E-Commerce spielt im deutschen Lebensmitteleinzelhandel noch keine große Rolle. Trotzdem geht der Trend unaufhaltsam zum Food-Shoppen im Internet. Darauf müssen sich auch die Hersteller von Verpackungsmaschinen einstellen. Diese müssen wesentlich flexibler werden.
Beim Lebensmitteleinkauf sind die Deutschen konservativ. Sie kaufen bevorzugt in einem der vielen Lebensmittelmärkte. Nur 1,1 Prozent betrug im Jahr 2016 der Anteil des Onlinehandels am Lebensmittelumsatz zwischen Flensburg und Berchtesgaden. In Großbritannien waren es hingegen bereits 6,9 Prozent, in Frankreich 5,3 Prozent.
Die Arbeitsgemeinschaft Abfüll- und Verpackungsprozesse der Industrievereinigung für Lebensmitteltechnologie und Verpackung (IVLV) hat sich dafür interessiert, warum dies so ist und wie sich die Digitalisierung des Lebensmitteleinkaufs auf die Wertschöpfung des deutschen Lebensmitteleinzelhandels auswirken wird. Ein Jahr lang erforschte die „Fraunhofer-Einrichtung für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik“ (IGCV) im Auftrag des IVLV das Thema. „Werden Verpackungsprozesse an einer anderen Stelle der Wertschöpfungskette stattfinden, da Lebensmittel erst in einem lokalen und dezentralen Distributionszentrum verpackt werden?“ Entfallen gar ganze Glieder der bisherigen Wertschöpfungskette? Das waren Fragen, die mithilfe von Marktanalysen und -prognosen sowie Experteninterviews untersucht wurden.
Wertschöpfung verteilt sich künftig auf verschiedene Kanäle
„Den“ Wertschöpfungsprozess im Lebensmitteleinzelhandel wird es künftig nicht mehr geben, fanden die Studienautoren Lucas Kiefer und Martin Schreiber heraus. Sie identifizierten „Zukunftsbilder“, aus denen verschiedene Anforderungen an die Verpackungstechnik erwachsen. Der herkömmliche Ablauf, dass ein Produzent seine Waren bereits fertig verpackt zum Verkauf im stationären Handel übergibt, ist nur noch ein Szenario. Viel häufiger als dieses Modell, bei dem die Wertschöpfung inklusive der Verpackung beim Produzenten liegt, so postuliert die Studie, wird künftig gelten: „Der Point of Sale befindet sich im virtuellen Warenkorb.“ Produkte werden auf Internetplattformen präsentiert und je nach Kundenbestellung zu individuellen Lieferungen zusammengefasst, separat verpackt und dann ausgeliefert.
Bereits jetzt gibt es für nahezu jeden Geschmack Onlineangebote: deutschlandweite E-Commerce-Portale für Lebensmittel, regionale Angebote sowie Shops mit und ohne Frischwaren. Die Wertschöpfung wandert dabei in Richtung Vertrieb und Distribution. Produzenten liefern ihre Waren häufiger „lose“ oder in Großgebinden an Versender, wo sie je nach Kundenwunsch individuell zusammengestellt und verpackt werden. Innovative Logistiksysteme sind wichtige Schlüsseltechnologien, um die flexible und kurzfristige Verfügbarkeit online bestellter Lebensmittel zu sichern.
Für jeden Kundengeschmack werden eigene Verpackungskonzepte benötigt
Weil jeder Kundengeschmack unterschiedlich ist, die Kunden aber selbst mit kleinsten Mengen schnell beliefert werden wollen, stehen die Hersteller von Verpackungsmaschinen vor besonderen Herausforderungen: Gefragt sind „format-, gestaltungs- und mengenflexiblere Verpackungsanlagen“, schreiben Kiefer und Schreiber. Das gilt besonders für die in der Studie genannten Zukunftsbilder „Premiumkäufe“, „Individualkäufe“ und „Spontankäufe“.
Während Premiumkauf-Kunden besonders hochwertige Nischenprodukte bei kleinen Händlern oder direkt beim Produzenten ordern, stellen sich Individualkunden bei großen Internetportalen ihren Einkauf aus einem riesigen Angebot zusammen. Spontankäufer wiederum entscheiden sich intuitiv für fertige Gerichte oder Zusammenstellungen und bestellen bei Spezialversendern. Der Unterschied der Modelle liegt darin, dass für den Premiumkauf-Fall eher kleine, durch die Produzenten leicht bedienbare Maschinen benötigt werden, während in den beiden anderen Fällen die Kommissionierung und Verpackung in zentralen oder dezentralen Logistikzentren stattfinden. Dort müssen die Anlagen vor allem flexibel sein und schnelle Chargenwechsel ermöglichen. Immer aber sind hochwertige Verpackungen aus idealerweise nachhaltigen Materialien gefragt.
Etwas anders sieht dies bei dem Modell aus, das dem Familiengroßeinkauf der analogen in der digitalen Welt entspricht. Auch Masseneinkäufe werden künftig online erledigt und dann eventuell in einem Supermarkt als bereits fertig zusammengestelltes und bezahltes Paket abgeholt. Verpackungen für diesen Fall müssen vor allem „quadratisch, praktisch, gut“ und leicht zu transportieren sein, geht aus der IVLV-Studie hervor. Verpackungsmaschinen müssen also große Mengen von Produkten flexibel bündeln und verpacken können.
Keine Einheitsverpackungen im Online-Handel
Was sind die Gründe für den Trend zum E-Commerce im Lebensmitteleinzelhandel? Sind Verpackungsmaschinenhersteller den Anforderungen gewachsen? Das „packaging journal“ befragte dazu die Studienautoren M.Sc. Lucas Kiefer und M.Sc. Martin Schreiber.
pj: Welche Faktoren sind es vor allem, die dem E-Commerce auch hierzulande zum Durchbruch verhelfen werden?
