Plastik verboten? Der Einzelhandel macht mobil.

Aktuell noch die Regel: frisches Obst im Selbstbedienungsregal. (Bild: littleny/iStock))
Aktuell noch die Regel: frisches Obst im Selbstbedienungsregal. (Bild: littleny/iStock))

ALDI setzt sich ein Ultimatum. Ende August gab der Discountriese bekannt, bis 2025 die Verpackungsmenge bei seinen Eigenmarken um 30 Prozent zu senken. Damit eifert der Einzelhändler seinen Konkurrenten LIDL, EDEKA und REWE nach, die bereits zuvor dem Verpackungsmüll den Kampf angesagt haben.

Dabei gibt es für Händler derzeit keinen offensichtlichen Grund, auf Plastikverpackungen zu verzichten. Der Wertstoff ist praktisch, leicht zu transportieren, günstig in der Herstellung, und die vergleichbar geringen Zahlungen, die Unternehmen an Umweltorganisationen wie den Grünen Punkt zahlen müssen, fallen kaum ins Gewicht. Woher kommt also das plötzliche Umweltbewusstsein der großen Einzelhandelsketten?

220,5 Kilogramm Plastikmüll produzierte im Jahr 2016 jeder Deutsche im Schnitt. Damit ist Deutschland europäischer Spitzenreiter, und zwar mit einigem Abstand. Immerhin sind es fast zehn Kilogramm pro Kopf mehr als beim Zweitplatzierten Luxemburg. Noch anschaulicher stellt die Menge an produziertem Plastikmüll der Abfallwirtschaftsbetrieb München in einer aktuellen Kampagne da: Der produzierte Müll der bayerischen Landeshauptstadt könnte einen Turm der Marienkirche füllen – und das jede Woche.

Aktionen wie diese kommen bei den Konsumenten an. Hinzu kommt das immer stärkere Bewusstsein hinsichtlich Mikroplastik, das über die Weltmeere und Ackerböden seinen Weg zurück in unsere Nahrungskette findet. Bilder von an Plastik verendeten Tieren fluten die Medien, Kunststoff ist zum neuen Gegner des umweltbewussten Konsumenten geworden.

Konsumenten schauen inzwischen ganz genau hin. (Bild: iStock.com/Steve Debenport)

Konsumenten schauen inzwischen ganz genau hin. (Bild: iStock.com/Steve Debenport)

Kunden kaufen lieber „kunststofffrei“

Entsprechend hat sich auch das Einkaufsverhalten geändert. Wo es früher hauptsächlich darum ging, wie ökologisch und fair das gekaufte Produkt selbst ist, achten nun immer mehr Konsumenten auf den ökologischen Fußabdruck der Verpackungen. Laut einer Verbraucherumfrage* von Trace One, einem globalen Retail-Business-Netzwerk für FMCG-Profis, wünschen 41 Prozent der Verbraucher mehr Informationen über die Umweltauswirkungen des Produkts.

Ein Kauffaktor, den der Handel nicht vernachlässigen darf. Die Vorreiterrolle im Kampf gegen Plastikabfall einzunehmen, ist daher eine große Chance für Einzelhändler, die Transparenz zu erhöhen und sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber etablierten Marken zu verschaffen.

„Weniger Plastik bei unseren Eigenmarken.“ Damit geben die Einzelhändler die klare Botschaft aus, dass sie etwas für die Umwelt tun.

Keine echten Alternativen zu Kunststoffverpackungen?

Doch die Umstellung von Plastik auf umweltfreundliche Verpackungen stellt den Einzelhandel vor große Herausforderungen. Kunststoffe gehören nicht grundlos zu den beliebtesten Packstoffen weltweit: Sie sind leicht, einfach zu formen, bruchsicher und kostengünstig herzustellen sowie zu verarbeiten. Zudem schützen sie Produkte vor Umwelteinflüssen.

42,5 Prozent aller Einzelhändler halten besonders eine effektive Preiskontrolle für einen Erfolgsgaranten ihrer Produkte. Denn so umweltbewusst der Kunde auch ist, am Ende entscheidet oft der Preis darüber, welches Produkt gekauft wird. Zudem sind Gewinnspannen besonders im FMCG-Bereich meist knapp bemessen. Eine Umstellung von Plastikverpackungen auf andere Alternativen bedeutet zunächst einen finanziellen Mehraufwand, und andere Packstoffe werden zumeist auch nach der Umstellung noch teurer in der Herstellung sein, was sich so auch auf den Endpreis niederschlagen wird.

