
DER VERPACKUNGSVERWENDER
Verpackungsschwindel: Nur Bares ist Wahres
Die mondänste Kreditkarte der Welt wird von American Express ausgegeben. Sie nennt sich Centurion Card nach einem ranghohen römischen Offizier und verpackt die Welt in Kategorien. Darin gibt es eine Menge arme Schlucker, Wohlhabende, Reiche und ein paar Superreiche. Die ersten drei Gruppierungen können sich die Karte nicht leisten – schlimmer noch: Sie werden nicht einmal gefragt, ob sie Centurion werden möchten. Beantragen kann man das 8×5 Zentimeter große Kärtchen nämlich nicht, und wer nicht über durchschnittlich 6,7 Millionen Euro Vermögen verfügt, sollte auch gar nicht erst darauf warten, dass American Express bei einem durchklingelt. Dieser muss sich mit der Platin Card oder der kümmerlichen Gold Card begnügen.
Mir macht das nichts aus. Ich verfüge bloß über eine Kreditkarte der örtlichen Sparkasse, und selbst die zücke ich nur zu wenigen Gelegenheiten – und das unfreiwillig, weil vermeintlich fortschrittliche Firmen dazu übergehen, ihre Geschäfte vorwiegend bargeldlos zu organisieren. Für mich ist das Mumpitz. Ich bin ein großer Liebhaber des Bargelds. Das hat einen einfachen Grund: Cash ist eine ehrliche Geschichte. Im Gegensatz zu dem bunten Reigen kursierender Kreditkarten kann man mit Bargeld in der Tasche nicht bluffen. Man ist genauso viel wert, wie man auf den Tisch des Hauses blättert.
Mit Kreditkarten ist das anders. So mancher Kleinganove hat sich mit mehr dieser Plastikteilchen bewaffnet, als Bayern München deutsche Meisterschaften errungen hat. Diese Kapeiken verfügen zwar über das glamouröse Verpackungslametta wohlhabender Zeitgenossen, doch hinter der edel angestrichenen Plastikwand verstecken sich nicht selten so viele rote Zahlen, dass selbst Pleitegeier René Benko mit seiner Herkules Holding respektvoll auf die Knie fallen würde. (By the way: Centurion Card – Herkules Holding … kann das Zufall sein?)
Doch nicht nur Menschen mit betrügerischen Absichten laufen in die Kartenfalle, wie neulich in einem Nachrichtenmagazin zu lesen war: Laut einer Untersuchung der London Business School und der Cornell University in New York geben Menschen mit Kreditkarten viel leichtfertiger Geld aus als jene, die ihre Konsumwünsche noch mit ehrlichem Bargeld begleichen. Offenbar ist die zu erbringende Transferleistung für Kreditkarten-Freunde einfach zu komplex. Der Zusammenhang zwischen permanenter Kartenzahlung und knietiefer Dispo-Katastrophe erschließt sich offenbar erst, wenn RTL für „Raus aus den Schulden“ die Kameras in der eigenen Wohnküche aufstellt.
Trotzdem gelten Kreditkarten als praktisch und weisen ihre Benutzer als moderne Mitmacher des Fortschritts aus. Das ist der Zeitgeist. Wenn ich hingegen versuche, im Hotel ein schmuckes Doppelzimmer mit einem formschönen Stapel Banknoten zu begleichen, werde ich von der Servicekraft an der Rezeption wie eine seltene Kreatur angeschaut, die entweder Autos nach Polen aus- oder minderjährige Prostituierte aus Litauen eingeführt hat.
Wann hat das begonnen, dass Bargeldbesitzer so schräg angeschaut werden wie Boxbudenbetreiber auf der Kirmes? Und ist es wirklich ein Argument gegen Cash, wenn es in großen Mengen nur noch im Gebrauchtwagenkauf und beim Drogenhandel zum Einsatz kommt?
Nein, mal ehrlich – ich möchte nicht auf das Bargeld verzichten. Ich muss es ja nicht gleich in Tausenderröllchen mit mir herumschleppen. Nur Bares ist Wahres! Stimmt doch. Meine Gattin findet das übrigens albern. Sie hat aber auch noch nie versucht, einer Tänzerin in einem Stripschuppen eine Plastikkarte ans Strumpfbein zu pinnen. Da fehlt ihr einfach der Blick für das Große und Ganze!

Harald Braun ist kein Verpackungsentwickler, kein Marketingstratege, kein Recyclingprofi – er ist Verpackungsverwender. Nicht mehr und nicht weniger. Und genau das macht seine Perspektive so wertvoll: ungeschönt, direkt und voller Alltagsbeobachtungen.
In seiner Kolumne „Verpacken wir’s an“ schildert er sehr persönliche Erlebnisse mit Schachteln, Folien, Deckeln und allem, was Produkte umhüllt. Mal herrlich komisch, mal mit feinem Seitenhieb, immer aus der Sicht eines Konsumenten.
Wer Verpackung herstellt, gestaltet oder verkauft, bekommt so einen erfrischenden Blick von außen – und im besten Fall auch ein Schmunzeln.