Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat die Tübinger Verpackungssteuersatzung am 30. März 2022 für unwirksam erklärt. Jetzt liegt die Urteilsbegründung vor.
Seit Januar 2022 gilt in Tübingen eine Steuer auf Einwegverpackungen. Damit soll die zunehmende Vermüllung des Stadtbilds durch „to go“-Verpackungen reduziert und ein Anreiz zur Verwendung von Mehrwegsystemen geschaffen werden. Für jede Einweggetränkeverpackung, jedes Einweggeschirrteil und jede sonstige Einweglebensmittelverpackung sind 50 Cent fällig sowie 20 Cent für jedes Einwegbesteck-Set.
Die Franchise-Nehmerin des McDonald’s-Schnellrestaurants in Tübingen hatte gegen die Verpackungssteuersatzung geklagt und sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1998 berufen, nach dem die von der Stadt Kassel 1991 eingeführte Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen gegen das damals geltende Abfallrecht des Bundes verstieß.
So urteilt der VGH
Zur Begründung seiner stattgebenden Entscheidung führt der 2. Senat des VGH aus: Tübingen fehlt bereits die Kompetenz zur Einführung der Verpackungssteuer, da es sich nicht um eine örtliche Steuer handelt. Die Steuer sei nach ihrem Tatbestand nicht auf Verpackungen für Speisen und Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle begrenzt (wie die Kasseler Verpackungssteuer), sondern erfasse auch den Verkauf der Produkte zum Mitnehmen. Damit sei normativ der örtliche Bezug der Steuer nicht ausreichend sichergestellt und es sei nicht gewährleistet, dass der belastete Konsum und damit der Verbrauch der Verpackung vor Ort im Gemeindegebiet stattfänden. Bei Produkten zum Mitnehmen sei im Hinblick auf ihre Transportfähigkeit – auch über größere Strecken – ein Verbleiben im Gemeindegebiet nicht gewährleistet.
Die abweichende Auffassung der Stadt Tübingen würde das Tor zur Einführung aller möglichen Verbrauchsteuern durch die Gemeinden eröffnen. Dies sei durch das Grundgesetz aber ausgeschlossen. Denn Verbrauchsteuern seien Produktionskosten der Wirtschaft, die in einem einheitlichen Wirtschaftsgebiet eine einheitliche Steuergesetzgebung notwendig machen.
Die Verpackungssteuer stehe zudem in ihrer Ausgestaltung als Lenkungssteuer in Widerspruch zum aktuellen Abfallrecht des Bundes. Der Bundesgesetzgeber habe detaillierte Regelungen zur Vermeidung und Verwertung der gesamten Palette an Verpackungsabfällen und damit auch der Einwegverpackungen, die Gegenstand der Tübinger Verpackungssteuer seien, getroffen. Er habe damit darüber entschieden, mit welchen rechtlichen Instrumenten die Ziele der Abfallvermeidung und Abfallverwertung verwirklicht werden sollten, und damit gleichzeitig insbesondere auch darüber, in welchem Umfang die Ziele der Abfallvermeidung und Abfallverwertung verfolgt werden sollten. Danach handele es sich beim Verpackungsgesetz um ein geschlossenes System, das Zusatzregelungen durch den kommunalen Gesetzgeber ausschließe.
Auch der Vorrang der Abfallvermeidung begründe für die Kommunen nicht die Zuständigkeit, die abfallwirtschaftliche Zielsetzung der Abfallvermeidung eigenständig „voranzutreiben“. Auch wenn das Ziel einer Reduzierung des Verpackungsaufkommens auf Grundlage der bisherigen Regelungen im Verpackungsgesetz nicht (ausreichend) erreicht worden sein sollte, sei es Sache des Bundesgesetzgebers, für Abhilfe zu sorgen und das Regelungssystem des Verpackungsgesetzes fortzuentwickeln. Etwaige Versäumnisse des Bundesgesetzgebers berechtigten die Kommunen nicht dazu, dessen Entscheidungen in eigener Zuständigkeit zu „verbessern“.
Gemeinderat entscheidet über Revision
Ob die Universitätsstadt Tübingen in Revision geht, entscheidet nun der Gemeinderat. Bis zu einem rechtsgültigen Urteil bleibe die Satzung in Kraft, heißt es. Die Stadtverwaltung hat deshalb alle Betriebe darum gebeten, bis auf Weiteres bei dem bisherigen Verfahren zu bleiben.
Oberbürgermeister Boris Palmer zeigt sich von der Begründung des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Mannheim überrascht.
“Das Gericht sagt letztlich, die Kommunen müssen sich mit der ausufernden Verpackungsflut abfinden. Nur der Bund dürfe entscheiden, wieviel unnötigen Müll wir jeden Tag in den Städten einsammeln und wegschaffen. Es sei uns verboten, die Situation zu verbessern, selbst, wenn wir damit an den Zielen arbeiten, die der Bund selbst festgelegt hat. Im Gesetz steht davon nichts, der Bundesgesetzgeber sollte deshalb klarstellen, ob dies tatsächlich seine Absicht ist. Die grüne Bundesumweltministerin ist klar gefordert, denn alle bisherigen Maßnahmen gegen den to go-Müll waren wirkungslos und haben jedes Jahr zu mehr Müll und Ressourcenverschwendung geführt.“
Boris Palmer, Oberbürgermeister Tübingen
Wenig überzeugend ist für Palmer auch das zweite Argument des VGH, es bestehe die Gefahr, dass Tübingen eine Steuer auf den örtlichen Verbrauch erhebe, obwohl der Coffee to go oder die warme Pizza möglicherweise außerhalb Tübingens verzehrt werde: „Der Lebenswirklichkeit entspricht es nicht, sich in der Tübinger Fußgängerzone einen Cappuccino to go zu kaufen und damit bis nach Reutlingen zu fahren, um ihn außerhalb der Stadtgrenzen zu trinken.“
Die Stadtverwaltung prüft nun die genaue Urteilsbegründung mit Hilfe der eingeschalteten Rechtsanwaltskanzlei und wird dem Gemeinderat abhängig vom Ergebnis eine Empfehlung über die mögliche Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht vorlegen. Aufgrund der gesetzten Fristen muss die Entscheidung in der Gemeinderatssitzung am 28. April getroffen werden.
Quelle: VGH und Stadt Tübingen
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