Noch nie wurde in so kurzer Zeit ein Impfstoff entwickelt, getestet und bereitgestellt. Nicht einmal ein Jahr hat es bis zu den ersten Corona-Impfungen gedauert. Dahinter steckt nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine logistische Leistung. Denn: Das Vakzin muss in großen Mengen produziert und abgefüllt, verpackt, transportiert und weltweit verteilt werden.
Ein Großteil der Primärverpackung für den Impfstoff liefert der Mainzer Spezialglashersteller Schott. Seine Pharma-Fläschchen kommen in drei Viertel der weltweiten COVID-19-Impfstoffprojekte zum Einsatz. Das hochreine, sogenannte Borosilicatglas hat Firmengründer Otto Schott 1887 in Jena entwickelt. Das Material ist hochgradig inert und schützt vor jeglichen Wechselwirkungen zwischen Medikament und Behälter, was es ideal für COVID-19-Impfstoffe macht.
Schon vor Corona ist die Nachfrage nach Pharmaglas und -verpackungen stetig gestiegen. Bereits im März 2019 verkündeten die Mainzer daher das größte Investitionsprogramm in der Unternehmensgeschichte – eine Milliarde US-Dollar im Pharmabereich.
„50 Prozent davon werden wir bis Ende 2021 bereits umgesetzt haben und sind dank des frühzeitigen Invests in der Lage, die Kapazitäten hochzufahren. Trotz der Corona-Krise sind alle Projekte weiter im Zeitplan.“ Fabian Stöcker, Vice President Global Strategy and Innovation bei Schott Pharmaceutical Systems
Ausbau der Produktion von Glasröhren
Gerade hat der Glasspezialist verkündet, in eine zweite Schmelzwanne für Pharmarohr in seinem Hauptwerk in Mainz zu investieren. Dort produziert Schott keine Fläschchen oder Ampullen, dafür aber die als Vorprodukt benötigen Glasrohre. Die neue Anlage soll Mitte 2022 in Betrieb gehen.
„Wir haben uns für den Standort Mainz entschieden, um unsere Produktionsbasis für Pharmaglasröhren in Deutschland und Europa weiter zu stärken. Dabei haben wir natürlich auch die hier ansässigen Hersteller von Impfstoffen gegen die COVID-19 Pandemie und die europäische Pharmaindustrie insgesamt im Blick.“ Dr. Frank Heinricht, Vorstandsvorsitzender der Schott AG
Die Pharmaglasproduktion in Mainz gehört zu einem globalen Produktionsnetzwerk des Geschäftsbereichs Tubing, zu dem auch der Standort Mitterteich in der Oberpfalz sowie Fabriken in Brasilien, Indien und China gehören. Bereits im Herbst 2020 hat Schott seine Produktionskapazitäten für Pharmarohr in Asien deutlich erweitert. Das Werk in Indien wurde um zwei neue Schmelzwannen zur Produktion von Pharmarohr ausgebaut und in China ein komplett neues Werk für Pharmarohr errichtet, das im November 2020 angetempert wurde.
Unter dem Markennamen FIOLAX produziert das Werk Borosilicat-Glasröhren – das Basismaterial für pharmazeutische Verpackungen wie Fläschchen, Ampullen, Spritzen und Karpulen, auf die die überwiegende Mehrheit der COVID-19-Impfstoffprojekte angewiesen ist. Die Anlage mit einer Kapazität von zunächst 20.000 Tonnen Glas pro Jahr ist mit modernster Produktionstechnologie ausgestattet und folgt der perfeXion-Philosophie – der 100-Prozent-Kontrolle jeder einzelnen Röhre durch den Einsatz modernster Big-Data-Methoden.
Dies entspreche dem Ansatz der anderen Schott Pharmarohr-Produktionsstätten weltweit. Die Produktion im neuen Werk komme zu einer Zeit, in der Borosilicatrohre sehr gefragt sind. Schott verkauft das Glas an externe Verpackungshersteller, verarbeitet die Röhren aber auch selbst zu Fläschchen und anderen pharmazeutischen Behältnissen. So investierte man auch auf der Converting-Seite weltweit in den Ausbau der Produktion von Pharmabehältern, etwa mit neuen Linien im baden-württembergischen Müllheim oder am US-Standort in Lebanon.
Glasfläschchen für zwei Milliarden Impfdosen
Um den Impfstoff weltweit zu verteilen, sind Milliarden der kleinen Glasfläschchen nötig. „In Bezug auf COVID-19 haben wir uns dazu entschieden, nicht von Stückzahlen, sondern von Impfdosen zu sprechen. Hintergrund ist, dass die verschiedenen Projekte sehr unterschiedliche Konzepte verfolgen. Manche wollen eine Dosis in einem kleinen Fläschchen verpacken, andere wiederum fünf oder mehr Dosen in einem größeren Fläschchen“, so Fabian Stöcker.
„Stand heute haben wir Lieferabkommen mit über 75 Prozent aller Impfstoffprojekte, die bereits zugelassen sind oder sich in klinischen Tests befinden. Wir dürfen keine Details herausgeben, können aber sagen, dass es sich um weit vorangeschrittene Projekte handelt, über die regelmäßig in den Medien berichtet wird. Zählt man das Volumen dieser Projekte zusammen, werden wir Fläschchen für rund zwei Milliarden Impfdosen liefern.“
Der Glashersteller ist optimistisch, dass der weltweite Bedarf gedeckt werden kann. Bereits vor der Pandemie hätten alle großen Hersteller erhebliche Investitionen zur Kapazitätserweiterung getätigt, heißt es bei Schott. Zudem hätten sich die Prozesse entlang der Lieferkette trotz Pandemie nicht verändert. Sie beruhen auf standardisierten und etablierten Abläufen, bei denen die Medikamentenverpackung von Anfang an mitgeplant wird.
Stöcker: „Wir als Verpackungshersteller wissen mit mehreren Monaten Vorlauf, wann wir wie viele Fläschchen liefern müssen. Außerdem handelt es sich bei den zu liefernden Fläschchen um ISO-genormte Standardfläschchen. Diese stellen wir tagein, tagaus millionenfach her.“ Insgesamt liege die Herausforderung während der Corona-Pandemie eher in der Logistik der befüllten Fläschchen.
Weltweiter Bedarf an Pharmaglas kann gedeckt werden
Bereits im Sommer hatten die führenden Pharmaverpackungshersteller Schott, Gerresheimer und Stevanato Group eine gemeinsame Erklärung zur Bereitstellung von Verpackungen für Corona-Impfstoffe abgegeben. Jedes der drei Unternehmen stellt jährlich Milliarden von Fläschchen aus sogenanntem Borosilicatglas Typ 1 her. Dieser Glastyp ist der Quasistandard in der Pharmaindustrie, wenn es um Verpackungen für Impfstoffe geht. Fabian Stöcker: „Durch die gemeinsame Erklärung wollten wir ein Signal an den Markt senden und Vertrauen in die globale pharmazeutische Versorgungskette schaffen.“