Für die Pharmabranche werden Serialisierungslösungen auf Verpackungen nächstes Jahr Pflicht. „Track & Trace“ bietet aber auch Herstellern Vorteile, die nicht gesetzlich zu mehr Anstrengungen beim Produktschutz verpflichtet sind. Wie ist in den Unternehmen der Wissensstand über und die Bereitschaft zu Serialisierungslösungen? Mettler Toledo PCE hat dazu eine branchenunabhängige Umfrage durchgeführt.
Besonders die Pharmabranche blickt gespannt auf das nächste Jahr. Ab dem 9. Februar müssen alle Arzneimittelverpackungen Sicherheitsmerkmale wie einen Erstöffnungsschutz und eine individuelle Seriennummer tragen. Dies schreiben die EU-Fälschungsschutzrichtlinie von 2011 und die delegierte EU-Verordnung Nr. 161 von 2016 vor.
Produktschutz und Fälschungssicherheit sind auch wichtig für Hersteller, die nicht den strengen Richtlinien für die Pharmabranche unterliegen. Immerhin schätzen Experten, dass etwa fünf Prozent des weltweiten Handels auf Produktfälschungen entfallen, berichtet die Wirtschaftswoche. Allein in Deutschland entspricht dies einem Handelsvolumen von 65 Milliarden Euro.
Geschäftsführer und Entscheider beantworteten 24 Fragen
Sind Unternehmen grundsätzlich bereit, sich mehr mit dem Thema Serialisierung zu beschäftigen? Das interessierte die Heppenheimer Pharmacontrol Electronic GmbH (PCE), die auf Serialisierung und Produktrückverfolgung spezialisierte Unternehmenseinheit von Mettler Toledo.
Mettler Toledo PCE führte deswegen eine branchenunabhängige Umfrage unter Geschäftsführern und Entscheidern in Europa und Nordamerika durch. Die insgesamt 24 Fragen der leitfadengestützten Interviews beantworteten Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen der Agrar-, Chemie- und Lebensmittelindustrie, von Markenartikelherstellern der Konsumgüterbranche und einiger weiterer Branchen.
Die Pharmabranche hat eine Signalfunktion
Zu den Ergebnissen der Mettler-Toledo-Studie nimmt Romulo Leon, „Head of Global Sales and Market Management“ bei Mettler Toledo PCE, im exklusiven Interview mit dem „packaging journal“ Stellung.
pj: Warum ist das Thema Fälschungsschutz mittels Serialisierung gerade jetzt so relevant?
Romulo Leon: Vorbild und Vorreiter ist die Pharmabranche. Diese hat eine Signalfunktion, die auch auf andere Branchen ausstrahlt. Mit dem Näherkommen und dem Ablauf vieler Umsetzungsfristen im Pharmabereich sind leistungsstarke Lösungen am Markt verfügbar, die sich für Arzneimittel genauso eignen wie für Smartphone-Akkus, Kosmetika, hochpreisige Lebensmittel oder andere Markenartikel.
pj: Wie sehen die Unternehmen das Thema Serialisierung?
Romulo Leon: Unsere Studie zeigt, dass sich viele Unternehmen unabhängig von ihrer Branche mit dem Thema beschäftigen oder sogar bereits Pilotprojekte gestartet haben. Viele Unternehmen rechnen zukünftig mit neuen Serialisierungsanforderungen. Ein Drittel würde sogar gesetzliche Vorgaben begrüßen, wobei es hier regionsspezifische Unterschiede gibt. Während die europäischen Unternehmen viel Eigeninitiative zeigen, sehen US-Firmen eher gesetzliche Vorgaben als treibende Kraft. Neben dem Gesetzgeber gibt es aber auch noch andere Marktteilnehmer wie große Handelsunternehmen, die eine Schlüsselposition einnehmen und zum zentralen Wachstumstreiber für Serialisierung werden könnten.
Höhere Transparenz der Logistikkette hat Vorteile
pj: Welche Vorteile versprechen sich die Befragten von Serialisierungslösungen?
