Am Thema Nachhaltigkeit kommt man nicht mehr vorbei, ob als Verbraucher oder als Produzent. Auch in der Verpackungsbranche macht man sich Gedanken um den sinnvollen Einsatz von Rohstoffen. Doch wo fängt man da an? Das weiß die Diplom-Ingenieurin und Verpackungsberaterin Carolina E. Schweig. Für unseren Schwerpunkt hat sie sich mit den Themen Nachhaltigkeit und Green Packaging auseinandergesetzt.
Durchforstet man das Internet mit dem Keyword “Green Packaging”, bieten sich listenweise Ergebnisse an. Beim Großteil der Erwähnungen entpuppt sich nach genauerer Sichtung deren ökologischer Vorteil als zweifelhaft. Mit Begriffen wie “kompostierbar” oder “plastikfrei” wollen Unternehmen und Marken den Eindruck vermitteln, dass sie sich aktiv mit den Umweltauswirkungen ihrer Verpackung auseinandersetzen. Ungeachtet der Frage, ob die Produkte tatsächlich “plastikfrei” oder kompostierbar sind und ob diese Aussagen in irgendeiner Weise zielführend sind. Diese Herangehensweise entspringt einem tiefen Unverständnis von Nachhaltigkeit, nämlich dem eines nach außen getragenen “grünen Anstrichs”. Nachhaltigkeit bietet jedoch, wenn sie in ihrem ursprünglichen Sinn verstanden wird, Zukunftsfähigkeit durch Wirtschaftlichkeit!
Angesichts der aktuell spürbaren Anspannung auf den Rohstoff- und Energiemärkten sowie den damit verbundenen Engpässen und Teuerungen ist es Zeit, Nachhaltigkeit in ihrer eigentlichen Form zu entdecken und für das eigene Unternehmen anzuwenden.
Nachhaltigkeit ist der Ansatz, unsere Rohstoff- und Energieversorgung in den nächsten Jahren noch aufrechtzuerhalten. Erinnern wir uns kurz: Der aus der Forstwirtschaft stammende Begriff der Nachhaltigkeit zielte darauf ab, nur so viele Bäume zu verwerten, dass der Forst an sich nicht in seiner Funktion und in seiner Existenz gefährdet wird. Übertragen auf unsere heutige Zeit geht es also um den verantwortungsbewussten Umgang mit Rohstoffen und somit auch Packmitteln sowie deren Mehrfachverwendung. Das beinhaltet eine Sortier- und Aufbereitungstechnologie, die auf den hochwertigen Wiedereinsatz der gewonnenen Rohstoffe ausgerichtet ist. Dazu gehört jedoch auch der Blick auf die Rohstoffgewinnung und die Ausbeute bzw. den Verlust an Rohstoff und Energie über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg.
Ja, der Begriff “Nachhaltigkeit” ist in der Gesellschaftsmitte angekommen. “Der Konsument” erwartet ganz generell von Produkten und Unternehmen eine gewisse “Nachhaltigkeit”: Laut aktuellen Zahlen der GfK (Growth from Knowledge) fordern über zwei Drittel (68 Prozent) der Deutschen von Unternehmen, sich möglichst umweltbewusst zu verhalten, zum Beispiel durch den Einsatz umweltfreundlicher Materialien. Häufig wird diesem vermeintlich klaren Marktdruck unreflektiert und ohne grundlegende Strategie nachgekommen: Gut recycelbare Kunststoffverpackungen werden durch frischfaserbasierte “Papier”-Verpackungen ersetzt oder Werbeaussagen der Marktbegleiter von “100 % Rezyklat” oder zu “100 % recycelbar” kopiert. Aber:
Wirtschaftliche Nachhaltigkeit funktioniert anders
Die Basis ist eine individuelle Nachhaltigkeitsstrategie, die sich an der eigenen Marke, den Erwartungen der eigenen Kunden bzw. der eigenen Zielgruppe, den Stakeholdern orientiert. Mit isolierten, vermeintlichen Nachhaltigkeitsaktionen haben sich auch schon große internationale Unternehmen einen Shitstorm eingehandelt, obwohl sie dafür viel Geld und Enthusiasmus investiert hatten. Erst kommt die Strategie, aus dieser leiten sich am Ende auch Aktionen und Packmittel und Packstoffe ab.
Die Arbeit an der Strategie beginnt mit der sogenannten Wesentlichkeitsmatrix. Hier steht zum einen die spezielle Unternehmenssituation (lokal, bundesweit, Arbeitssicherheit, Gender-Themen…) im Zentrum, zum anderen die Erwartung der Stakeholder hinsichtlich Nachhaltigkeit. Bitte keine Allgemeinplätze! Gut gemeinte, jedoch vollkommen überzogene Nachhaltigkeitsvorstellungen schüren Misstrauen, eine schlechte Währung im Bereich Nachhaltigkeit. Unternehmen, die bisher durch ihre Produkte als eher “problematisch” wahrgenommen werden, sollten tunlichst vermeiden, als Weltretter aufzutreten. Das ist wenig glaubhaft für Kunden, Marktbegleiter und NGOs und führt eher zu Ablehnung.
