Branchentalk: Was können neue Verpackungsmaterialien?

Die Suche nach nachhaltigen Verpackungsmaterialien ist in vollem Gange, vor allem um herkömmliche Kunststoffe zu ersetzen. Aber ist erst mal ein neues Material gefunden, stehen Entwickler vor weiteren Herausforderungen: Kann das Material auf den Maschinen laufen, und wie sieht es mit der Entsorgung und dem Recycling aus? Wir haben darüber mit Expertinnen und Experten live diskutiert.

In der aktuellen Folge des vom packaging journal für die interpack produzierten Formats Tightly Packed TV live drehte sich alles um die Herausforderungen, Chancen und Potenziale neuer Verpackungsmaterialien. Dabei geht es nicht nur um die Rohstoffe, sondern auch darum, wie es im nächsten Schritt mit der Laufbarkeit auf den Verpackungsmaschinen aussieht.

Weiter geht es bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern: Wie wichtig ist die Kommunikation auf der Verpackung bei neuen Materialien und worauf sollte man achten? Wie sieht es am Ende mit der Entsorgung und dem Recycling aus: Was ist hier schon möglich, und was wird sich noch tun? All dies hat packaging journal-Chefredakteur Jan Malte Andresen diskutiert mit der Tilisco-Verpackungsanalystin Sonja Bähr, der traceless-Gründerin Anne Lamp, mit Julian Thielen von interseroh+ und Heiko Kühne von Optima Packaging. 

Was wäre, wenn Verpackungen überhaupt nicht mehr aus fossilen, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden könnten? Und welche neuen Materialien könnten das sein?

“Neue Materialien müssen erst einmal definiert werden. Für manchen Hersteller ist auch eine Monomaterialfolie ein neues Material, wenn er vorher eine Verbundfolie benutzt hat, Es gibt aber natürlich einen Trend zu nachhaltig anmutenden Materialien. Darunter fallen Biokunststoffe, aber auch papierbasierte Materialien, die ja ebenfalls aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen. In diesem Bereich passiert gerade viel, es werden immer neue Lösungen entwickelt, die maschinell zu Verpackungen verarbeitet werden können. Aber: Verpackung, egal aus welchem Material, ist kein Selbstzweck. Die Anforderungen stellt immer das Produkt, das verpackt werden muss. Danach richtet sich letztendlich die Auswahl eines Materials.“

Sonja Bähr, Verpackungsanalystin bei Tilisco

Unter Nachhaltigkeitsaspekten kann je nach Anwendung eine dünne herkömmliche Monomaterialfolie in der Ökobilanz besser abschneiden als ein Biokunststoff, für den es noch keinen Recyclingstrom gibt.

Biomaterialien sind nicht unbedingt recyclingfähig

Technisch ist es möglich, heute fast jeden konventionellen fossilen Kunststoff durch einen alternativen biobasierten Kunststoff zu ersetzen. Auf Basis unter anderem von Soja, Weizen, Zuckerrohr oder Mais gibt es im Markt bereits eine Vielzahl an bioabbaubaren Lösungen, vor allem im Folienbereich. Ein zweiter großer Bereich sind die biobasierten Kunststoffe, die nicht bioabbaubar, aber recyclingfähig sind. Hierzu gehören etwa Bio-PET (Polyethylenterephthalat), Bio-PE (Polyethylen) und Bio-PP (Polypropylen). Sie haben den Vorteil, dass sie zusammen mit ihren erdölbasierten Pendants wiederverwertet werden können.

Das Start-up Traceless ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat ein neuartiges Biomaterial aus Reststoffen der Agrarindustrie entwickelt. Das so hergestellte thermoplastische Granulat kann im Spritzguss und in der Folienextrusion verarbeitet werden. Auch Papierbeschichtungen sind damit möglich.

“Wir unterscheiden nicht nur zwischen biobasiert und bioabbaubar, sondern wir nutzen eine weitere Kategorie. Unser Material ist nicht synthetisch polymerisiert, sondern tatsächlich aus natürlichen Polymeren hergestellt. Es wird rückstandslos in der Umwelt abgebaut, wenn es dort hineingelangt. Daher der Name Traceless.“

Anne Lamp, CEO und Gründerin Traceless

Die Haken aus Kunststoff sind aufgrund ihrer kleinen Größe besonders schwierig zu recyceln, Jetzt können sie kompostiert werden. (Bild: traceless)

Um im Markt erfolgreich zu sein, müssen Biomaterialien wie Traceless oder andere aber vor allem auf vorhandenen Verpackungsmaschinen verarbeitet werden können. Bei Maschinenhersteller Optima spielen Biokunststoffe heute eine zunehmend größere Rolle.

