EcoDesign bei Verpackungen (1): Lösungssuche und Strategieentwicklung

Schokoladenpackungen mit Barrieren aber ohne Kunststoff und Aluminium
Schokoladenpackungen mit Barrieren, aber ohne Kunststoff und Aluminium. (Bild: Pacoon)

Nachhaltige Verpackungen sind derzeit in aller Munde, die großen Treiber Handel und Gesetzgebung aktiv geworden, und die Branche sucht händeringend nach alternativen Lösungen. Auf dem Prüfstand steht oft ein Austausch der Materialien oder eine Verringerung der Verpackung. Aber EcoDesign bietet mehr Optionen. Nur wie können Unternehmen eine gute Ausgangsbasis und die für sie richtige Marschrichtung für festlegen?

Seit über zehn Jahren beschäftigt sich die Münchner Packaging-Design-Agentur Pacoon intensiv mit dem Thema „Nachhaltige Verpackungen“ und stellt in den letzten Monaten eine rege Nachfrage nach Beratungs- und Entwicklungsleistungen fest. Keine Woche vergeht, in der nicht Anfragen nach Vorträgen, Schulungen, Inhouse-Workshops, Beratungsunterstützung, Recherchen nach alternativen Materialien oder neuen Packungskonzepten bei den Bayern auflaufen.

Die Herkunft der Interessenten deckt dabei fast die komplette Supply Chain ab und lässt kaum einen Industriesektor außen vor. Sei es der Handel, die Eigenmarkenlieferanten oder Markenhersteller, die Verpackungsindustrie oder auch Verbände – alle suchen händeringend und schnell nach Lösungen und Ansätzen, wie sie auf die neuen gesetzlichen und sozialen Anforderungen reagieren können.

Auch befasst sich die Branche inzwischen mit dem Recycling selbst – wo ein von der Agentur organisierter Workshop in einer Recyclinganlage Anfang 2018 kaum 15 Teilnehmer animierte, sprießen Besuchstouren bei Sortierern und Recyclern inzwischen wie Pilze aus dem Boden. Denn wer wissen möchte, wie recyclingfreundliche Verpackungen konzipiert werden müssen, muss auch verstehen, wo in der Entsorgung die Knackpunkte auftreten.

Mehr als nur Recyclingfähigkeit und Materialreduktion

Nachhaltige Verpackungen und EcoDesign beinhalten mehr als nur Recyclingfähigkeit und Materialreduktion. Für den richtigen Ansatz erfordert es eine umfassende Analyse, die pragmatisch und kurzfristig erfolgen kann. Die Absatzmärkte spielen dabei eine wesentliche Rolle und auch ein genauer Blick auf die Supply Chain. Wer seine Verpackung auf den Prüfstand stellt, kann völlig neue Chancen entdecken, und am Ende können bei richtiger Konzeption Kostenreduktion, erleichtertes Handling und ein wertigeres Image der Marke stehen sowie eine Differenzierung zum Wettbewerb.

 Auf die Tatenlosigkeit folgt die wilde Suche nach der Lösung

Nach Jahren ohne klare Zielvorgabe seitens der Key Player im Markt, Handel, Hersteller und Verpacker, hat sich jeder seine eigenen Schwerpunkte gewählt; allzu häufig hieß die Maxime dabei aber auch „abwarten und beobachten“. Seit Kurzem haben sich aber zwei Ansätze als dominant herauskristallisiert: die gesetzlichen Forderungen nach Recyclingfähigkeit von Verpackungen und damit einhergehend ein höherer Einsatz von Rezyklaten sowie die Verbraucherforderungen nach weniger Kunststoffen.

Beides muss sich nicht ausschließen, aber derzeit gibt es noch keine ausreichenden Lösungen. Sicherlich zeigen die Ankündigungen der letzten 18 Monate von 100 % recyclingfähigen Verpackungen‚ totalem oder großteiligem Verzicht auf Plastik, Einsatz von Rezyklaten oder Reduzierung von Einwegprodukten, dass die Branche sich endlich bewegt. Aber es kristallisieren sich auch langsam die Grenzen dieser Forderungen heraus.

Wo kommen all die Rezyklate her, die die Unternehmen einsetzen wollen, wenn die eigenen Verpackungen bisher nicht rezyklierfähig waren? Wer trägt die Kosten der Packungsumstellung an der Maschine, deren Produktion bisher auf Effizienz und Hochleistung getrimmt war? Gibt es schon Lösungen jenseits von Kunststoff, die auch die Produktsicherheit garantieren und kostentechnisch im Rahmen liegen? Ist die CO2-Bilanz der potenziellen neuen Lösungen besser als die bisherige? Wird das recyclingfähige Material in den jeweiligen Absatzmärkten überhaupt wertstofflich verwertet oder gar gesammelt und sortiert?

Wie können potenzielle Lösungen erarbeitet werden?