Martin Schreiber: Für den Erfolg des E-Commerce im Lebensmittelbereich sind in erster Linie eine ausgeprägte Kundenorientierung, Diversität des Produktangebots sowie ein an den Bedürfnissen der Kunden orientiertes Dienstleistungsangebot entscheidend.
Vor allem Produkte mit hoher emotionaler Bindung des Kunden wie etwa Fleisch besonderer Herkunft werden in Zukunft zunehmend über das Internet bestellt werden. Da diese Produkte bislang nur von kleinen Händlern in kleineren Chargen bestellt werden, sind sie teuer und nur begrenzt verfügbar. E-Commerce macht sie besser zugänglich und sorgt für höhere Umsatzzahlen für diese Produkte. Für die Produzenten werden diese Nischen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Eine Hauptzielgruppe des E-Commerce werden allem ältere Konsumenten sein. Mehrere Studien zeigen, dass die Zahl der sogenannten „Silver Surfer“ über 50 Jahren sehr stark steigt. Wer diese Gruppe mit Services wie intuitive Bestellabwicklungen oder Lieferungen zum Wunschzeitpunkt für sich gewinnen kann, wird ein sehr lukratives Geschäftsmodell ableiten können. Die Unternehmen müssen ihre Wertschöpfungskette entsprechend anpassen.
pj: Um schnell und flexibel auf Online-Bestellungen reagieren zu können, braucht es hochgradig vernetzte Systeme. Sind die dafür notwendigen Investitionen von kleinen Anbietern überhaupt zu stemmen?
Lucas Kiefer: Diese Frage lässt sich mit einem Blick auf die technischen Entwicklungen in der Consumer-Industrie beantworten. Während vor 20 Jahren nur Experten Online-Shops und IT-Systeme zur intelligenten Bestellabwicklung entwickeln und betreiben konnten, gibt es heute eine Vielzahl an Anbietern. Im Gegensatz zu großen Anbietern haben kleinere Unternehmen und Anbieter den Vorteil, dass der Digitalisierungsaufwand der Wertschöpfungskette und die resultierenden Datenmengen deutlich geringer sind. Dadurch kann auf kostengünstigere IT-Lösungen zurückgegriffen werden. Kleinere Anbieter können auch Plattformen nutzen, welche die benötigte Infrastruktur bereitstellen und damit die Reichweite ihres Angebotes steigern.
pj: Gerade bei Lebensmitteln spielt die Schutzfunktion der Verpackung eine wichtige Rolle. Zugleich erwarten die Verbraucher leichte, flexible und recycelbare Verpackungen. Welche Materialien werden vor allem zum Einsatz kommen?
Lucas Kiefer: Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass es nicht den „einen“ E-Commerce im Lebensmittelbereich geben wird. Daher gehen wir in naher Zukunft nicht von großen Änderungen im Bereich der Packmittel und Materialien aus. Das von uns gezeichnete Zukunftsbild der Masseneinkäufe im Internet, welches von mehreren befragten Experten mit der „grauen“ Einheitsverpackung in Zusammenhang gebracht wurde, die deutliche Auswirkungen auf die Verpackungsbranche haben wird, stellt aus unserer Sicht die letzte Ausbaustufe des E-Commerce im Lebensmittelbereich dar.
pj: Sind die Verpackungsmaschinenhersteller auf die neue Zielgruppe bereits eingestellt? Kleine Händler und Produzenten stellen sicher andere Anforderungen an die Maschinen hinsichtlich Flexibilität und leichter Bedienbarkeit.
Lucas Kiefer: Die Verpackungsmaschinenhersteller haben sich lange auf eine möglichst hohe Gesamtanlageneffektivität und einen hohen Durchsatz spezialisiert. Aus ökologischer Sicht war dies der beste Weg, um die Verschwendung von Lebensmitteln zu minimieren. Derart gestaltete Maschinen weisen jedoch sehr große Defizite im Hinblick auf die Mengen- und Formatflexibilität auf. Das haben bereits mehrere Anlagenhersteller erkannt und beteiligen sich aktuell an Forschungsprojekten, in welchen auch das Fraunhofer IGCV vertreten ist. Zu nennen sind „RoboFill – Individuelle Abfüllung von Bier“ und „AutoPack – Optimierung und Flexibilisierung der Sekundärverpackung mittels physikbasierter Simulation“. Der Großteil der Hersteller ist jedoch nach den Ergebnissen der Studie für diese Anforderungen nicht gerüstet.
pj: Blicken wir fünf Jahre nach vorn: Werden wir uns dann einen normalen Einkauf innerhalb weniger Stunden nach Hause liefern lassen können? Und wie sind diese Waren verpackt?
Martin Schreiber: „Same day order, same day delivery“ ist der große Wunsch vieler Kunden. Diese Lieferform ist jedoch sehr teuer. Um dies in der Fläche anbieten zu können, sind hohe Investitionen erforderlich. Konsumenten müssten dafür eine Zusatzgebühr bezahlen. Wahrscheinlich werden die deutschen Konsumenten dies nur in Einzelfällen akzeptieren. Deutlich wahrscheinlicher ist es, dass es vielfältige Ausgestaltungen der Logistiksysteme und Transportsysteme geben wird und sich der Konsument den für ihn geeigneten Kanal auswählt. Wir erwarten Modelle mit logistisch optimierten Routenplanungen und entsprechend kurzen Lieferzeiten. Insbesondere das sogenannte Selbstabholerkonzept wird einen hohen Marktanteil einnehmen. Dieser Trend ist auch in unseren europäischen Nachbarländern zu beobachten.