Spelzen fallen in der Getreideverarbeitung als ungenutzte Reststoffe an. Ein Stuttgarter Start-up nutzt das natürliche Material, um daraus ein ökologisches Verpackungsmaterial herzustellen, das expandiertes Polystyrol (EPS) und andere Kunststoffschäume und Polsterungslösungen ersetzen kann. Zahlreiche Kleinserien hat das junge Unternehmen schon hergestellt, jetzt will man mit der automatisierten Produktion in größerem Maßstab loslegen und hat die Finanzierungsrunde mit einer Crowdinvesting-Kampagne gestartet.
Es begann als Abschlussarbeit im Studiengang Packaging Development & Management an der Stuttgarter Hochschule der Medien. Dort entwickelte die damalige Masterstudentin Lisa Scherer 2021 ein ökologisches Verpackungsmaterial aus den Getreidespelzen. Diese sorgen aufgrund natürlich gewachsener Hohlräume für gute isolierende und stoßdämpfende Eigenschaften. „Um die für die Polster- und Isolationswirkung nötige Porosität zu erreichen, werden bei herkömmlichen Materialien unter hohem Energieaufwand Hohlräume und Lufteinschlüsse erzeugt. Anstatt immer wieder fossile Rohstoffe für neue Kunststoffverpackungen energieintensiv zu verarbeiten, besteht unser organisches Verpackungsmaterial aus weitgehend ungenutzten pflanzlichen Reststoffen. Das Ausgangsmaterial unserer Verpackungen fällt täglich in großen Mengen ohnehin bei der lokalen Getreideverarbeitung an. Somit werden keine zusätzlichen Anbauflächen oder Ressourcen benötigt und kein weiterer Baum gefällt“, erläutert Lisa Scherer.
Gemeinsam mit drei anderen gründete sie Ende 2022 das Bioökonomie-Start-up Proservation. Zum Gründungsteam gehören die Verpackungstechnikerin Sophia Scherer, der Wirtschaftsinformatiker Nils Bachmann und Henning Tschunt, der nachhaltige Unternehmensführung studiert hat. Über die vier Gründungsmitglieder hinaus ist das Team inzwischen auf zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewachsen.
“Derzeit arbeiten wir daran, die Produktion zu automatisieren, um größere Mengen unseres Materials in gleichbleibender Qualität herzustellen. Dazu haben wir im letzten Jahr gemeinsam mit einem Maschinenbaupartner alle Prozessparameter erfasst und wollen diese Erkenntnisse nun in automatisierte Prozesse übertragen.“
Henning Tschunt, Geschäftsführer
Erfolgreiche Crowdinvesting-Kampagne
Zur Finanzierung startete Proservation im Januar eine Crowdinvesting-Kampagne. „Die Kampagne lief sehr gut an, nach zehn Tagen hatten wir schon 80 Prozent unserer Zielsumme von 500.000 Euro eingesammelt. Jetzt haben wir verlängert und auf 650.000 Euro erhöht.“ Die gesammelten Mittel sollen in die weitere Skalierung, die Automatisierung der Produktionskapazitäten und den Ausbau der Vertriebstätigkeiten investiert werden. So soll noch in diesem Jahr eine bereits fertig konzipierte Pilotanlage aufgebaut werden. Henning Tschunt: „Das Ziel ist es allerdings, langfristig keine eigene Produktion zu betreiben, sondern unsere Technologie über Lizenznehmer und Auftragsproduktion dezentral und regional einzusetzen. Synergetisch wäre hierbei, dass klassische Styroporhersteller, die ihr Angebot um Naturmaterialien erweitern möchten, unsere Anlage in ihre Produktionen integrieren.“
Proservation-Mitgründer Nils Bachmann ergänzt: „Unser Anspruch ist es, die regionale Wertschöpfung zu stärken und damit unsere Unabhängigkeit gegenüber internationalen Liefer- und Produktionsverhältnissen zu erhöhen. Wir kooperieren mit lokalen Spelzmühlen und möchten durch eine möglichst dezentrale Produktion auch zukünftig nötige Transportwege auf ein Minimum reduzieren. Langfristiges Ziel ist es, dass überall dort, wo geeignete Reststoffe anfallen und fragile Güter für den Transport verpackt werden, Produktionsstandorte für unsere Lösung entstehen.“
Naturmaterial für den Transport schwerer Güter
Das neuartige Spelzenmaterial nennt sich RECOU und eignet sich unter anderem als Verpackungsmaterial für den Transport von schweren Gütern. „Für deren Verpackung gibt es derzeit auf dem Markt kaum Naturmaterialien“, sagt Tschunt. „Unser Zielmarkt ist die sogenannte weiße Ware, also Haushaltselektronik, Waschmaschinen, Kühlschränke, Dunstabzugshauben oder Ähnliches. Vieles davon wird zwar in Südostasien produziert und verpackt, aber es gibt auch deutsche bzw. europäische Hersteller. In jedem Fall wird viel Styropor für eine kurze Nutzungsdauer verbraucht, mit den bekannten negativen Umweltauswirkungen.“