Wir entscheiden schnell. Sehr schnell. Von der visuellen Wahrnehmung bis zur Entscheidung, wie uns etwas anspricht, vergehen nur wenige Sekunden. Das findet entsprechende Berücksichtigung bei der Entwicklung und Gestaltung eines Verpackungsdesigns.
Sollte es zumindest, denn die Verpackung fungiert ja auch als Markenbotschafter. Und das bitte möglichst erfolgreich und in digitalen Zeiten auch über alle Vertriebskanäle hinweg, also sowohl im stationären Handel als auch im E-Commerce. Da stellt sich allerdings die Frage, ob die Anforderungen an die Verpackung für den Onlineshop andere sind als für die im Supermarktregal und welche differenzierten Möglichkeiten der Verpackungsentwicklung sich aus den unterschiedlichen Distributionswegen ergeben könnten.
Multisensorik und „unboxing experience“
Sinnliches Erfahren durch Berührung oder durch Geruchssinn entfällt naturgemäß im digitalen Umfeld. Multisensorische Produktverpackungen punkten somit in der „realen“ Welt deutlich besser. Auch werden in Onlineshops oft die primären Packmittel gezeigt und nicht die aus dem Handel bekannten Umverpackungen. Hier muss der Wiedererkennungswert der Marke gewährleistet werden.
Aber zugleich lässt sich Potenzial erschließen, denn in welcher Umverpackung und mit welchem Auspackerlebnis, der vielbeschworenen „unboxing experience“ also, dann der Konsument letztendlich sein Produkt in den Händen halten wird, kann hier neu erdacht und gestaltet werden. Und zwar nicht nur hinsichtlich der verwendeten Materialien, sondern auch in Bezug auf andere Formate bzw. Verpackungsgrößen. Gleichzeitig sollte man sich dessen bewusst sein, dass je nach gewähltem Vertriebspartner ein Unternehmen nicht mehr unbedingt die letzte Kontrolle hat, wie seine Ware verschickt wird.
Kontakt und Kommunikation
Das Umfeld für die Kontaktaufnahme mit einem Produkt bzw. einer Marke ist im E-Commerce eine andere. Produkte können ohne Mühe und Zeitverlust mit weiteren Informationen in gewünschter Schriftgröße und mit zusätzlichem (Bewegt-)Bild angereichert werden. Da sind im stationären Handel (noch) Hilfsmittel wie QR-Code oder eine App vonnöten. Der Begriff „Smart packaging“ steht für diese Veränderung.
Aber zugleich ist das produzierende Unternehmen nicht mehr der einzige Informationsgeber für den Konsumenten. Alternative Quellen, Erfahrungsberichte und Produktbewertungen können in Sekundenschnelle abgerufen werden. Der Verbraucher wird mündiger.
Was bedeutet dies aber nun für die Markenbildung und -pflege? Müssen gleich kostenintensive unterschiedliche Verpackungen für die verschiedenen Distributionswege aufgelegt werden? Wie können Unternehmen von der Entwicklung profitieren?
Darüber haben wir mit Arne Fehlhaber gesprochen. Er ist seit 2018 Partner und Geschäftsführer bei der Hamburger Kreativagentur Brandpack und verantwortet dort den Bereich Kreation. Seiner Einschätzung nach hat die Verpackungsbranche erkannt, dass sich etwas bewegen muss.
pj: Herr Fehlhaber, selbst die Modezeitschrift Vogue beschäftigte sich 2018 mit der Frage, wie Instagram die Verpackung von Kosmetikprodukten verändert hat. Welche Bedeutung hat Ihrer Einschätzung nach die digitale Entwicklung mit zunehmendem E-Commerce und steigendem Einfluss der sozialen Medien tatsächlich für das Verpackungsdesign?
Meiner Erfahrung nach, ist und bleibt es entscheidend, dass ein Verpackungsdesign strategisch zur Marke und Zielgruppe passend entwickelt und gestaltet wird. Dann funktioniert es über alle Kanäle hinweg. Beide „Welten“ bieten, zeigen und vertreiben schließlich ein Produkt, also ist es streng genommen ein „Regal & Digital“. Wir müssen nicht etwas in Konkurrenz stellen, was in der Realität vielmehr eine wertvolle Ergänzung ist.
pj: Entscheidend bleibt also der visuelle Wiedererkennungswert?
Sowohl am Regal als auch im digitalen Raum erfahren wir als Konsumenten eine Annäherung an das Produkt bzw. die Marke. Und am besten ist es, wenn der Verbraucher nicht umdenken muss. Also ein klares Ja von meiner Seite. Die größten, zum Teil noch ungenutzten Potenziale im E-Commerce sehe ich eher woanders. Richtig interessant wird es für die Marken bei den beiden Punkten: Transport (nach Haus) und Lagerung (zu Haus).
pj: Welches Potenzial sehen Sie hier?
Mehrwegtransportkisten ermöglichen den Einsatz weniger robuster, aber dadurch auch ressourcenschonenderer Materialien und Produktionsverfahren. Zudem sind größere und transportoptimierte Einheiten und Formate möglich. Mehr Ware und weniger Luft wird bewegt. Da sind wir beim Thema Nachhaltigkeit. Auch zu Hause beim Konsumenten ergeben sich dadurch neue Perspektiven. Produkte können besser verstaut werden, können „praktischer“ verwendet werden und müssen eventuell nicht so häufig nachgekauft werden.
pj: Man kann also mit den Faktoren Verpackungsgröße, Materialien und Lagerung spielen? Haben Sie da ein Beispiel für uns?
