Mehr als nur Green Packaging: Kriterien und Abgrenzung von Nachhaltigkeit

Sonja Bähr (Bild: Tilisco GmbH)
Interview mit Verpackungsexpertin Sonja Bähr (Bild: Tilisco GmbH)

Zunehmend werden im Zusammenhang mit neuen Lösungen im Verpackungsbereich die Begriffe „Nachhaltigkeit“ und „Green Packaging“ als Charakteristika verwendet, mitunter sogar als Synonym. Vom Handel und Verbraucher gefordert, wissen viele nicht so recht, was das konkret bedeutet. Wir wollen mehr Licht ins Dunkel um biologisch abbaubar und kompostierbar, klimaneutral und nachhaltig produziert, recycelbar und Co. bringen.

In erster Linie sollte es immer um die Einsparung und Schonung von Ressourcen gehen. Eine Verpackung wird heute also zunehmend daran gemessen, wie gut sie recycelt werden kann. Aber wer beurteilt das? Und wer entscheidet am Ende, ob die Verpackung wirklich „gut“ ist und für wen? Wir haben eine Expertin ins Boot geholt und sie um ihre Einschätzung gebeten.

Sonja Bähr studierte Verpackungstechnik und Wirtschaftsingenieurswesen und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Verpackungsbranche. Nach insgesamt 18 Jahren Verbandstätigkeit für das Deutsche Verpackungsinstitut e. V. und den Bund Deutscher Verpackungsingenieure e. V. verstärkt sie seit Juli 2018 das Team der Tilisco GmbH, dem Ingenieurbüro für Verpackungsmanagement und nachhaltige Verpackungsstrategien.

pj: Frau Bähr, Sie verfügen über zahlreiche Kontakte in den verschiedensten Wertschöpfungsstufen der Verpackungsbranche und sind auch durch Ihre Beratertätigkeit sehr gut informiert. Wie ordnen Sie den derzeitigen Hype um nachhaltige Entwicklungen bzw. „Green Packaging“ im Zusammenhang mit der aktuellen Stimmung in den Unternehmen ein?

Sonja Bähr: Wir beobachten aktuell unterschiedliche Strömungen, die auf die Entwicklungen und Entscheidungen für die Verpackungen in den Unternehmen einwirken. Zum einen ist die Bevölkerung sehr stark für das Thema Umweltschutz sensibilisiert. Klimaneutralität, CO2-Einsparung und „plastikfrei“ sind die Schlagworte.
Einfache Antworten sind gewünscht, und es gibt den Menschen das Gefühl, einen relevanten Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, wenn sie Produkte in Papier oder kompostierbaren Alternativen, statt in Kunststoff kaufen können. Rational wissen wir aber, dass es Produkte, Einkaufs- und Verzehrgewohnheiten gibt, die ohne den Einsatz von Kunststoff schwer oder gar nicht realisierbar sind.

Und die Produzenten müssen sich an die nationale Gesetzgebung und die europäische Regulierung halten, und da gilt für Deutschland seit dem 01.01.2019 das „Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die hochwertige Verwertung von Verpackungen“, kurz das Verpackungsgesetz. Das erklärte Ziel ist es, die Verpackungen in ein werkstoffliches Recycling zu bringen und den Kreislauf zu schließen.  Es gibt einen klassischen Zielkonflikt, denn die größtmögliche Einsparung von CO2 oder die maximale Recyclingfähigkeit widersprechen sich.

Für die Unternehmen ist es ein echter Gewinn, wenn die unterschiedlichen Bereiche, oft das erste Mal, in einem Workshop gemeinsam an einem Tisch sitzen, sich auf eine Strategie einigen und dann auch in einer gemeinsamen Sprache kommunizieren können. (Bild: Tilisco GmbH)

Für die Unternehmen ist es ein echter Gewinn, wenn die unterschiedlichen Bereiche, oft das erste Mal, in einem Workshop gemeinsam an einem Tisch sitzen, sich auf eine Strategie einigen und dann auch in einer gemeinsamen Sprache kommunizieren können. (Bild: Tilisco GmbH)

An dieser Stelle hat sich unser Workshop zur nachhaltigen Verpackungsstrategie schon vielfach bewährt. Wir bringen aus dem Unternehmen alle an der Verpackung Beteiligten an einen Tisch, erklären die Fakten und Begriffe sowie die marketing- und technikrelevanten Auswirkungen auf die jeweilige Verpackung.

Am Ende einigen sich alle, inklusive Produktmanagement, Einkauf, Verkauf, Controlling, Technik und Geschäftsleitung auf ein Nachhaltigkeitsranking, aus dem sich das Anforderungsprofil aller Bereiche ableiten lässt. Für die Unternehmen bedeutet diese Verpackungsstrategie Planungs- und Investitionssicherheit.

Im Fokus steht die Einschätzung der Recyclingfähigkeit

pj: Welche Entwicklungen/Ergebnisse/Lösungen „verdienen“ die Bezeichnung „Green Packaging“, und welche eben auch nicht?

Sonja Bähr: Es gibt nicht die eine Universallösung. Wir haben für jede Verpackung, egal aus welchem Material, Fakten und Argumente, die für eine besonders hohe Nachhaltigkeit und gleichzeitig für eine eher schlechte Nachhaltigkeit sprechen können.  Wichtige Fragen sind: Welche Produkte werden verpackt? Welche Abfülltechnik ist vorhanden? Wie ist die Logistik? Der gesamte Prozess muss betrachtet werden. Welches Ergebnis hatte das Nachhaltigkeitsranking? Ist das Strategieziel die größtmögliche Einsparung von CO2? Oder die maximal mögliche Recyclingfähigkeit?

