„Die Verpackung ist noch immer eines der wichtigsten Medien“

Claudia Schuh (Bild: Lorentzen & Sievers)

Claudia Schuh entwickelt seit über 30 Jahren Verpackungslösungen für Frischeprodukte bei Lorentzen & Sievers, einem Unternehmen der Prodinger Gruppe. Ein Gespräch über das nahende Verbot von Kunststoffverpackungen für Obst und Gemüse, Verbrauchergewohnheiten, den Lebensmitteleinzelhandel und mögliche Konsequenzen für das zukünftige Packaging.

Mit dem Inkrafttreten der neuen EU-Verpackungsordnung (PPWR) werden bekanntermaßen Einwegverpackungen für frisches Obst und Gemüse mit einem Gewicht unter 1,5 Kilogramm ab dem 1. Januar 2030 verboten sein. Vor welche praktischen Herausforderungen stellt dies Lorentzen & Sievers? Wie beurteilen Sie diese Vorgabe?

Claudia Schuh: Ab 2030 werden lediglich Kunststoffverpackungen für Obst und Gemüse unter 1,5 Kilogramm verboten sein – mit noch durch die Kommission in Einklang mit den Mitgliedstaaten festzulegenden Ausnahmen. Warum ausgerechnet Obst und Gemüse unter ein derartiges Verbot fällt, erschließt sich uns nicht. Der Fruchthandel ist ein globaler und volatiler Markt. Es ist eben ein Frische- und kein Industrieprodukt. Treten irgendwo beispielsweise Wetterextreme auf, muss die Beschaffung häufig sehr kurzfristig umorganisiert werden. Der Verbraucher ist es außerdem gewohnt, nahezu alles zu jeder Zeit zu bekommen. Es wird eine große Herausforderung, die komplette Lieferkette zukünftig so zu gestalten, dass auf die Primärverpackung aus Kunststoff verzichtet werden kann, ohne an anderen Stellen die CO2-Bilanz zu erhöhen. Die Herausforderungen sind also riesig, aber für Full-Service-Anbieter wie uns, auch wieder zuträglich. Je größer die Herausforderungen, desto umfangreicher unsere Funktion.

Welche konkreten Auswirkungen der PPWR auf die gesamte (internationale) Wertschöpfungs-/Lieferkette sind zu erwarten? Und wie positioniert sich der LEH?

Claudia Schuh: Alle Szenarien der PPWR-konformen Verpackungsgestaltung, die wir bisher durchgespielt haben, wirken sich auf die Kosten aus. Wir sehen sowieso bereits einen Trend, weg von der Eigenversorgung in Deutschland zu kostengünstigeren Importen, der durch die PPWR noch begünstigt werden könnte. Andererseits werden Importe aus Drittländern vor dem Hintergrund der Rezyklateinsatzvorgaben schwieriger. Ob es aber allen Drittländern gelingt, ihre Verpackungen PPWR-konform zu gestalten, bezweifeln wir. Selbst das Umpacken in PPWR-konforme Verpackungen in der EU ist nicht möglich, weil das Inverkehrbringen, also die Einfuhr in die EU, gar nicht erst zulässig ist.

Der LEH bereitet sich, jeder auf seine Art und Weise, auf die Umsetzung der Vorgaben vor, wird sich im Einzelnen zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht in die Karten schauen lassen. Abgesehen davon dürfen wir keine Informationen dazu weitergeben. Der aber kürzlich veröffentlichte Versuch mehrerer Handelsketten, Champignons in einer Mehrwegschale zu vermarkten, kann als Symbol betrachtet werden.

Gerade für das Segment Obst und Gemüse hört man immer wieder das Argument, dass in Bezug auf Nachhaltigkeit der gesamte Produktlebenszyklus zu berücksichtigen sei. Inwiefern ergeben sich aus dieser Perspektive Konsequenzen für das zukünftige Packaging?

Claudia Schuh: Es ist tatsächlich so, dass vom Saatgut bis zum Endkonsumenten und vom Materialinput bis zur Entsorgung die komplette Wertschöpfungskette dreidimensional berücksichtigt werden muss. Nehmen wir den Fall der Gurken, die nicht mehr in Folie vermarktet werden durften. Ein Teil der Lösung war das richtige Saatgut. Damit verändert sich die Funktion der Verpackung. Aber es ist nicht nur der Produktlebenszyklus, der berücksichtigt werden muss. Auch die Digitalisierung spielt eine entscheidende Rolle, zum Beispiel in der Lagerautomatisierung. Die Entwicklungen spielen uns in die Karten, nicht nur bei Obst und Gemüse. Wer Ultrafrische im globalen Warenverkehr und Massengeschäft verpacken kann, kann eigentlich alles verpacken und promoten. Die Konsequenzen für das zukünftige Packaging sind erst einmal noch mehr Individualisierung, noch mehr Berücksichtigung der kompletten Wertschöpfungskette. Am Ende ergibt sich daraus hoffentlich eine neue Standardisierung und damit Reduzierung auf das Wesentliche. Die Verpackung ist noch immer eines der wichtigsten Medien, das den finalen Kaufimpuls auslöst. Doch über welche Kanäle kommunizieren wir in Zukunft? Welche Rolle spielen der stationäre und Onlinehandel bei Lebensmitteln in den nächsten Jahren? Welche Faktoren bestimmen unsere Kaufentscheidungen zukünftig? Die PPWR ist nur ein Element einer rasant voranschreitenden Entwicklung. Wir freuen uns auf die neuen Herausforderungen und glauben, gut aufgestellt zu sein.