In einem gemeinsamen Brief appellieren mehrere deutsche Branchenverbände an Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD), sich für eine Verschiebung des Geltungsbeginns der neuen EU-Verpackungsverordnung (PPWR) einzusetzen. Die aktuelle Frist zum 12. August 2026 führe zu erheblichen Umsetzungsproblemen. Das Schreiben liegt packaging journal vor.
Die unterzeichnenden Verbände – darunter namhafte Vertreter aus Verpackungsindustrie, Handel und Entsorgungswirtschaft – warnen in dem Schreiben vor „gravierenden praktischen Problemen“, sollte die neue EU-Verordnung wie geplant zum 12. August 2026 in Kraft treten. Stattdessen plädieren sie für eine Verschiebung auf den 1. Januar 2027, um Zeit für rechtssichere nationale Umsetzungen und Übergangsregelungen zu schaffen.
Rechtsunsicherheit und Planungsprobleme befürchtet
Konkret bemängeln die Absender, dass der Starttermin mitten im Geschäftsjahr liege und damit zwei unterschiedliche Rechtsregime innerhalb eines Kalenderjahres entstünden. Neue Definitionen wie „Hersteller“ oder „Erzeuger“ würden die bisherige Rollenverteilung in der erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) infrage stellen – mit möglicherweise weitreichenden Auswirkungen auf Lizenzierungsverpflichtungen, Finanzierungsstrukturen und Zuständigkeiten.
Zudem sei bis Ende 2026 unklar, wie das neue EU-Recht national umgesetzt werde. Das entsprechende deutsche Umsetzungsgesetz werde frühestens Mitte 2026 vorliegen, zentrale Auslegungsfragen auf EU-Ebene seien weiterhin unbeantwortet. In der Folge könnten duale Systeme, Hersteller und Kommunen weder Verträge abschließen noch Mengen planen oder Leistungen kalkulieren.
Gefahr für kommunale Leistungen und Systemstabilität
Besondere Sorge äußern die Verfasser hinsichtlich der Systemstabilität. Der parallele Vollzug alter und neuer Regelungen führe zu doppelten Verträgen, erhöhter Bürokratie und finanziellen Risiken. Ohne klare Verantwortlichkeiten sei die Finanzierung kommunaler Aufgaben wie Abfallberatung oder Containerreinigung gefährdet. Im schlimmsten Fall drohe eine Destabilisierung des gesamten EPR-Systems.
Verbände fordern Aufschub bis 1. Januar 2027
Ein europaweit koordinierter Aufschub auf den 1. Januar 2027 sei daher aus Sicht der Verbände der einzig praktikable Weg. Nur so lasse sich das Ziel einer geordneten, rechtssicheren und wirtschaftlich tragfähigen Umsetzung erreichen. Zudem entspreche eine Verschiebung dem EU-weiten Anspruch, Bürokratie abzubauen und Planungssicherheit zu gewährleisten.
Deutschland könne hier eine aktive Rolle einnehmen, heißt es weiter – auch weil vergleichbare Herausforderungen in anderen EU-Mitgliedstaaten bestünden.
Forderung mit Signalwirkung
Mit dem Schreiben senden die unterzeichnenden Verbände ein deutliches Signal in Richtung Bundesumweltministerium und EU-Kommission. Angesichts der engen Fristen und ungeklärten Umsetzungsfragen wird ein entschlossenes politisches Handeln eingefordert. Ob und in welchem Maße die Bundesregierung auf die Forderung eingeht, bleibt offen.
Das Schreiben im Wortlaut
Sehr geehrter Herr Bundesminister,
wir wenden uns heute mit einem dringlichen Appell an Sie: Setzen Sie sich bitte auf europäischer Ebene für eine Verschiebung des Geltungsbeginns der EU-Verpackungsverordnung (2025/40, PPWR) vom 12. August 2026 auf den 1. Januar 2027 ein. Der aktuelle Geltungsbeginn führt zu gravierenden praktischen Problemen, die wir im Folgenden im Überblick erläutern:
- Zwei Rechtsregime innerhalb eines Geschäftsjahres:
Ab dem 12. August 2026 gelten neue EU-Definitionen (u. a. „Hersteller“, „Erzeuger“), mit erheblichen Auswirkungen auf die Pflichtenverteilung im System der erweiterten Herstellerverantwortung (EPR). Die Pflicht für Unternehmen, Verpackungen zu lizensieren, verschiebt sich, was dazu führen kann, dass bislang Verpflichtete ihre Zahlungen einstellen oder reduzieren, weil unklar ist, wer künftig zuständig ist.
- Fehlende Rechtsklarheit auf EU- und nationaler Ebene:
Bis Jahresende 2026 bleibt das nationale Verpackungsgesetz teilweise anwendbar. Gleichzeitig liegt das deutsche Umsetzungsgesetz voraussichtlich erst Mitte 2026 vor. Auch zentrale Auslegungsfragen auf EU-Ebene – etwa zu Quotenfraktionen oder Verpackungskategorien – sind bislang unbeantwortet.
- Blockierte Planungs- und Vertragssicherheit:
Ohne Klarheit bei Definitionen und Pflichten können weder EPR-Systeme noch Hersteller verlässlich planen. Jahresverträge, Mengenprognosen und Preisgestaltungen sind unmöglich. Kommunen wiederum wissen nicht, ob und durch welches duale System Leistungen wie Abfallberatung oder Containerreinigung weiterhin finanziert werden.
- Bürokratie- und Finanzrisiken mit Systemrelevanz:
Der unterjährige Umstieg erfordert doppelte Verträge, Datenmeldungen und Abrechnungsverfahren – ein enormer Mehraufwand ohne ökologischen Nutzen. Gleichzeitig drohen Finanzierungslücken bei Systemleistungen, bis hin zum Ausfall kommunaler Aufgaben oder einer Destabilisierung von EPR-Strukturen.
Die Lösung: ein praktikabler, europaweit tragfähiger Aufschub: Eine Verschiebung des Geltungsbeginns der neuen Regeln auf den 1. Januar 2027 würde allen Beteiligten die notwendige Zeit verschaffen, um die neuen Regelungen rechtssicher und geordnet umzusetzen.
Nationale Umsetzungsgesetze könnten vorbereitet, offene Fragen auf EU-Ebene geklärt und wirtschaftlich tragfähige Übergangsregelungen geschaffen werden.
Zudem entspräche eine Verschiebung dem Ziel der EU, unnötige Bürokratie abzubauen und Planbarkeit zu gewährleisten – statt neue, vermeidbare Hürden aufzubauen. Auch in anderen Mitgliedstaaten sehen sich EPR-Systeme mit denselben Herausforderungen konfrontiert – Deutschland wäre mit einer solchen Initiative nicht allein, sondern könnte eine koordinierende Rolle übernehmen.
Wir bitten Sie daher mit Nachdruck, sich gegenüber der EU-Kommission und Ihren Kolleginnen und Kollegen in den Mitgliedstaaten für diese pragmatische und systemstabilisierende Anpassung stark zu machen.