Romulo Leon: Primär natürlich den Schutz vor Marken- und Produktpiraterie. Denken Sie an Marken mit hohem Status oder Wert, etwa Luxusuhren oder Parfums im Hochpreissegment. Mit einer individuellen Seriennummer auf der Verpackung oder dem Produkt selbst und einem Manipulationsschutz lassen sich Originale zweifelsfrei von raffinierten Fälschungen unterscheiden. Aber auch die höhere Transparenz der Logistikkette bietet Vorteile. Rückrufaktionen können beispielsweise sehr viel gezielter durchgeführt werden. Oder nehmen wir die chemische Industrie als Beispiel. Hier spielen Verbraucherschutz und Qualitätsmanagement eine besonders große Rolle. Serialisierungslösungen unterstützen das Sammeln spezifischer Daten, die dann an nachgelagerte Partner in der Wertschöpfungs- oder Lieferkette weitergegeben werden.
pj: Sehen die Unternehmen in diesem Prozess auch eine Interaktion mit dem Kunden vor?
Romulo Leon: Denkbar ist es, den Konsumenten mit einzubinden. Dieser kann beispielsweise einen aufgebrachten QR-Code einscannen und so überprüfen, ob sein Produkt ein Original ist. Loyalty-Programme für Nutzer, die ihr Produkt registriert haben, wären ein weiterer Anwendungsfall. Unsere Studie zeigt jedoch, dass eine One-to-one-Kommunikation mit dem Kunden bei den Unternehmen eher eine nachgelagerte Rolle spielt.
pj: Platt gefragt: Sind die Unternehmen schon bereit für die Serialisierung?
Romulo Leon: Ja und nein. Wie bereits eingangs erwähnt, ist die nötige Technologie am Markt verfügbar, es besteht aber noch massiver Aufklärungsbedarf im Bereich des Datenmanagements. Die Unternehmen sind sich bewusst, dass die Software wichtiger Baustein einer Serialisierungslösung ist, viele unterschätzen jedoch den Aufwand für die Verzahnung von IT, Produktion und Qualitätsmanagement. Im Laufe der Lieferkette wandert das serialisierte Produkt durch die Hände vieler Partner und Lieferanten. Für eine effektive Ende-zu-Ende-Verifizierung müssen auch diese infrastrukturell – etwa in Form einer Cloud-Lösung – mit eingebunden werden. Dies ist im Moment noch das größte Hindernis.
Cloud-Lösungen werden bevorzugt
pj: Bleiben wir bei der IT. Gibt es eine Tendenz in Bezug auf den Speicherort der Daten?
Romulo Leon: Etwas weniger als die Hälfte bevorzugt das Speichern und Verwalten der Serialisierungsdaten über eine interne ERP-Integration. Ebenfalls beliebt ist eine Software-as-a-Service-Lösung (SaaS). Der SaaS-Anbieter stellt in dieser Variante des Cloud-Computings die IT-Infrastruktur und Anwendungssoftware bereit, auf welche das Unternehmen zugreift. Im Rahmen der Studie votierte insgesamt etwas mehr als die Hälfte der Befragten für eine Lösung in der Wolke. Besonders auffällig: Insgesamt waren die Antworten in Bezug auf die Zugänglichkeit der Daten teils sehr widersprüchlich. Darin spiegelt sich die Unsicherheit, aber auch die Unkenntnis der Unternehmen wider. Hier besteht noch enormer Aufklärungsbedarf.
pj: Was bedeutet das für die Praxis?
Romulo Leon: Das bedeutet für uns als Anbieter solcher Technologien, dass wir Unternehmen, die den Einstieg in „Track & Trace“ wagen wollen, noch intensiver beraten und Aufklärungsarbeit leisten müssen. Für viele Firmen ist ein Partner, der bereits über Umsetzungserfahrung im Bereich Serialisierung verfügt, das A und O. Das bestätigt auch unsere Studie.