1866 legte der Schlosser Andreas Bizer in Balingen, 70 Kilometer südlich von Stuttgart, den Grundstein der Firma und ließ sein eigenes kleines Unternehmen unter „A. Bizer, Fabrikation von Brücken-, Tisch- und Balkenwaagen“ im Handelsregister eintragen. Aus Bizer und Balingen wurde dann Jahrzehnte später: Bizerba. Was mit Waagen begann, entwickelte sich in 150 Jahren zur Erfolgsgeschichte.
Heute sind neben Ladenwaagen und Schneidemaschinen vor allem auch Industrieanlagen von Bizerba stark gefragt. Sie sind Alleskönner und verarbeiten, wiegen, prüfen und zeichnen aus, etikettieren und verpacken am Fließband. Andreas Wilhelm Kraut, der aktuell in fünfter Generation das Familienunternehmen leitet, versucht, das Erfolgsrezept auf den Punkt zu bringen: „Wir setzen bei Bizerba seit jeher alles daran, die Wünsche der Kunden und Verbraucher zu erkennen. Darauf stellen wir uns mit unseren Industrielösungen ein. Es ist wichtig, ein Gespür für Trends zu entwickeln, das Ohr am Markt zu haben und mit der Zeit zu gehen. Flexibel und anpassungsfähig zu sein und sich am Kunden zu orientieren, das ist seit fünf Generationen unser Erfolgsrezept.“
Von der Werkstatt zur größten deutschen Waagenfabrik
„Schnelle, flexible Entscheidungen treffen und die richtigen Ideen umsetzen – darum geht es, gerade in einem Haus wie dem unseren, das traditionell geprägt ist und gleichzeitig hungrig nach Innovationen.“ Andreas Wilhelm Kraut, Vorsitzender der Geschäftsführung und CEO der Bizerba GmbH & Co. KG, Balingen.
Bewährte Traditionen und Werte werden bei Bizerba ebenso geschätzt wie Innovationen und frisches Denken. Andreas Kraut blickt mit Stolz auf die Geschichte seines Unternehmens, die gleichzeitig die seiner Familie ist. Der Betriebswirt hat sich nicht ins gemachte Nest gesetzt, sondern erst Erfahrungen in anderen Betrieben und im Ausland gesammelt.
Bereits mit Einführung des metrischen Maß- und Gewichtsystems 1871 errichtete man in Balingen eine Eichanstalt unter dem Eichmeister Andreas Bizer. Für 25.474 Goldmark verkauft Bizer 1906 seine Waagenbauwerkstatt an seinen Schwiegersohn, den späteren Professor Wilhelm Kraut. Mit acht Mitarbeitern stellt er vorwiegend Tafel- und Laufgewichtswaagen her und vertreibt sie zum großen Teil in Süddeutschland und der Schweiz. Ab den 20er-Jahren wird er dabei tatkräftig von seinem Sohn Wilhelm Kraut junior unterstützt.
Dieser übernimmt 1923 mit nur 17 Jahren die Firmenleitung, als sein Vater schwer erkrankt. Es gelingt ihm, die erste Neigungsschaltgewichtswaage der Welt zu entwickeln. Diese Neuerung wird 1925 patentiert und im Handel schnell unentbehrlich, da sich damit das Hantieren mit losen Gewichten erübrigt.
Wilhelm Kraut junior entpuppt sich als dynamischer Kaufmann und zugleich Triebfeder und Herz des Hauses. Bereits Ende der 20er-Jahre ist Bizerba ein Industriebetrieb und mit 800 Mitarbeitern die größte deutsche Waagenfabrik.
Das Rechenwunder für den Ladentisch
Die erfolgreiche Zweigleisigkeit des Lieferprogramms beginnt mit der Entwicklung und Serienfertigung von Industriegroßwaagen. Die hierfür eingesetzten hoch präzisen Doppelpendelmessköpfe mit ein- und fünfmaligem Zeigerumlauf gelten als feinmechanische Wunderwerke, deren Herstellung den besten Mitarbeitern vorbehalten bleibt. In den 30er-Jahren entwickelt Bizerba das erste Zahlendruckwerk für Industrie-Waagen, die in der heute noch genutzten Großwaagenhalle im Bizerba-Stammhaus Balingen entstehen.