Hinzu kommen gesetzliche Vorgaben, die Händler in ihren Entscheidungsprozess mit einbeziehen müssen. So sehen 62,5 Prozent der deutschen Händler in den juristischen Anforderungen die größten Hürden für ihr Geschäft. Viele alternative Packstoffe sind in Deutschland nicht zugelassen, weil sie zwar kompostierbar sind, allerdings länger dafür benötigen, als gesetzlich vorgegeben ist. Sogenannte Biokunststoffe aus Mais, Zuckerrohr und Kartoffeln stehen zudem in Konkurrenz mit der Lebensmittelproduktion und bieten zumindest langfristig und in großen Produktionszahlen aktuell kaum eine Alternative.

Beispiele aus der Praxis

Dass es nicht nur innen sondern auch außen fast komplett kunststofffrei geht, zeigen jetzt bereits zahlreiche Unternehmen in der Lebensmittelindustrie. Aus Deutschland kommen innovative neue Verpackungskonzepte.

bio4pack ist ein in Rheine angesiedeltes Unternehmen, das Biokunststoff aus Zucker gewinnt. Diese Verpackungen haben die gleichen Eigenschaften wie die alten Plastikverpackungen und können sogar auf den bereits vorhandenen Verpackungsmaschinen genutzt werden. Das ist ein Faktor, der Kosten einspart und eine schnelle Umstellung vereinfacht. In den Niederlanden steht bio4pack bereits flächendeckend in einer Bio-Supermarktkette.

Wellpappe in Kombination mit Stroh, Hanf und Jute ersetzen Styropor und Blisterfolie in Thermoverpackungen. (Bild: Landpack GmbH)

Wellpappe in Kombination mit Stroh, Hanf und Jute ersetzen Styropor und Blisterfolie in Thermoverpackungen. (Bild: Landpack GmbH)

Im E-Commerce wird ebenfalls umgedacht und nach nachhaltigen Lösungen gesucht. Immerhin fällt hier das meiste Verpackungsmaterial an. Ein deutsches Start-up liefert Abhilfe. Die Landpack GmbH, Puchheim, ersetzt Styroporboxen durch Wellpappschachteln mit vollständig kompostierbarer Strohisolierung und kann bereits große Firmen wie Alnatura und Feinkost Käfer zu seinen Kunden zählen. Durch das günstige Material Stroh sind die Boxen nicht einmal teurer als die Kunststoffalternative und damit bestimmt auch interessant für den Online-Riesen Amazon, der spätestens seit dem Wegwerfskandal im Zusammenhang mit Retouren mit Negativschlagzeilen rund um Nachhaltigkeit zu kämpfen hat.

Burts Bees ist ein noch relativ junger amerikanischer Kosmetikhersteller, der zeigt, wie das Plastikfrei-Image eine Marke prägen kann. Anstatt wie ein Großteil der Konkurrenz auf den Glamourfaktor zu setzen, war Nachhaltigkeit immer eine der treibenden Kräfte hinter dem Konzept der Firma. So bestehen die Produkte zu 100 Prozent aus rein natürlichen Inhaltsstoffen, die Verpackungen sind zu 99 Prozent recycelbar, und die gesamte Herstellung passiert regional. Mit diesem Ansatz und einer emotionalen Hintergrundgeschichte hat die Firma den Nerv der Zeit getroffen und konnte sich weltweit neben den bekannten Marken etablieren.

Mit digitalen Lösungen schneller zum Wunschergebnis

Cloud-Lösungen sind eine große Hilfe bei der Umstellung von Verpackungen über alle Produktbereiche hinweg. Diese ermöglichen es Markeninhabern und am Verpackungsprozess beteiligten Interessengruppen, Änderungen schneller und einfacher zu planen und anzugehen. Einige Anbieter bieten sogar zusätzliche Schnittstellen für das Verpackungsdesign in ihrer Software an, um diesen Prozess konsistent und einfach zu implementieren.

Die Umstellung zu weniger Plastik wird nicht irgendwann kommen, sie ist schon jetzt in vollem Gange, und Einzelhändler wie ALDI, REWE und Co. führen die Bewegung mit an. Wer den Anschluss nicht verpassen will, muss sich anpassen. Es sind spannende Zeiten auf dem FMCG-Markt angebrochen, die durch neue technische Lösungen noch beschleunigt werden.

*Studien von Trace One:
Studie: Consumer confidence in Private Label
Studie: How Retail Companies are Preparing for Booming Private Label Sales

Trace One wurde 2001 gegründet und ist die treibende Kraft hinter dem weltweit größten kollaborativen Netzwerk für Eigenmarkenmanagement mit über 20.000 Unternehmen in 100 Ländern, die jährlich Produkte im Wert von über 300 Milliarden US-Dollar entwickeln. In diesem Netzwerk arbeiten Geschäftspartner zusammen an der Entwicklung einzigartiger, gesunder und nachhaltiger Eigenmarkenprodukte.