Kunden entscheiden in Sekunden, was sie kaufen. Aber warum landet genau das eine Produkt im Einkaufswagen, während der Konkurrenzartikel im Regal verbleibt? Und wie beeinflusst die jeweilige Kaufentscheidung die Verpackungsentwicklung? Wir haben den Hamburger Markenpsychologen Till Bösenberg gefragt.
Als Allererstes geht es immer um Relevanz, sagt Bösenberg, der 2001 die Hamburger Agentur brandship gründete, in der Strategen, Kreative und Analysten nach der erfolgreichen Positionierung eines Produkts streben. Er spricht dabei aus erfolgreicher Erfahrung. Denn seine Agentur hat bereits für viele große FMCG-Brands eine psychologische Positionierung erarbeitet und dabei immer die Relevanz im Auge behalten.
„Und zwar nicht die Relevanz der Verpackung, sondern des Produktes bzw. der Produkteigenschaften. Zunächst muss also die Marke oder das Produkt Vorteile gegenüber ihren Wettbewerbern mitbringen. Nur wenn das gewährleistet ist, können wir im Packaging die besonderen Merkmale gezielt herausstellen.“ Till Bösenberg, Markenpsychologe
Wissenschaftler schätzen, dass bis zu 95 Prozent des Verhaltens implizit gesteuert sind und damit auch Kaufentscheidungen. Da es sich bei diesem Kaufentscheid meist nicht um einen lang überlegten Kaufprozess handelt, muss der Kunde beispielsweise im Supermarkt über visuelle Codes getriggert werden. Das spielt sich, so Bösenberg, auf einer emotionalen Ebene ab. Die Bildsprache oder die Typografie sind dafür ausschlaggebend, ein positives Gefühl auszulösen.
Einflüsse auf den Mainstreammarkt
Doch auch gesellschaftliche Trends verändern sich. Das Auge wandert im Regal nicht nur zu den Produkten, die bekannt aussehen, sondern auch zu einem modernen und frischen Design, das die Konformität des Gewohnten durchbricht. Genau auf diese Trends muss auch Markenpsychologe Till Bösenberg ein Auge werfen. „Sehgewohnheiten ändern sich mit gesellschaftlichen Strömungen. Die Touchpoints der Konsumenten (also Zeitschriften, Cafés, Einrichtungsläden etc.) zeichnen bereits immer bestimmte Trends vor. Genauso wie Designströmungen aus England, Holland oder Skandinavien. Auch Start-ups und kleinere Nischenmarken schaffen es immer wieder, trendgebende Einflüsse auf den Mainstreammarkt auszuüben.“
Dabei entwickeln sich sogenannte Mikrotrends zu Makrotrends. Die richtigen von Anfang an auszumachen und gezielt für die eigene Marke zu nutzen, ist die hohe Kunst einer guten Markenführung.
„Wichtig bei allen Trends ist, dass starke Marken sich nie den Strömungen verschließen sollten, aber gleichzeitig ein eigenes Profil bewahren müssen. So können durchaus z. B. bestimmte Retro-Elemente Einzug ins Packaging Design halten (weil sie u. a. heute wieder modern sind und für eine Rückbesinnung auf Werte und Qualität stehen). Diese müssen aber immer so verwendet werden, dass sie zur jeweiligen Marke passen. Nur ‚hübsch und trendy‘ sein geht halt nicht, das macht eine Marke beliebig.“ Till Bösenberg, Markenpsychologe
Dabei ist der Schlüssel zum Erfolg eher eine größtmögliche Individualität. Immer unter Berücksichtigung der kategoriespezifischen Codes in dem jeweiligen Segment. Wenn alles optimal läuft, wird die Kundschaft heutzutage ja bereits vor dem Point of Sale auf ein neues Produkt aufmerksam gemacht.
Auf die Stimme der Verbraucher hören
Stichwort: Social Media. Das kann natürlich nicht nur Segen, sondern auch Fluch für eine Marke bedeuten. Doch auch da besinnt sich Stratege und Psychologe Bösenberg auf die positiven Aspekte des digitalen Marktes. Denn auch der Rücklauf zu einem Produkt auf diesen Kanälen ist für die Verpackung ein wichtiges Tool. Reklamieren Kunden auf Social Media beispielsweise die Wiederverschließbarkeit oder die Lesbarkeit der Verpackung, ist das ein direktes, ungefiltertes und zudem kostenloses Kundenfeedback, wofür früher vielleicht Marktforschung hätte betrieben werden müssen. Auch wenn sich die potenziellen Käufer über die Folgen der Verpackung für die Umwelt Gedanken machen, so findet Till Bösenberg, dass diesem Feedback Gehör geschenkt und es eingeordnet werden muss.
„Nicht erst seit ‚Fridays for Future‘ ist das Thema Nachhaltigkeit in den Köpfen der Verbraucher angekommen. Und es wird eines der wichtigsten gesellschaftlichen Themen in den nächsten Jahrzehnten bleiben. Zudem bedingt die europäische Gesetzeslage, dass ein Umdenken bei den Herstellern Einzug halten muss. Das gilt für die Produkte (Transparenz in der Herstellung, Tierwohl, Regionalität etc.) wie für die Verpackung (nachhaltige Materialien). Der Handel und die Industrie sind also gefordert, zukunftsfähige Lösungen in diesem Bereich in den Fokus des Denkens zu rücken.“
Authentische Marken
Auch wenn es noch nicht überall mit der nötigen Intensität pressiert, erkennt man doch an vielen Beispielen im LEH, dass bereits vermehrt umgedacht wird. Haltungskennzeichnung, alternative Verpackungsmaterialien und Bioherstellung sind beim Blick in die Regale allgegenwärtig. Zum Teil bleibt es aber noch bei Versprechen, die wegen des Trends in diesem Bereich lanciert werden, die momentan aber noch nicht immer gehalten werden. Und da betont Markenpsychologe Till Bösenberg: „Die Verpackung darf nichts versprechen, was der Inhalt nicht hält. Sonst verliert die Marke an Authentizität.“
Und Authentizität ist das A und O. „Die größte Relevanz haben Marken, die eine eigene Geschichte mitbringen (Traditionsmarken, Marken aus einer bestimmten, relevanten Region, etc.) bzw. deren Produkte bestimmte Bedürfnisse der Zielgruppen auf eine nachvollziehbare Art und Weise bedienen (Beispiel: Veggie-Burger und die Geschichte, die dahintersteht, z. B. Tierwohl, gesunde Ernährung etc.). Und Marken sollten ihre Geschichte immer dann erzählen, wenn sie die Stärken unterstreicht. Eine Molkerei aus dem Allgäu kann eben genau diese Geschichte erzählen, weil die Region ein differenzierender Faktor in dem Segment ist. Das macht eine Marke besonders, relevant und bietet im Zweifel ein Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb.“
Wobei wir nun beim Storytelling sind, sicherlich der ausgeprägteste Trend im Verpackungsdesign. Doch gutes Storytelling funktioniert nur, wenn es auch eine glaubwürdige Markenstory erzählt. „Diese muss aber immer auf Fakten basieren und, nicht auf Basis von Versprechen, die nicht gehalten werden (können).“ Wie bereits gesagt, als Allererstes geht es um die Relevanz.