“Wir befinden uns hier allerdings noch auf einem niedrigen Niveau. Wenn es bei uns um Materialien geht, dann immer im Zusammenhang mit einer Maschine, die wir entweder neu bauen oder für eine Applikation beim Kunden umrüsten sollen. Während die Verarbeitung von Monomaterial heute schon beinahe Standard ist, werden Biomaterialien erst langsam nachgefragt. Insgesamt sehen wir heute aber einen bunten Strauß an Materialmöglichkeiten.“

Heiko Kühne, Managing Director für Verpackungsmaschinen für Food-, Getränke-, Kosmetik- und Chemieindustrie bei Optima Packaging

Neben der technischen Herausforderung, die neuen Materialien maschinengängig zu machen, ist die Kostenfrage ein großes Thema. „Viele der Kunden agieren im harten Wettbewerb, daher steht für sie die effiziente Produktion auch bei den neuen Materialien im Vordergrund.“

Das ist auch für das junge Unternehmen Traceless ein wichtiger Aspekt. „So viel man sich auch verbiegt, am Ende kann man nicht den zehnfachen Preis für ein Material zahlen. Daher ist bei uns der Produktionsprozess sehr effizient ist, auch energieeffizient. Das ist unsere Kerninnovation. Wir haben sehr lange an dem Prozess selber gearbeitet und es damit geschafft, dass das Material wirklich kompetitiv im Preis ist.“

Gesetzliche Rahmenbedingungen geben den Kurs vor

Maschinenherstellern wie Optima reicht es heute nicht mehr, nur auf ihre Anlagen zu schauen. „Ein wichtiges Stichwort ist Netzwerken. Bei uns ist das schon seit mindestens zwei Jahren so wichtig, dass sich ein eigenes Team mit Material beschäftigt und im Markt sehr viel mit Materialherstellern, Produktentwicklern und Produktdesignern kommuniziert.“

Damit lassen sich technische Herausforderungen, die je nach neuen Verpackungsmaterialien unterschiedlich gelagert sein können, leichter bewältigen, meint Heiko Kühne. „Diese Herausforderungen werden wir kurzfristig oder spätestens mittelfristig lösen, da bin ich mir ziemlich sicher. Die Frage ist, was bedeutet das kostenseitig?“ Das sei nicht so einfach zu beantworten, denn der Markt ändert sich auch durch neue Rahmenbedingungen, die der Gesetzgeber vorgibt. „Durch die neuen Regularien kann es unattraktiver oder gar unmöglich werden, gewisse Verpackungsmaterialien noch einzusetzen. Es entsteht hier also ein Druck, der aber für das Thema gut ist.“

Gründerin Anne Lamp: „Wir sollten uns das Hauptziel vor Augen führen, das die EU-Kommission gerade regulatorisch erreichen will. Bis 2030 sollen alle Verpackungen recycelbar sein. Daher müssen wir den Impact von Verpackungen verbessern, denn Verpackungen sind ein Hauptverursacher für die globale Kunststoffverschmutzung und auch für die Vernichtung von nicht erneuerbaren Ressourcen. Das heißt, am Ende müssen wir es schaffen, dass Verpackungen recycelbar sind. Dazu gehört das technische Recycling, aber eben auch das biologische Recycling.

Hier kommen wir ins Spiel, weil es auch Materialien geben muss für all die Anwendungen, bei denen der technische Kreislauf versagt. In Deutschland liegt die Recyclingquote für Kunststoffe, die stofflich recycelt werden, bei nur zehn Prozent. Daher ist es für einige Anwendungen nötig, stattdessen den biologischen Kreislauf zu nutzen. Das bedeutet, wir nutzen bei der Materialherstellung einerseits biologische Ressourcen, die auf Reststoffen und nicht auf Lebensmitteln basieren. Das tun wir in unserem Prozess. Dann muss man innerhalb des gesamten Produktionsprozesses aber auch sehr gut in der Ökobilanz sein und zum Beispiel wenig Energie einsetzen. Auch das tun wir. Unser Material kann also am Ende entweder in die thermische Verwertung oder in die Kompostierung gehen.

In Deutschland sind die Regularien dazu noch etwas umständlich, aber die EU bereitet gerade den Weg dafür, dass natürliche Polymere auch nach dem Gesetz für den biologischen Kreislauf geeignet sind, das heißt, sie werden in einer Biokompostieranlage verwertet und gelten dann als stofflich recycelt.“

Um im Markt erfolgreich zu sein, müssen Biomaterialien auf vorhandenen Verpackungsmaschinen verarbeitet werden können. (Bild: Shutterstock/ Pawarun Chitchirachan)

Die europäische Gesetzgebung bringt für Inverkehrbringer von Verpackungen eine Reihe von Veränderungen, aber auch Chancen. „Es ist vor allem die Definitionsfrage: Biobasierte und bioabbaubare Kunststoffe werden wie herkömmliche Kunststoffe in den Regularien genau benannt – und da fällt eben das Traceless-Material nicht darunter“, sagt Sonja Bähr. „Ein Inverkehrbringer, der regelkonform agieren möchte und einen guten CO2-Fußabdruck aufweisen will, kann solche natürlichen Materialien einsetzen und verwendet damit weder konventionellen Kunststoff noch biobasierten Kunststoff. Das ist auch eine Chance für Unternehmen, die sie nutzen sollten.“

Ohne funktionierendes Recycling keine Kreislaufwirtschaft

Ob sich neue nachhaltige Verpackungsmaterialien am Markt durchsetzen können, hängt aber nicht nur von ihrer Maschinengängigkeit und den Kosten ab. Ohne ein funktionierendes Recycling kann der Kreislauf nicht geschlossen werden. Die Verwertung von Biomaterialien stellt aber hohe Anforderungen an Sortier- und Recyclinganlagen. Es überrascht daher nicht, dass Recycler wie Julian Thielen von interseroh+ nicht begeistert sind.