Ein gutes Beispiel ist die Eco-Box für das Tide Flüssigwaschmittel: eine Bag-in-Box-Lösung mit integriertem Drehhahn. Dabei werden auch noch 60 Prozent Kunststoff eingespart. Dieses Beispiel zeigt deutlich die Unterschiede, aber eben auch die Möglichkeiten beider Kanäle auf.
Im Handel funktioniert die robuste Plastikflasche mit individueller Formsprache und entsprechend boldem Design. Die Eco-Box mit größerem Inhalt, weniger (robustem) Verpackungsmaterial ist effizienter in der Supply Chain, weil sie platzsparender ist und ideal für den Gebrauch zu Hause, durch die convienente Entnahme. Dieses Beispiel zeigt aber auch die Notwendigkeit einer übergreifenden Designsprache – hier wurde die Plastikflasche als Key-Visual der Marke auf die Eco-Box gedruckt –, um eine Wiedererkennbarkeit der Marke und des Produkts zu gewährleisten.
pj: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang dann noch der Shelf-Impact, also die visuelle Wirkung einer Verpackung im Regal?
„Shelf impact“, eines der Buzzwords in den Marketingbüros weltweit, wird langsam ersetzt durch „unboxing experience“. Es geht also um den Moment und das Erleben des Auspackens. Hier greifen uralte frühkindliche Emotionen und Freuden (hoffentlich). Das eröffnet auch uns Designern neue Chancen. Wir können subtiler, feiner und, in unseren Augen, auch wertschätzender arbeiten als lediglich über das Momentum von Größe und Lautstärke des Designs.
pj: Markenartikler wie Coca-Cola setzen auf personalisierte Coke-Flaschen, Ferrero startet eine Aktionspackung mit „Dein Gesicht auf kinder Schokolade“. Inwieweit rechnet sich das überhaupt, und wird die Individualisierung von Produkten oder „production on demand“ eine noch größere Rolle spielen?
Natürlich ergeben sich durch die Digitalisierung viele interessante neue Möglichkeiten. Und sicherlich werden solche Kampagnen nicht notwendigerweise auf einer rein zahlenbasierten Faktenlage initiiert. Sie können ja durchaus besondere Herausforderungen auf der logistischen Ebene beinhalten. Entscheidend ist letztendlich die Antwort zur Frage: „Was leisten sie für einen Wert für die Marke?“ Als Verbraucher benötigen wir ja auch Konstanten, beständige Dinge, auf die wir uns verlassen und an denen wir uns orientieren können.
Promotion, ein kurzweiliges Durchbrechen eben dieser Konstanten, mithilfe der Individualisierung funktioniert sehr gut. Es schafft Aufmerksamkeit, kann eine neue Facette der Marke bzw. des Produkts aufzeigen, um auch etwas von der Haltung der Marke – eine Ebene, welche zunehmend wichtig wird – zu kommunizieren. Die direkte Ansprache, „oh, die Marke spricht mich persönlich an“, kann Sympathie und entsprechend Markenbindung schaffen. Danach muss die Marke aber auch wieder in ihre eventuell leicht veränderten Konstante zurückfinden.
pj: Apropos Markenwert. Was bedeutet der „mündige Verbraucher“, der sich digital informiert und austauscht, für die Markenführung?
Der Zeitraum der Informationsaufnahme ist digital in der Regel deutlich länger – dadurch aber auch kritischer. Und die Möglichkeiten des Konsumenten, sich parallel bei anderen Konsumenten über ihre Erfahrungen auszutauschen und somit Aussagen zu hinterfragen, sind um ein Vielfaches größer. Nicht nur der Konsument wird „gläserner“ – der Interpretationsspielraum für Aussagen der Absender wird kleiner und somit auch der Raum für Fehler. Vertrauen in Marke und Produkt, über Jahre und Jahrzehnte mühsam aufgebaut, kann jetzt in kürzester Zeit in Schutt und Asche liegen. Ist das schlecht? Nein! Der Druck zu Ehrlichkeit kann in diesem Fall nur positiv sein.
pj: Sie sind Kommunikations- und Grafikdesigner mit über 15 Jahren Agenturerfahrung, aber natürlich auch privater Konsument. Inwieweit haben die digitalen Möglichkeiten die Branche verändert? Und diese Frage darf natürlich nicht fehlen: Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?
Wie in den allermeisten Bereichen hat auch in unserer Branche die Schnelligkeit – man kann auch sagen „die Hektik“ – zugenommen. Aber auch hier bieten sich durch die digitalisierte Vernetzung entsprechend neue Möglichkeiten. In diesem Zusammenhang fällt auch immer mal der Begriff „phygital“, der die Verschmelzung der physischen und digitalen Welt beschreibt. So werden auch die Grenzen zwischen Regal und digital weiter verschwimmen.
Der Wert einer fundierten, holistischen Markenarbeit mit klarer Aussage und Haltung wird diesbezüglich weiter zunehmen – und hoffentlich auch erkannt. Für unsere Kunden, aber auch für uns Agenturen, wird dies bedeuten, dass wir stärker vernetzt gemeinsam für diese Marke arbeiten können und vor allem müssen. Das bedeutet, die unterschiedlichen Expertisen (Diversität) zusammenzubringen, um ein möglichst komplettes Bild zu bekommen, sodass sich die unterschiedlichen „Gewerke“ auch auf ein klares Markenbild hin entwickeln können.