Nachhaltigkeit in der Coronakrise

Verschiedene Trays aus Graspapier
Graspapier ist ein nachhaltiges Verpackungsmaterial. (Bild: C.E. Schweig)

Noch vor wenigen Wochen waren Kunststoffverpackungen bei vielen Konsumenten eher verpönt. In Zeiten von Covid-19 ist die Hygiene in den Fokus gerückt, und Verbraucher greifen vor allem bei Lebensmitteln lieber zu verpackten Produkten. Wir haben mit der Verpackungsberaterin Carolina Schweig über Nachhaltigkeit und die Auswirkungen die Pandemie auf die Verpackungswelt gesprochen.

Frau Schweig, Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel gehören derzeit zu den gefragten Gütern. Hygiene ist zum Kaufkriterium geworden, gerade bei Lebensmitteln. Sind Kunststoffverpackungen unter diesem Aspekt neuerdings die erste Wahl?

Carolina Schweig: Ich sehe diese große Bewegung zum Thema Hygiene sehr kritisch. Da werden Ängste geweckt, mit denen man mehr Kunststoff rechtfertigt. So rüstet man beispielsweise Folienverpackungen schon wieder mit Zusatzausstattungen aus, etwa mit zusätzlichen Lack- oder Silberbeschichtungen, die absolut unnötig sind und das Recycling stören oder gar verhindern. Aber die Konsumenten haben Angst, sich über den Produktkontakt mit dem Virus anzustecken und fühlen sich mit noch mehr Kunststoff besser schützen. Wenn man Konsumenten jetzt fragt, ob Papier oder Kunststoff hygienischer ist, gewinnt sicherlich der Kunststoff.

Carolina Schweig, Gründerin und Inhaberin des Ingenieurbüros C.E. Schweig

Verpackungsberaterin Carolina Schweig ist Gründerin und Inhaberin des Ingenieurbüros C.E. Schweig. (Bild: C.E. Schweig)

Ein weiterer Aspekt, der sich gerade negativ bemerkbar macht, ist der niedrige Ölpreis. Vor der Krise gab es einen regelrechten Boom zum Recyceln und zu recyclingfähigen Materialien. Jetzt sind die Rohstoffe für Kunststoff so preiswert, dass es zu gegenläufigen Entwicklungen kommen könnte. Mit der Folge, dass das Recycling in den Hintergrund tritt. Für die Circular Economy kann dies zur echten Herausforderung werden.

Schlechte Zeiten für die Nachhaltigkeit oder auch eine Chance?

Caroline Schweig: Wir sollten auch in der Krise Nachhaltigkeit nicht länger als eine Art grünen Wurmfortsatz behandeln, sondern als Wirtschaftsfaktor ansehen. Wenn wir jetzt vernünftige Nachhaltigkeitsziele definieren, dann kann alles – Maschinen, Materialien oder Dienstleistungen – zukunftsfähig weiterentwickelt werden.

In der Krise zukunftsgewandt handeln

Daher sollten wir die Chancen nutzen, die sich jetzt bieten. Denn vieles steht angesichts der Corona-Krise auf dem Prüfstand, beispielsweise die Lieferketten. Logistikwege werden sich in Zukunft ändern, und man fragt sich bereits, wie wir wieder mehr Produktion nach Europa holen können. Damit verbunden ist ein Technologieaufschwung, mehr Automatisierung und Digitalisierung. Vielleicht werden wir sogar weniger reisen, weil vieles ja auch digital funktioniert.

Momentan wird aber öffentlich ein Kampf ausgetragen: Während die einen möglichst schnell zurück zur Normalität vor Corona wollen, halten die anderen es für vernünftiger, mit der Lockerung von Maßnahmen zu warten, Chancen zu sehen und Neues aufzubauen. Es geht nun auch darum: Schaffen wir es, die Krise als positiven Wettbewerbsfaktor zu nutzen oder wird sie nur als Bremse gesehen. Wenn sich diejenigen durchsetzen, die vorwärtsgewandt agieren, dann wird das auch mit mehr Nachhaltigkeit einhergehen.