Das deutliche Missverhältnis von Produktmenge zu Verpackungsvolumen (links) widerspricht § 4 des Verpackungsgesetzes und wäre technisch leicht änderbar, ist aber aus Marketingsicht ein großer Erfolg. (Bild: Tilisco GmbH)

Das deutliche Missverhältnis von Produktmenge zu Verpackungsvolumen (links) widerspricht § 4 des Verpackungsgesetzes und wäre technisch leicht änderbar, ist aber aus Marketingsicht ein großer Erfolg. (Bild: Tilisco GmbH)

Und zur Wahrheit gehört auch, dass aktuell viele Verpackungshersteller auf der „Grünen Welle“ reiten und Verpackungen und Materialien als nachhaltig verkaufen, die diesem Anspruch bei näherer Betrachtung nicht standhalten. Da steckt oft gar keine böse Absicht dahinter, sondern allzu oft Unwissenheit, übrigens auf beiden Seiten, bei der Marke und dem Verpackungsanbieter.

Ein Verbund aus verschiedenen Materialien ist eben nicht gut oder sehr gut recyclingfähig, gerade nicht, wenn die Deckschicht aus Papier besteht. Dafür kann damit anteilig Kunststoff eingespart werden. Und kompostierbare Verpackungen bestehen zwar aus nachwachsenden Rohstoffen und sparen so CO2, haben aber in Deutschland aktuell keinen Entsorgungsweg und werden ohne weitere Nutzung thermisch verwertet.

pj: Warum fällt es so schwer, eine Zuordnung vorzunehmen?

Sonja Bähr: Das liegt auch an der unterschiedlichen Auslegung und Lesart von Begrifflichkeiten. Es gibt eben einen Unterschied zwischen einer generellen Recyclingfähigkeit, wie es viele Handelsunternehmen proklamieren, und einer guten/sehr guten bzw. 80-prozentigen Recyclingfähigkeit.

Nur mit diesem Anspruch ist sichergestellt, dass die Kunststoffverpackungen in die heute vorhandenen Sortier- und Verwertungskreisläufe aufgenommen werden können, um mehr qualitativ gutes Rezyklat zu erhalten, damit es sich irgendwann auch wirtschaftlich lohnt, Rezyklat statt Primärmaterial in Verpackungen einzusetzen.

Das Siegel „Made for Recycling“ können nur Verpackungen tragen, die mit „sehr gut“ recyclingfähig bewertet werden. (Bild: Tilisco GmbH)

Das Siegel „Made for Recycling“ können nur Verpackungen tragen, die mit „sehr gut“ recyclingfähig bewertet werden. (Bild: Tilisco GmbH)

Hier sehen wir übrigens auch dringenden regulatorischen Handlungsbedarf. Aktuell ist es so, dass nur zwei Entsorger bzw. Duale Systeme in Deutschland die Deutungshoheit darüber haben, welche Verpackungen gut, sehr gut oder zu 80 Prozent recyclingfähig sind, und diese Bewertungen kommen oft zu unterschiedlichen Ergebnissen. Es muss zwingend einen einheitlichen, für alle zugänglichen und an den Verbraucher kommunizierbaren Bewertungs- und Zertifizierungsstandard geben.

pj: Welche Aspekte gilt es, für umweltgerechte Verpackungen denn zwingend zu beachten?

Sonja Bähr: Die Unternehmen, die die Rangfolge „Vermeiden, Vermindern, Verwerten“ beachten, sind auf dem richtigen Weg zu einem ressourcenschonenden und umweltgerechten Einsatz von Verpackungen. Und wenn die Anforderungen des Produkts nicht die Verwendung von nachwachsenden Materialien zulassen, dann bitte die Verpackung so entwickeln, dass diese sehr gut oder doch wenigstens gut recycelbar ist.

Vorbildliche Verpackung und Kommunikation. So versteht es auch der Verbraucher. (Bild: Tilisco GmbH)

Vorbildliche Verpackung und Kommunikation. So versteht es auch der Verbraucher. (Bild: Tilisco GmbH)

pj: Wie transparent ist die Problematik heute für die Verbraucher?

Sonja Bähr: Leider viel zu wenig. Mit der Einführung des Grünen Punkts zu Beginn der 1990er-Jahre habe ich miterlebt, wie groß das Engagement der Bevölkerung war. „Die Deutschen sind Sammelweltmeister“ war damals eine Schlagzeile.  Durch Müllskandale, Bestechungen, drohenden Konkurs, schlechte Sammel- und Sortierquoten haben die Entsorger massiv an Glaubwürdigkeit verloren und müssen sich heute Aussagen wie „Sortieren lohnt sich nicht, wird doch sowieso alles verbrannt“ stellen. Und es ist ja auch viel zu kompliziert. Die Menschen wollen gerne etwas tun, es muss aber auch klar sein, was und mit welchem Ziel.

Als Verpackungsexperten sind Inhaber Till Isensee und Sonja Bähr im Tilisco-Kernteam für die Unternehmen da, die keine Verpackungsabteilung haben oder keine Verpackungsingenieure beschäftigen. In die neutrale, unabhängige Lösungsempfehlung und -umsetzung von Tilisco fließen selbstverständlich die ökologischen Aspekte für eine umweltgerechte Verpackung ein, ohne die ökonomischen Rahmenbedingungen außer Acht zu lassen.

www.tilisco.de