Lange konnte man sich darauf vorbereiten, nun tritt sie zum 1. Januar 2023 in Kraft: die Mehrwegpflicht. Ziel der Gesetzeserweiterung ist die längerfristige Vermeidung von Einwegverpackungen insbesondere im Gastronomiebereich. Das geht nicht ohne Umstellungen.
2020 war in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Jahr – auch in der Verpackungsbranche. Eine Folge der Pandemie: eine klare Zunahme an Liefer- und Take-away-Bestellungen in deutschen Haushalten und damit einhergehend eine merkliche Zunahme an den dafür notwendigen Verpackungen. Pro Haushalt fielen im ersten Coronajahr laut Statistischem Bundesamt 78 Kilogramm Verpackungsmüll an und damit im Schnitt sechs Kilogramm mehr als im Vorjahr.
Den größten Zuwachs (drei Kilogramm mehr pro Kopf) machten hier Verpackungen aus Papier, Pappe und Karton aus, was nicht zuletzt dem durch die Pandemie befeuerten E-Commerce-Trend geschuldet sein dürfte. Insgesamt liegen allerdings mit 32 Kilogramm pro Person die Leichtverpackungen – also solche aus Kunststoffen, Leichtmetallen und Verbundmaterialien – weit vorn. Hier finden sich auch Einwegverpackungen für Lebensmittel und Getränke wieder.
Als der Bundestag am 6. Mai 2021 eine Novelle des seit 2019 gültigen Verpackungsgesetzes beschloss, entstand diese Entscheidung also nicht im luftleeren Raum. Der Gesetzgeber sah Handlungsbedarf und bereitete mehrere Schritte vor, um den Anteil an Einwegverpackungen im Abfallstrom längerfristig zu vermindern.
Einer dieser Schritte tritt nun zum 1. Januar 2023 in Kraft. Ab dann werden Caterer, Lieferdienste und Restaurants dazu verpflichtet, neben Einweg- auch Mehrwegbehälter für Essen und Getränke zum Mitnehmen oder Bestellen anzubieten. Für kleinere Betriebe mit geringer Mitarbeiterzahl und begrenzter Verkaufs- und Lagerfläche soll die Ausnahme gelten, dass diese ihren Kunden die Mitnahme in selbst mitgebrachten Behältern ermöglichen sollen und dies klar kennzeichnen.
In der Bevölkerung findet dieses Bestreben einen breiten Zuspruch. Einer im August 2022 von der Deutsche Tamoil GmbH in Auftrag gegebenen Umfrage zufolge empfinden 76 Prozent der Deutschen die gesetzliche Mehrwegpflicht für sinnvoll und sind bereit, den Mehraufwand zum Erhalt der Umwelt auf sich zu nehmen.
Mehrwegsysteme wachsen
Der Umstieg bzw. die Erweiterung auf eine Mehrwegverpackungspalette stellt für viele Betriebe eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. Kein Wunder also, dass sich in den letzten Monaten und Jahren ein zunehmend vielfältiger Markt für Mehrwegverpackungen für Lebensmittel gebildet hat. Zwei Unternehmen haben hier bisher die Nase vorn.
Da wäre das Münchner Start-up Recup. Der Mehrwegdienstleister wurde 2016 von den Jungunternehmern Fabian Eckert und Florian Pachaly gegründet und stellte zunächst wiederverwendbare Kaffeebecher aus Polypropylen für den To-go-Verkauf her, auf die Kunden gastronomischer Betriebe ein Pfand entrichten können.
Mittlerweile werden die Mehrwegbehälter nach Unternehmensangaben an bundesweit mehr als 14.000 Stellen ausgegeben und angenommen. Zum Becher Recup, der mittlerweile in vier verschiedenen Größen erhältlich ist, gesellt sich die Rebowl in drei verschiedenen Größen als Behälter für Speisen. Und erst im Mai dieses Jahres konnte das Unternehmen weitere zwölf Millionen Euro von Investoren für den Ausbau des Pfandsystems gewinnen.
Eine weitere Erfolgsgeschichte im Bereich Mehrwegverpackungen für die Gastronomie stellt sich in Form des 2019 von Sven Witthoeft und Tim Breker gegründeten Unternehmens Vytal dar. Die Kölner gehen allerdings einen etwas anderen Weg als die Konkurrenz aus München.
