ambitioniert – ist es auch. Denn während Materialien wie Glas, Metall und PPK die Anforderungen weitgehend erfüllen, weil sie bereits heute durch etablierte Prozesse stofflich gut verwertbar sind, geraten andere deutlich stärker unter Druck. Die vorgenannten Materialien sind per se bereits kreislauffähig: Aus ihnen lassen sich hochwertige Sekundärrohstoffe gewinnen, die wiederverwendet oder erneut verarbeitet werden können. Damit entsprechen sie weitgehend den Kriterien des neuen EU-Verpackungsgesetzes (PPWR), insbesondere dem Grundsatz: Eine Verpackung gilt als recyclingfähig, wenn sie stofflich verwertbar ist, als Sekundärrohstoff Primärmaterial ersetzen kann und ohne Beeinträchtigung anderer Stoffströme getrennt gesammelt und sortiert werden kann.

Kartondosen mit Metallboden, Kunststoffdeckel und Kunststoff-Aluverbund auf der Innenseite. Die Verpackungen sind nicht ohne Beeinträchtigung anderer Stoffströme sortierbar, d. h. nicht recyclingfähig gemäß PPWR.

Der Problemfall: Kunststoffverpackungen

Schwieriger wird es bei Kunststoffen. Obwohl sie unverzichtbar für moderne Verpackungslösungen sind – leicht, formbar, funktional, CO₂-sparend und oft ideal für Schutz, Haltbarkeit und Transport –, bereiten sie beim Thema Recycling erhebliche Probleme. Besonders flexible Kunststoffverpackungen sind häufig so konzipiert, dass sie essenzielle Funktionen für Produktfrische, lange Haltbarkeit oder Zubereitung übernehmen. Monofolien, die gut recycelbar wären, können viele dieser Anforderungen, wie Schutzbegasung, Sterilisation des Produkts in der Verpackung oder Vakuumziehen, schlicht nicht erfüllen.

Kunststoffe sind also in ihrer Funktion nahezu ideal, versagen aber dort, wo sie künftig punkten müssen: bei der Kreislauffähigkeit. Für viele Anwendungen fehlen bislang recyclingfähige Alternativen, die die gleiche Leistung bieten.

Ob über oder unter 70 Prozent Recyclingfähigkeit entscheidet nicht nur die angewandte Bemessungsmethode, sondern auch die Menge der Druckfarben auf dem PP-Inmould-Label.

Verantwortung – aber mit Grenzen

Die neue Regelung verlangt, dass Inverkehrbringer Recyclingfähigkeit garantieren – doch die grundsätzlichen Anforderungen dazu liegen zu großen Teilen außerhalb ihres Einflussbereichs entlang der Wertschöpfungskette. Entscheidend sind Sammlung, Sortierung und vor allem die Verwertung, für die andere Akteure zuständig sind. Zwar gilt die erweiterte Herstellerverantwortung, doch ohne entsprechende Infrastruktur und Qualitätskontrollen bei den Entsorgern und Recyclern können die Inverkehrbringer keine Garantien abgeben.

Was passiert also mit Verpackungen, die notwendige Schutzfunktionen erfüllen, aber nicht recyclingfähig sind? Es braucht hier dringend mehr realitätsnahe Ausnahmen – etwa für Anwendungen mit hoher Haltbarkeitsanforderung oder zur Sicherstellung der Versorgung. Sonst droht ein Kollateralschaden: Produkte können nicht mehr verpackt werden, Lieferketten brechen zusammen, unternehmerische Freiheiten geraten unter Druck.

Wirklich kompostierbar? Auf jeden Fall nicht recyclingfähig …

Klartext zum Schluss

Sind die 70 Prozent Recyclingfähigkeit erreichbar? Für viele Verpackungen: ja. Doch Europa zählt Millionen produzierende Betriebe, überwiegend KMUs. Hinzu kommen Hunderttausende Händler. Und: 450 Millionen Menschen in der EU verbrauchen täglich unzählige Verpackungseinheiten – konservativ geschätzt über 800 Milliarden pro Jahr.

Diese Realität darf Brüssel nicht ignorieren. Wird die Komplexität von Verpackungen unterschätzt und die Recyclingfähigkeit zum Dogma, sodass funktionale Verpackungen unmöglich gemacht werden, gefährdet das mehr als nur ökologische Ziele. Die EU-Kommission muss im delegierten Rechtsakt die Chance nutzen, aus dem drohenden Bürokratiemonster einen praktikablen Rahmen zu machen. Andernfalls steht Europa vor einem ernsthaften Zielkonflikt: Versorgungssicherheit und Produktschutz gegen formalistische Recyclinganforderungen. Ein solcher Konflikt darf nicht auf dem Rücken der Unternehmen und Verbraucher ausgetragen werden.

Sonja Bähr, Director Business Development bei Berndt+Partner Creality. (Foto: Berndt+Partner Creality GmbH)

Sonja Bähr ist eine der profiliertesten Stimmen der Verpackungsbranche.

Die studierte Verpackungstechnikerin und langjährige Strategieberaterin bringt technische Expertise und klare Haltung zusammen – sie denkt Verpackung ganzheitlich, aus Sicht von Markt, Marke, Material und Mensch.

In ihrer Kolumne „Aufgemacht – Einblicke in Verpackung“ schaut sie für packaging journal hinter die Schlagzeilen und Normtexte – und auf das, was Verpackung in der Praxis leisten soll: schützen, verkaufen, vereinfachen, begeistern. Mal meinungsstark, mal augenzwinkernd – aber immer fachlich fundiert.

🎯 Regelmäßig ein neuer Impuls für die Diskussion rund um Nachhaltigkeit, Regulatorik, Innovation und Realität in der Welt der Verpackung.

Sonja Bähr Director Business Development bei BPC
http://www.bpc.works

Kolumnen im packaging journal