“Vor allem bioabbaubare Materialien sind für die Kreislaufführung, für das Sortieren und Recyceln keine Stoffe, die wir aktuell gut gebrauchen können. Sie sind irgendwo im Promille- bis unteren Prozentbereich im Massenstrom zu finden und gehen hier völlig unter. Momentan setzen sich die Recyclingunternehmen auch nicht ernsthaft damit auseinander. Wenn aber die Nachfragen steigen, könnte sich das ändern. Die angesprochenen EU-Regularien fordern ja, dass in Zukunft auch für neue Materialien innerhalb von fünf Jahren eine Recyclinginfrastruktur nachgewiesen werden muss. Das ist heute schon eine ganz klare Message an die Entwickler der Materialien, den Kreislauf direkt mitzudenken. Wir sind gespannt, welche Entwicklungen noch kommen werden.“

Julian Thielen, Head of „Made for Recycling“ bei interseroh+

Sonja Bähr setzt hierbei auf kleinteiligere Sortierung. „Ich bin eine große Verfechterin davon, dass wir Stoffströme nachsortieren, weil man nur so lohnenswerte Wertstoffe gewinnt, die man wiederverwerten kann. Es dauert vielleicht ein bisschen länger, bis man relevante Mengen bekommt, aber am Ende lohnt es sich.“

Technologien, die das Nachsortieren erleichtern könnten, gebe es bereits, fügt Julian Thielen hinzu. „Zum Beispiel ein unsichtbares Wasserzeichen, das alle Informationen auf eine Verpackung bringt, die wir über die heutige Sensortechnologie nicht erkennen können. In der Sortierung braucht es dafür aber auch Platz. Ich lade gerne jeden ein, einmal in unseren Sortieranlagen vorbeizuschauen und sich anzusehen, wie verschachtelt und beengt die Räumlichkeiten sind. Hier sind wir begrenzt und können nicht bis in die letzten Stoffe sortieren.

In einem nächsten Schritt könnte aber vor dem Recycling womöglich in einer Vorsortierung von Polypropylenfolien noch einmal unterschieden werden, ob es sich um eine Lebensmittel-, eine Non-Food-Anwendung oder etwas anderes handelt, um dann im eigentlichen Recyclingprozess tatsächlich verschiedene Qualitäten zu gewinnen.“

 
 
Durch Nachsortieren könnten in der Sortieranlage wertvolle Stoffe gewonnen werden. (Bild: Shutterstock/Nordroden)

Nachhaltigkeitsclaim für neue Materialien

Da der Trend aber zunehmend zu biobasierten Materialien und papierfaserbasierte Verpackungen geht, ist es nach Ansicht der Expertinnen und Experten wichtig, hierbei den Kreislaufgedanken nicht zu verlieren. „Bioabbaubare Kunststoffe können beispielsweise dort verwendet werden, wo wir besonders kleine Verpackungen haben, die Gefahr laufen, in der Umwelt zu verbleiben. Sie würden dem Recycling vermutlich sowieso verloren gehen. Inverkehrbringer und Verpackungshersteller sollten sich daher mit diesen Themen noch genauer auseinandersetzen“, meint Julian Thielen.

In der Branche ist immer wieder auch Greenwashing ein Thema. Wie aber müsste ein Nachhaltigkeitsclaim für neue Materialien aussehen? Sonja Bähr: „Bitte keine konkreten Zahlen nennen, beispielsweise ‚100 Prozent recyclingfähig‘, ‚kompostierbar‘, ‚plastikfrei‘. Sondern wirklich differenziert, defensiv, lieber etwas weniger auf der Verpackung kommunizieren und dann auf der Website die ganze Geschichte erzählen. Verpackung ist so komplex und so erklärungsbedürftig. Das ist nichts, was man mit einem kleinen Icon irgendwo auf eine Verpackung drucken kann.“

Mehr Kommunikation sei sowieso nötig, findet die Verpackungsanalystin. „Alle Player sollten miteinander in Kontakt bleiben, das ist das Allerwichtigste. Das gemeinsame Ziel ist ja, eine funktionierende Kreislaufwirtschaft aufzubauen, aber auch Ressourcen und Material einzusparen. Es gehört aber auch dazu, dass Verbraucherinnen und Verbrauchen anders mit dem umgehen, was sie einkaufen, denn auch sie tragen eine Verantwortung dafür, dass Verpackungen richtig entsorgt werden. Das Gleiche gilt für die Hersteller, die ein Material in Verkehr bringen und dafür bis in die Entsorgung und in die Wiederaufbereitung hinein verantwortlich sein und sich darum kümmern sollten, was mit ihrem Material passiert. Das ist in meinen Augen eine gelebte, aktive, pragmatische Kreislaufwirtschaft.“

 

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