Hier setzt ein wesentlicher Beratungspunkt von Pacoon an: Aufklärung über die wesentlichen Definitionen und Hintergründe, dazu gehört auch ein Blick auf die Gegebenheiten in den Absatzmärkten. Die Agentur hat in den letzten Monaten Informationen aus ca. 50 Ländern der Welt erhoben, die mit einem schnellen Blick eine Übersicht über die Situation vor Ort zu geben.

Dabei muss man gar nicht auf andere Kontinente schauen, um große Unterschiede zu sehen. Allein in Europa gibt es drei unterschiedliche Niveaus der Recyclinginfrastruktur: die hoch entwickelten Länder in Mittel- und Nordeuropa, die „Schwellenländer“ im Westen, Süden und Osten, und die „Entwicklungsländer“ im Südosten der EU.

Weltkarte zur Situation der Abfallbehandlung in der Welt

Die Situation der Abfallbehandlung in der Welt als Basis für die geeignete Nachhaltigkeits-Konzeption von Verpackungen. (Grafik: Pacoon©)

Keiner der Kunden der Designer vertreibt seine Produkte nur in Deutschland, daher ist eine übergeordnete Lösung nötig. Was in Deutschland recycelt werden kann, ist in anderen großen Absatzmärkten Europas im besten Fall für die Verbrennung gut – häufig landet die Verpackung aber noch auf der Deponie. Genauso unterschiedlich sieht es im Rest der Welt aus.

Recyclingfähige Verpackungen benötigen jeweils eine Anpassung an die regional unterschiedlichen Sammel- und Wiederverwertungsprozesse. Verpackungen für Regionen ohne Recyclinginfrastruktur erfordern eine ganz andere Herangehensweise.

Verpackungskonzept als Ganzes hinterfragen

EcoDesign heißt aber nicht nur Material zu tauschen, sondern auch das Verpackungskonzept als Ganzes zu hinterfragen. Welche Anforderungen stellt das Produkt an die Verpackung, was ist wirklich wichtig in der Logistik und im Absatzkanal? Welche Funktionen der Packung sind nur „nice to have“, was sind wirklich signifikante Kaufanreize und Notwendigkeiten im Handel?

So kann es etwa sein, dass ein sehr langes Haltbarkeitsdatum bei Frischeprodukten zwar eine hohe Sicherheit in der Logistik bietet, aber bei Schnelldrehern selten ausgereizt wird. Braucht es dann eine vielleicht besonders hohe Barriereanforderung überhaupt? Hier ist der intensive Dialog mit dem Handel gefragt.

Es ist daher angezeigt zu hinterfragen, ob die besonders hohen Anforderungen für einzelne Produkte eines Sortiments unbedingt das Mindestmaß für alle Produkte sein müssen – auch für die mit geringeren Anforderungen? Die wichtigsten Produkte sollten daher definiert werden, um für diese jeweils den optimalen Verpackungsmix zu finden. Hier können bewusst Sonderlösungen zugelassen werden.

Zehn Nachhaltigkeits-Ansätze zur Optimierung von Verpackungen.

Zehn Nachhaltigkeits-Ansätze zur Optimierung von Verpackungen. (Grafik: Pacoon©)

Die Strategie-Toolbox

Die Situation der Unternehmen stellt sich in der Regel daher komplexer dar, als es die Forderungen vermuten lassen, auch wenn sich die meisten Lösungsansätze darauf konzentrieren, das Material zu tauschen. Hierfür hat die Agentur die „10 R“ der nachhaltigeren Verpackung zusammengestellt, die die wesentlichen Strategieansätze aufzeigen. Die Lösung beruht zumeist nicht nur auf einem Ansatz, sondern auf der Kombination mehrerer Wege.

Rethink steht für das Hinterfragen der Verpackungen, ob ein anderes Verpackungskonzept Mehrwerte bietet oder die Logistik bzw. das Warehousing vereinfacht. Dazu gehören so einfache Dinge wie der Druckprozess oder ein Switch auf andere Behälter. Unsere Erfahrungen zeigen, dass durch Betrachtung der kompletten Supply Chain die Total-Cost-Optimierung auch Potenziale liefert, um die Verpackung zu verbessern, für das Unternehmen und den Anwender.

Refuse stellt die allgemeine Frage, ob die Verpackung, wie sie heute ist, notwendig ist – natürlich immer unter dem Gesichtspunkt der Produktsicherheit.

Reduce heißt nicht nur, weniger Verpackung zu verwenden, sondern z. B. auch das Verpackungsformat zu variieren – ein kompakteres Format spart schnell 15 bis 20 % Verpackungsmaterial.

Reuse ist derzeit noch nicht im Fokus vieler Unternehmen, es zeigt sich aber, dass dieser Ansatz vor allem auch im B2B-Sektor große Potenziale birgt. Reuse geht dabei auch gern einher mit Rethink.

Renew setzt vor allem dann an, wenn sich an der eigentlichen Art der Packung wenig ändern lässt oder die Optimierung schon weit vorangeschritten ist. Nachwachsende Ressourcen oder Energie sind insbesondere auch bei Verbrauchern emotional hoch angesiedelt.

