Die Covid-19-Pandemie hat globale Lieferketten vielerorts unterbrochen und Diskussionen über Reshoring, also die Rückholung der Produktion ins eigene Land, angeheizt. Euler Hermes hat in seiner jüngsten Studie dazu Unternehmen auf den Zahn gefühlt.
Der Kreditversicherer hat zwischen Mitte Oktober und Anfang November 2020 insgesamt knapp 1.200 Unternehmen aus sechs verschiedenen Branchen, darunter Maschinenbau und Lebensmittelproduktion, in Deutschland, den USA, Großbritannien, Frankreich und Italien zu Lieferketten in Zeiten von Covid-19 sowie eventuell geplanten Maßnahmen zur Stabilisierung befragt.
„Fast alle befragten Unternehmen (94%) hatten durch Covid-19 mit zumindest zeitweise Unterbrechungen der eigenen Lieferkette zu kämpfen, auch in Deutschland (95%). Jedes fünfte Unternehmen davon berichtete sogar von schwerwiegenden Unterbrechungen. Das zeigt, wie stark die heutige globale Wirtschaft vernetzt ist und wie groß der Schock durch Covid-19 auf die globalen Lieferketten war. Als Reaktion hat über die Hälfte (52%) bereits Absicherungsmaßnahmen ergriffen. Zudem erwägt mit 55 Prozent die Mehrheit der Unternehmen sowohl eine Verlagerung ihrer Produktion als auch neue Lieferanten.“ Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Jeder zweite Unternehmenschef hat nach eigenen Angaben auf die Unterbrechung der Lieferketten bereits reagiert und Absicherungsmaßnahmen ergriffen. Diese reichen von Versicherungen über Hamsterkäufe und Bevorratung bis hin zu Notfall-Lieferanten als Backup. Sie haben sich eingehend mit den Lieferketten beschäftigt und überwachen Veränderungen nun wesentlich detaillierter. Aber auch Produktionsverlagerungen und neue Lieferanten spielen bei den Überlegungen der Unternehmen für die Zukunft eine große Rolle.
Insbesondere die fehlende Schutzausrüstung zu Beginn der Pandemie hatte zuletzt die Diskussionen um eine Rückholung der Produktion ins eigene Land entfacht. Die Mehrheit der befragten Unternehmen erwägt ein solches sogenanntes Reshoring allerdings aktuell nicht.
Alle überprüfen ihre Lieferketten
„Es ist nicht ungewöhnlich, dass Lieferketten und deren Unterbrechung während einer Krise in den Fokus geraten“, sagt Van het Hof. „Einige Unternehmen werden ihre Produktion in die Heimat oder deren geografische Nähe verlagern. Wir erwarten aber insgesamt aktuell keine rasche und tiefgreifende strukturelle Verlagerung des Handels durch eine starke Relokalisierung. Mit Ausnahme von strategischen Sektoren wie beispielsweise im Medizin- und Lebensmittelsektor. Dennoch ist diese Diskussion über Lieferketten und Produktionsstandorte sehr wichtig, da sich die Unternehmen intensiv damit beschäftigen, wie sie sich möglichst krisensicher aufstellen.“
Rückholung der Produktion in europäische Nachbarländer
Von den 55 Prozent der befragten Unternehmen, die sich mit der Verlagerung ihrer Produktion beschäftigen, erwägen nur zwischen 10 Prozent und 15 Prozent, die Produktion tatsächlich nach Hause zu holen. Tatsächlich tendieren aber mehr der verlagerungswilligen Unternehmen (30%), insbesondere auch in Deutschland (44%), eher zum Nearshoring, also zur Verlagerung der Produktion in andere EU-Länder – ein Kompromiss aus geografischer Nähe und Margen-Aspekten.
„Gerade bei der Relokalisierung müssen Unternehmen beide Seiten der Medaille betrachten, insbesondere auch die Kehrseite. Eine Verkürzung der Lieferketten kann zwar einerseits Widerstandsfähigkeit schaffen, ist andererseits aber mit hohen Logistik- und Arbeitskosten verbunden, die eventuell nur teilweise weitergegeben werden könnten oder die Verbraucherpreise in die Höhe treiben dürften. Durch die verstärkte Automatisierung geht die Rückholung der Produktion auch nicht automatisch mit Schaffung von Arbeitsplätzen einher. Zudem verringert die Verkürzung der Lieferketten die Diversifizierung und erhöht somit das Konzentrationsrisiko. Insofern macht in einigen Fällen ein solcher Schritt durchaus Sinn, aber im großen Stil sehen wir keine solche Tendenz, da dies mit zahlreichen Risiken und teilweise auch Kosten verbunden wäre.“ George Dib, Volkswirt und Experte für internationalen Handel bei der Euler Hermes Gruppe
Kosten und Risiken sind auch die Hauptüberlegungen hinter den Lieferantenbeziehungen. Neben der Verlagerung der Produktion (55%) spielen neue Lieferantenbeziehungen für die Unternehmen aktuell eine große Rolle. Ebenfalls 55 Prozent der befragten Unternehmen erwägt, sich in den nächsten sechs bis zwölf Monaten neue Lieferanten zu suchen. Dabei geben die Unternehmen häufig an, dass sie Lieferanten im eigenen Land bevorzugen würden – allerdings nicht ausschließlich.
„Die größten Patrioten bei der Überlegung, neue Lieferantenbeziehungen aufzubauen, sind wenig überraschend die amerikanischen Unternehmen“, sagt Dib. „Auch Franzosen würden Lieferanten im eigenen Land bevorzugen. Bei den deutschen Unternehmen ist der Anteil etwas geringer. Das liegt aber auch daran, dass sie heute schon mehr Lieferanten im Heimatland haben als andere Länder.“
Österreichische Lieferanten sind bei Deutschen beliebt
76 Prozent der befragten deutschen Unternehmen hat heute schon Lieferanten in der Bundesrepublik. Das ist deutlich mehr als die durchschnittlich 65 Prozent bei allen befragten Unternehmen. Die Deutschen fürchten insofern Konzentrationsrisiken auch wesentlich stärker als die Pendants in den anderen Ländern. Bei der Suche nach neuen Lieferanten wollen sich die befragten deutschen Unternehmen neben dem Heimatland vor allem bei den österreichischen Nachbarn auf die Suche machen. Dort sitzt schon heute rund ein Drittel der ausländischen Lieferanten deutscher Unternehmen. Neben Deutschland und Österreich spielt aber auch weiterhin China eine wichtige Rolle sowie Frankreich.
Bei der Lieferantenauswahl spielen bei den deutschen Unternehmen zudem Umweltaspekte und Innovationsfähigkeit eine tragende Rolle.
Quelle: Euler Hermes