Zum einen bedient Vytals Portfolio auch “speziellere” Anforderungen. Neben Kaffeebechern und Schalen bietet das Unternehmen seine Mehrwegbehälter auch für Pizza, Sushi und Burger an – allesamt bei der bestellenden Kundschaft sehr beliebt. Zum anderen fußt das Pfandsystem auf einer eigens entwickelten App, bei der die Kunden sich ein Konto erstellen und dann über einen personalisierten QR-Code einen Behälter bei teilnehmenden Gastronomen ausleihen können. Erst wenn dieser nach einer Frist von 14 Tagen nicht zurückgegeben werden sollte, kauft der Kunde den Behälter automatisch. Für am System teilnehmende Betriebe fällt pro ausgegebenem Behälter eine Gebühr an, die laut Vytal jedoch geringer ausfällt als die Kosten für eine entsprechende Einwegverpackung.
Erst vor Kurzem hat das Unternehmen Merways GmbH ein eigenes Pfandsystem vorgestellt, das mittels App ähnlich wie das von Vytal funktioniert. Merways greift dabei auf das Behälterportfolio des Schwesterunternehmens Greenbox zurück, dessen Produkte nach Unternehmensangaben zu 98 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen in einem Mix aus Biokunststoff und Holzfaser hergestellt werden.
Supermärkte und Ketten ziehen nach
Wie tief greifend die Gesetzesänderung sein wird, zeigt sich auch daran, dass einige große Namen in der Lebensmittelbranche eigene Mehrwegsysteme einführen. Im November präsentierte etwa der Supermarktriese Edeka sein System “reegod” der Öffentlichkeit. Die mit einem Blauer-Engel-Siegel zertifizierten Becher und Bowls können ab Januar 2023 in teilnehmenden Edeka- und Marktkauf-Märkten erworben und wieder zurückgegeben werden. Bereits im April hatte wiederum die Fast-Food-Kette Burger King einen Testlauf mit Mehrweggetränkebechern, die in Zusammenarbeit mit dem Recyclingdienstleister Interzero in zwölf Restaurants im Raum Köln ausgegeben wurden.
Und auch bei Verpackungsproduzenten haben erste Betriebe ihr Portfolio angepasst. So präsentierte der Kunststoffexperte Greiner Packaging auf der diesjährigen Fachpack wiederverwendbare Getränkebecher und Schalen, die explizit für Mehrwegsysteme entworfen wurden und sowohl für Kalt- als auch Heißgetränke und -speisen geeignet sind. Das Bautzener Unternehmen Cupex wiederum stellte auf der drinktec einen wiederverwendbaren Becherdeckel vor, der für Standardgrößen mit 90 Millimeter Durchmesser gestaltet wurde.
Der Göttinger Verpackungsspezialist Nette GmbH, Mitglied von Packsynergy, hat die Produktpalette ebenfalls um zwölf PP-Mehrwegbehälter erweitert, darunter Becher, Schalen, Menüboxen sowie Pizza- und Burgerboxen. Zusätzlich bietet das Unternehmen eine eigene App an, um den Ausleihe- und Pfandvorgang zu unterstützen. Für Endverbraucher fällt erst nach einer bestimmten Frist eine Gebühr an.
Es bleibt spannend
Kurzum: In den rund eineinhalb Jahren seit Ankündigung der Gesetzesänderung hat sich – zwangsweise – einiges getan. Dass die Änderung nicht kritiklos über die Bühne geht, steht außer Frage. Doch die Mühlen der Bürokratie mahlen unaufhaltsam, und momentan sieht es nicht danach aus, dass am Inkrafttreten der Mehrwegpflicht am 1. Januar nochmals geschraubt wird.
Ganz im Gegenteil, erst im November wurde im Kabinett ein weiterer Schritt beschlossen, der den Einsatz von Einwegkunststoffen eindämmen soll. Mit dem sogenannten Einwegkunststofffonds werden Hersteller und Inverkehrbringer von Produkten aus Einwegkunststoff ab 2025 je nach Menge und Art eine Abgabe in einen vom Umweltbundesamt verwalteten Fonds entrichten müssen. Dieser Fonds schüttet dann Mittel an Kommunen aus, welche die Städte gegen Verschmutzung im öffentlichen Raum einsetzen können. Auch diese Änderung hat unter den betroffenen Verbänden zu lautstarker Kritik geführt.
In jedem Fall bleibt es spannend, wie sich die Mehrwegpflicht ab Januar im laufenden Betrieb bemerkbar machen wird, ob die Endverbraucher die Angebote annehmen werden und welche vielleicht jetzt noch nicht absehbaren Hürden es zu meistern gilt.
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