Remove zielt auf die Vermeidung und den Ersatz von bedenklichen Stoffen, seien es gesundheits-bedenkliche oder umweltschädigende Materialien oder Prozesse.

Recycle bedarf heutzutage wenig Erläuterung und ist einer der am stärksten fokussierten Ansätze. Aber es ist auch wichtig zu sehen, ob Recycling dort überhaupt stattfindet, wo meine Produkte vertrieben werden.

Recover ist ein relativ junger Ansatz und versucht, Materialien aus bisher unbeachteten Prozessen wiederzugewinnen. Dies können Metalle aus der Schlacke des Papierrecyclings sein oder eine weitere Verwertung von Abfällen, insbesondere auch Elektroschrott. Hier entstehen neue Methoden, um an die Materialien zu gelangen.

Regenerate liegt noch in der Zukunft, beinhaltet aber z. B. die Nutzung von CO2 zur Herstellung von neuen Materialien.

(Re)Compost ist in vielen Ländern angebracht, die über keine Infrastruktur von Abfallsammlung, -sortierung und -recycling verfügen und wo die Verpackungen mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Natur landen. Dort sollten sie möglichst geringen Schaden anrichten und sich „in Luft auflösen“. In Ländern mit guter Infrastruktur ist Kompostierung weniger interessant, weil die Energie, die in die Verpackung gesteckt wurde, verloren geht.

Die ersten Schritte hin zu EcoDesign

Die meisten Handelsunternehmen haben in den letzten Monaten ihre eigenen Leitfäden oder Checklisten an Unternehmen verschickt oder erörtert, dass die Zielsetzung der nächsten Jahre hin zu Recyclingfähigkeit geht. So lauten auch die offiziellen Verlautbarungen in der Presse.

Einige geben sehr konkret die Optionen der neuen Materialien vor, andere zeigen Hindernisse im Recycling auf und versuchen, bessere Lösungen anzuregen. Für den Hersteller der Eigenmarken ergibt sich damit die Herausforderung, die Vorgaben des Handels zu harmonisieren, wenn er mehrere Handelsunternehmen beliefert, um seine Produktion zu optimieren.

Daher bietet sich nicht nur für Markenartikler an, ihre eigenen Ziele und Strategien zu definieren, die auch dann Bestand haben, wenn sich die Beziehung zum Handel oder zu dessen Forderungen ändern sollte. Schließlich muss sich die Marke im Wettbewerb dauerhaft differenzieren und den Verbrauchern Anreize schaffen.

In Zeiten, wo die Produktrezepturen größtenteils ausgereizt oder vergleichbar sind und der Verbraucher nachhaltigeres Handeln fordert, liegt eine Option in dem Markenauftritt über nachhaltigere Verpackungen – die Verpackung ist schließlich das wichtigste Kommunikationsmittel einer Marke (Touchpoint-Studie 2015; FFI Fachverband Faltschachtel-Industrie e. V.), sofern sie nicht über große Werbebudgets verfügt. Mehrere Studien (Nielsen, The sustainability imperative, 2011 ff., SmartCon, CSR Kompass Schokoladenprodukte 2018 u. a.) belegen auch den zunehmenden Einfluss von Nachhaltigkeit und nachhaltigen Verpackungen auf die Kaufentscheidung. Dies erfordert beherztes Handeln seitens der Industrie und ist aktuell auch sehr deutlich spürbar.

Peter Désilets (Bild: Pacoon)

Peter Désilets, Leiter Agentur Pacoon in München. (Bild: Pacoon)

Gastautor: Peter Désilets, Geschäftsführer der Pacoon GmbH, einer Designagentur für nachhaltige Verpackungslösungen mit Sitz in München und Büro in Hamburg.

Im nächsten Teil erläutern wir an konkreten Beispielen, wie die Strategie und Packungskonzepte Schritt für Schritt umgesetzt werden und wo Potenziale lauern können.

Und wir berichten von der „SOLPACK 3.0 – Internationale Konferenz für nachhaltige Verpackungen“, auf der die aktuellen und zukünftigen Entwicklungen bei Verpackungen diskutiert wurden.

Pacoon sieht noch großen Nachholbedarf beim Grundwissen zu nachhaltigen Verpackungen in Unternehmen. Daher bieten die Münchner in Kooperation mit der IHK München am 5. Juli 2019 einen ersten Schulungstag für Unternehmen an, der einen Überblick über die wichtigsten Themen und Definitionen geben soll. Ziel ist es, die Unternehmen auf einen hohen Wissenstand zu bringen und Ideen eher stärker in neue Lösungen zu investieren statt interne Meinungsunterschiede zu diskutieren. Es werden bis zu 200 Teilnehmer aus Südbayern und den angrenzenden (Bundes-)Ländern erwartet. Infos unter http://www.Pacoon.de.