Nach dem Krieg baut der Großvater des heutigen Geschäftsführers das Unternehmen immer weiter aus. Nach vielerlei Post-, Paket- und Kontrollwaagen bringt Bizerba 1949 mit der ersten Zählwaage für Massenteile eine weitere Gattung auf den Markt. 1951 lässt Wilhelm Kraut junior die „Bizerba-OP“, das Rechenwunder für den Ladentisch, patentieren.
Von dieser weltweit ersten Ladenwaage die den Preis optisch anzeigt, produziert Bizerba Hunderttausende und liefert sie rund um den Globus aus. Erst Jahrzehnte später geht die Ära der mechanischen Waagen mit dem Übergang zur Elektronik zu Ende.
Für die Fleischwirtschaft entwickelt Bizerba 1967 die erste Text schreibende, geeichte Fakturieranlage. Eine bis dahin in der Industriewägetechnik für unmöglich gehaltene Genauigkeit wird mit dem ersten optisch-mechanischen Wägeschrank WS 6000 erzielt. Er löst den vollautomatischen Wägebereich analog und digital in 6.000 Teile auf. Wenig später folgt der weiterentwickelte WS 10.000.
Expansion nach Europa
1974 übernimmt Wilhelm Krauts Sohn Günter Staffelstab und Geschäftsführung. Er treibt die Expansion in Europa voran und stellt zentrale strategische Weichen, die das Geschäft weiter diversifizieren. Beispielsweise gründet er 1983 die Papier- und Etikettenproduktion in Bochum. In den 90er-Jahren erweitert er das Bizerba-Industrieprogramm um Präzisionswaagen für das Anwendungsspektrum Kontrollieren, Klassifizieren, Zählen und Rezeptieren. Zum 125-jährigen Unternehmensjubiläum erblickt zudem eine komplett neue Produktgeneration für Handel, Handwerk und Industrie das Licht der Welt, und Günter Kraut weiht am Standort Balingen das neue Hauptverwaltungsgebäude ein.
In den zwei Jahrzehnten unter Günter Kraut als Geschäftsführer entwickelt sich Bizerba sehr positiv. Entsprechend groß ist die Lücke, die er hinterlässt, als er 1995 mit 58 Jahren auf dem Tennisplatz an plötzlichem Herzversagen verstirbt. Seine Frau Frigga Kraut nimmt selbst die Zügel in die Hand und überbrückt die Jahre nach dem Tod ihres Mannes mithilfe eines Beirats. Alle Familienmitglieder entscheiden sich dafür, ihre Gesellschaftsanteile nicht zu verkaufen, sondern die Lebensaufgabe des Vaters weiterzuführen.
Dynamischer Wachstumskurs
Seit 2011 steht mit der Ernennung von Andreas Wilhelm Kraut zum Vorsitzenden der Geschäftsführung und CEO in fünfter Generation wieder ein Gesellschafter an der Spitze des Familienunternehmens. Alle Familienmitglieder sind Anteilseigner. Die älteste Schwester des Geschäftsführers, Angela, leitet den Finanz- und Leasingbereich, und auch die mittlere Schwester, Nicole Hoffmeister-Kraut, die im März 2016 per Direktmandat in den baden-württembergischen Landtag gewählt wurde, ist Gesellschafterin. Auch vor diesem Hintergrund gab die Inhaberfamilie Kraut zum Beginn des Jahres 2016 bekannt, dass sich das Unternehmen nach rund 20 Jahren nun wieder zu 100 Prozent in Familienbesitz befindet.
Der Rückkauf aller externen Konzernanteile fällt zusammen mit dem 150-jährigen Jubiläum in diesem Jahr. Sein Vater erweiterte Bizerba in Europa und Übersee und Andreas Kraut arbeitet nun an der weltweiten Positionierung des Unternehmens als Global Player.
Bizerba ist heute in 120 Staaten der Erde mit insgesamt rund 3.700 Mitarbeitern vertreten. Auf der ganzen Welt werden die technischen Präzisionswunder von der Schwäbischen Alb bewundert und gekauft. Ein durchschnittliches Wachstum von acht Prozent in den letzten Jahren, gezielte Akquisitionen, Neugründungen in dynamischen Wachstumsmärkten und ein weiterer Ausbau des Lösungsportfolios tragen die Handschrift von Andreas Kraut, bei dem die Fäden zusammenlaufen. Er setzt den Wachstumskurs fort, definiert die strategische Ausrichtung und entscheidet, etwa über die Expansion nach Südafrika oder die Eröffnung eines neuen Standorts in Singapur. Mit der Übernahme des französischen Inspektionsspezialisten Luceo 2015 erweiterte Kraut das Portfolio im Bereich Lebensmittelsicherheit, die Akquisition der Firma Helf in Österreich führte zu einem weiteren Anstieg des stark expandierenden Geschäfts mit Etiketten.