Wirtschaftliche Nachhaltigkeit basiert auf mess- und bewertbaren Daten
Aus der Wesentlichkeitsmatrix werden die Nachhaltigkeitsziele für Unternehmen heruntergebrochen dann für die Marken festgelegt. Bei unterschiedlichen Marken, Vertriebsstrukturen und Zielgruppen können dabei bestimmte Ziele unterschiedlich gewichtet sein.
Ziele, das kennen wir alle aus den persönlichen Jahresgesprächen, müssen in einem definierten Zeitraum erreichbar und messbar sein. Das gilt bei Nachhaltigkeitszielen auch. Um die gesetzten Ziele zu erreichen, definiert man “Maßnahmen”, teils als Kriterien oder auch als Nachhaltigkeits-KPIs bezeichnet. Um diese messbar zu machen, brauchen sie eine Einheit. Klimaziele kann man mit den eingesparten CO2-Äquivalenzen z. B. in der Einheit [g CO2/Unit] messen. Ressourceneinsatz oder Einsparung wird gerne in [g/Unit] oder über ein Jahr in [Tonnen] gemessen. Ideen zu passenden Messungen und Einheiten geben GRI (Global Reporting Initiative) oder die SDGs (Sustainable Development Goals). Da jedoch schon allein die ökologischen Kriterien sehr gegenläufig sind – Papier bedingt einen hohen Wassereinsatz, punktet aber mit geringeren Klimagasen, während Kunststoffe genau andersherum zu Buche schlagen – müssen Gewichtungen festgelegt werden.
Wichtig bei der Umsetzung der definierten Nachhaltigkeitsziele in konkrete Bewertungsmatrices ist die Kohärenz. Es gibt immer eine Vorstufe, die mitberücksichtigt werden muss. Woher kommt ein Rohstoff, wie hoch ist beispielsweise das Risiko, dass der eingesetzte Zellstoff mit Kinderarbeit oder durch “Schwarzrodung” produziert wurde?
Wirtschaftliche Nachhaltigkeit überprüft regelmäßig die Kompatibilität zu den definierten Zielen
Bei etlichen Unternehmen werden die Nachhaltigkeitskriterien in den Gates bei den IT-gestützten Ideations-Innovations-Funnels abgefragt und damit in die systematisierte Bewertung einbezogen. Denn auch hier gilt wie bei anderen Produktattributen: Entspricht die gebotene Nachhaltigkeit nicht den vorgegebenen Anforderungen und zahlen sie daher nicht auf die Nachhaltigkeitsstrategie ein, muss dies möglichst früh erkannt werden, um nachzusteuern. Oder der Ansatz muss verworfen werden. Übrigens gilt die Überprüfung der Nachhaltigkeitskriterien auch hinsichtlich der Zielerreichung. Soll beispielsweise die Kunststoffvermüllung von Meeren und Flächen verhindert werden, so muss geprüft werden, ob der vorgesehene “Bio-Kunststoff” diese Ziele tatsächlich erfüllt und nicht ggf. das Problem verstärkt.
Wichtig ist dabei, sich realistisch mit den entsprechenden Zertifikaten, Normen und Realitäten zu beschäftigen. So führt z. B. der wohlgemeinte Einsatz von rPET bei Tiefziehtrays und Schalen zu einer Überführung eines Rohstoffs von einem geschlossenen (Einweg-PET-Flaschen) in einen “offenen” Stoffstrom (Obst-, Gemüse-, Fleischtrays aus PET/ rPET).
Geschlossene Stoffströme sind das Gebot der Stunde! Solche “Abzweigungen” von Rohstoffen sind für die erheblichen Preissteigerungen im sekundären Rohstoffmarkt mitverantwortlich und schaden somit langfristig auch der Wirtschaftlichkeit. Nicht nur finanziell sind diese gut gemeinten Ideen ohne systematische Überprüfung und Messung zunehmend ein Problem. Denn es gibt bereits in der Europäischen Union Vorstellungen, was rechtlich als Greenwashing abgemahnt werden kann: alles, was nicht belegt werden kann! Bedeutet: Auch im Sinne des Markenwerts ist es wichtig, die gemachten werblichen Nachhaltigkeitsaussagen mit Zahlen und Fakten belegen zu können.
Zurück zum Anfang: Wirtschaftliche Nachhaltigkeit hilft, Ziele zu erreichen, die das Unternehmen, die Marke stützen. Sie hilft exakt, die Kundenbedürfnisse zu erfüllen und dafür dann auch die entsprechende Entlohnung zu erhalten, und sie schützt vor irreführenden Aussagen und der Gefahr, als Greenwasher aufzutreten. Wirtschaftliche Nachhaltigkeit stellt die Weichen für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens!
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