Verpackungsverwender | Karneval: Das neue Ich, saisonal verpackt!

DER VERPACKUNGSVERWENDER

Karneval: Das neue Ich, saisonal verpackt!

Ich verkleide mich gern. Das ist ein Luxusproblem, wenn man im Einzugsgebiet deutscher Karnevalshochburgen aufwächst. Ich stehe rund fünfmal im Jahr ein paar Stunden vor dem Spiegel und rätsele, wie ich meine Persönlichkeit ganz neu verpacken könnte. Im letzten Jahr hatte ich Einladungen für eine James-Bond-Party, eine Bad-Taste-Sause und einen Maskenball ohne Motto, nur eine Verkleidung wurde ausdrücklich verlangt. Außerdem ist ja im Grunde ständig Karnevalssession. Man muss allerdings sehr aufpassen, wenn man sich nicht zum Affen machen will.

Es ist ein schmaler Grat zwischen lustig und lächerlich. Geht man als einäugiger Henker mit original Ziegendreck unter den Fingernägeln, springt vielleicht der Preis für das beste Kostüm des Abends dabei heraus. Die Damen aber machen auf der Tanzfläche garantiert einen großen Bogen um einen – selbst jene, die ihre ästhetischen Ansprüche aus „Bauer sucht Frau“ übernommen haben.

Das andere Extrem geht aber auch nicht. Wer sich für eine kostümierte Sause aufbrezelt wie der jüngere Bruder von Ryan Gosling, wirkt in Wahrheit wie ein eitler TikTok-Tänzer, der mit 23 Jahren noch bei Mutti lebt. Tatsächlich ist die Kostümfrage heikel, wie schon der Psychologe Professor Alfred Gebert aus Münster wusste: „Die Kostümierung gibt uns die Möglichkeit, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Durch die Maskerade begegnen wir der Welt in einer anderen Rolle, es ist der kontrollierte Ausbruch aus der Vernunft.“ Für Ausbrüche aus der Vernunft bin ich immer zu haben, sie müssen an Karneval nicht mal besonders kontrolliert sein. Trotzdem verraten Kostüme allzu oft zu viel darüber, wie die Selbstwahrnehmung von der Fremdwahrnehmung abweicht. Stellen Sie sich doch nur mal Folgendes vor: Sie gehen davon aus, dass sie durch die Wahl Ihres Outfits, Ihrer Frisur sowie Ihres staatsmännischen Auftritts so glamourös wie George Clooney bei den Oscars rüberkommen. Was für eine Enttäuschung, wenn einem dann eine attraktive Frau im Vorbeigehen ihre Einschätzung der Lage steckt: „Dass mal ein Mann den Mut hat, hier als Olli Welke aufzuschlagen …“ 

Da ist es doch risikoärmer, sich in ein blaues Schlumpfkostüm zu quetschen oder als Schwarzenegger zu gehen, der war immerhin mal Terminator. In diesen Fällen wird wenigstens kein woker Hysteriker gleich „kulturelle Aneignung“ kreischen und mit dem Finger auf einen zeigen. Wer es nämlich ganz Old School noch als John-Wayne-Verschnitt mit Sheriffstern versucht, dem droht genau das, auch der „Rastafari“ ist jenseits von Jamaica nicht mehr sonderlich wohlgelitten. Einer meiner Freunde glaubt an Frauenmagazine. Deshalb geht er an Karneval stets als Pilot, weil er gelesen hat, dass viele Damen insgeheim von einer Affäre mit einem Busfahrer der Lüfte träumen.

Für mich kommt das alles nicht infrage. Ich suche in einem Kostüm stets nach würdevoller Reife, kombiniert mit einer gewissen Weltläufigkeit, sozialer Kompetenz, aber auch ein wenig demütiger Bescheidenheit. Ich gehe in dieser Saison wohl als Darth Vader. Der Diplom-Psychologe Rolf Schmiel hat einen Verdacht, warum der düstere Yedi-Ritter aus „Star Wars“ so beliebt bei Männern ist: „Da spielt sicher die Sehnsucht nach Macht eine Rolle. Außerdem arbeitet Darth Vader alleine, da hätte er die Möglichkeit, auch mal was sagen zu dürfen.“ Aus dem Hintergrund höre ich mein Weib kichern. 

Harald Braun ist kein Verpackungsentwickler, kein Marketingstratege, kein Recyclingprofi – er ist Verpackungsverwender. Nicht mehr und nicht weniger. Und genau das macht seine Perspektive so wertvoll: ungeschönt, direkt und voller Alltagsbeobachtungen.

In seiner Kolumne „Verpacken wir’s an“ schildert er sehr persönliche Erlebnisse mit Schachteln, Folien, Deckeln und allem, was Produkte umhüllt. Mal herrlich komisch, mal mit feinem Seitenhieb, immer aus der Sicht eines Konsumenten.

Wer Verpackung herstellt, gestaltet oder verkauft, bekommt so einen erfrischenden Blick von außen – und im besten Fall auch ein Schmunzeln.

Kolumnen im packaging journal