Mit frischen Ideen in die Zukunft
Der Expansionskurs, aber auch eigene Neuentwicklungen führen dazu, dass Bizerba dynamisch wächst. Zu den wichtigsten Aspekten zählt dabei die Qualitätssicherung für die Endprodukte der Kunden. Um das zu garantieren, überprüfen beispielsweise Bizerba-Vision-Systeme (BVS) mit hochauflösender Kamera automatisch Etikettenposition, Texte und Folienfarbe von Verpackungen. Sie lassen sich in Auszeichnungslinien integrieren und scheiden mit einem Pusher fehlerhafte Verpackungen aus der Produktion aus. Außerdem können Produkte anhand ihres Fettgehalts in unterschiedliche Qualitätsstufen klassifiziert werden.
2007 stellt Bizerba eine Innovation für alle verpackenden Unternehmen vor: Das sogenannte TTI-Systemetikett mit Applikationstechnik bietet Lebensmittelindustrie, Handel und Logistik eine praktikable Lösung, mit der die Einhaltung der Kühlkette und damit der Frische bis zum PoS sichtbar gemacht werden kann. Mit gezieltem Etikettenmanagement kann Bizerba heute Unternehmen bei der Senkung ihrer Total Cost of Ownership unterstützen. Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Etikettensparte von Bizerba wurde 2012 das neue Versandlager offiziell eingeweiht. Der Etikettenspezialist kann jetzt im Rahmen der Großauflagenfertigung den kundenspezifischen Bedarf von zwei bis vier Monaten inklusive Outsourcing der Etikettenlagerung decken. Insgesamt lassen sich in der hochmodern ausgestatteten Halle rund 3,25 Milliarden Etiketten lagern und mit kürzester Vorlaufzeit ausliefern.
Weitere Meilensteine der Entwicklung
Einen weiteren großen Schritt im Verpackungsumfeld bildet 2013 die Einführung des Preisauszeichnungsautomaten GLM-Ievo. Das Hochleistungsgerät für die Lebensmittelindustrie wiegt und etikettiert bis zu 200 Packungen pro Minute, verfügt über ein Kameraprüfsystem für die Packungsqualitätskontrolle und konfiguriert sich bei Produktwechseln automatisch über eine codierte Etikettenrolle. Nach einem modularen Baukastenprinzip lässt sich das ideale System nach individuellen Anforderungen zusammenstellen. Durch die Akquisition von Luceo ist es seit 2015 nicht mehr nur möglich, Packungen optisch auf Etikett, Folierung und Schriften zu prüfen, sondern auch auf die Dichte. Mit der optischen Siegelnahtkontrolle kann verhindert werden, dass nicht hinreichend verschlossene Packungen in den Handel kommen.
Doch das Unternehmen hat sich über die Jahre nicht nur im Bereich der Geräte diversifiziert. Die sich verändernden Produktionsbedingungen hat Bizerba erkannt und bietet sowohl für Industriebetriebe als auch für Handwerk und Handel eine Reihe von Programmen, die den Produktionsalltag erleichtern. Darüber hinaus steht Bizerba seinen Kunden mit einem breit aufgestellten Service zur Seite.
Mit dem Wandel mitgehen
Aus dem einstigen Waagenhersteller ist ein Technologieanbieter geworden, der die Werte eines traditionellen Familienunternehmens mit den Chancen eines global tätigen Konzerns verbindet. Bizerba gelingt es seit dem Start vor 150 Jahren, mit Innovationen die Standards der Branche zu definieren. Der CEO weiß, dass dies nicht automatisch weitergeht. „Made in Germany hat weltweit einen sehr guten Ruf, und die Aussichten für Bizerba sind vielversprechend. Unsere Aufgabe für die Zukunft ist es, dieses hohe technische Niveau zu halten und weiterhin voranzutreiben. Ich freue mich darauf, diesen Weg mit unserer Mannschaft und mit unseren Kunden zu gehen“, betont er.