Ganzheitliche Nachhaltigkeit zahlt sich aus

In Gesprächen mit Unternehmen stellen wir zudem fest: Firmen, die einen kooperativen Führungsstil pflegen, die ihre Mitarbeiter an Entscheidungen beteiligen und nach den Standards der Global Reporting Initiative (GRI) arbeiten, haben jetzt in der Krise Wettbewerbsvorteile. Sie können flexibler auf Veränderungen reagieren als Unternehmen, die eine streng hierarchische Struktur haben. Und man sieht auch sehr deutlich, dass Firmen, die sich schon vorher um ganzheitliche Nachhaltigkeit gekümmert haben, auch in der Krise etwas vorweisen können, wie Werner & Mertz mit ihrer Marke Frosch.

Sehen Sie Trends, in welche Richtung es gehen könnte?

Carolina Schweig: Es wird auf jeden Fall ein Überdenken der Lieferwege geben. Für viele Firmen ist gerade die Infrastruktur zusammengebrochen, just in time geht derzeit wenig. Hier muss und wird sich ganz sicher etwas verändern. Im günstigen Fall werden Logistikprozesse zurückgeholt und neu aufgebaut. Das birgt ein riesiges Potenzial und würde Europa unabhängiger machen.

Produktion in China ist nicht unbedingt preiswerter

Ein Umdenken findet bereits statt, das auch die Verpackungsindustrie betrifft. Es geht etwa darum, intelligente Verpackungstechnik hier in Europa anzusiedeln und auf die pseudogünstige Handarbeit aus China zu verzichten. Die Produktion in China ist ja nicht unbedingt preiswerter. Es kommt immer darauf an, welche Faktoren man in eine Kalkulation einbezieht, in Asien wie in Europa.

Recycelfähige Verpackungen rund um das Recyclingsymbol

Ein echtes nachhaltiges Verpackungskonzept muss immer sehr gut durchdacht werden. (Bild: C.E.Schweig)

Zudem sehe ich einen Trend zur Regionalität: Verbraucher wollen mehr lokal produzierte Produkte, zumindest aber made in Europe. Regional hergestellte Lebensmittel zum Beispiel erleben einen Aufschwung – und gerne auch in Packmitteln, die ebenfalls regional produziert werden.

Schon vor der Krise sah man in den Regalen immer häufiger Verpackungen aus Papier. Ist dies  eine positive Entwicklung in Richtung mehr Nachhaltigkeit oder wird Papier nur subjektiv als umweltfreundlich empfunden?

Carolina Schweig: Das Packmittel Papier ist nicht per se die nachhaltigere Lösung. In Deutschland wird ein Großteil des benötigen Faserstoffs importiert. Die Hälfte der bei uns verarbeiteten Zellulose stammt von Eukalyptusholz, das überwiegend aus Südamerika eingeführt wird. Für das Klima ist das kontraproduktiv.

Papier ist nicht immer die nachhaltigere Lösung

Außerdem ist Papier nicht gleich Papier, Faser nicht gleich Faser. Daher macht es als Packmittel nur Sinn, wenn die entsprechende Funktionalität gegeben ist. Hersteller sollten sich also fragen, was sie wirklich brauchen. Wenn es um Nachhaltigkeit geht, spielt nicht nur die Herkunft des Zellstoffs eine Rolle. Von der Art des Papiers über die Menge der eingesetzten Ressourcen bis hin zur Effizienz auf der Verpackungsanlage spielen viele Kriterien eine Rolle.

Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen sind sicherlich gut, ebenso der Einsatz von recycelten Stoffen wie Altpapier. Für manche Anwendungen ist aber eine dünne Monofolie umweltfreundlicher als eine Lösung aus Papier oder Karton, die schwerer ist oder eine weniger gute Barriere bietet. Ein echtes nachhaltiges Verpackungskonzept muss eben immer sehr gut durchdacht werden.

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