Russland plant einen sehr umfassenden Track-&-Trace-Ansatz. Er ist darauf ausgerichtet, den Weg der Arzneimittel vom Hersteller bis zum Endverbraucher lückenlos und kontinuierlich zu erfassen. Das geht so weit, dass die Behörden Informationen über die Lagerzeit derjenigen Medikamente abrufen können, die gerade im Umlauf sind.
Was Russland von anderen Märkten abhebt, sind zwei Dinge: die Fülle an Daten, die erhoben werden, und insbesondere auch das erklärte Ziel, diese Daten dann nach sehr unterschiedlichen Kriterien auswerten zu können bzw. den Marktteilnehmern nach bestimmten Kriterien wieder zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich im Grunde um ein Instrument zur intensiven Beobachtung und Auswertung des kompletten Arzneimittelmarktes. Es soll vor allem verhindern, dass gefälschte Arzneimittel in die Logistik- und Lieferketten eindringen können. Ein zentrales Element soll nach den vorliegenden Informationen darin liegen, die Preise von wichtigen und unverzichtbaren Medikamenten kontrollieren zu können. Zum Beispiel sollen Endverbraucher in die Lage versetzt werden, den Preis, den sie bezahlt haben, mit der offiziellen Preisgrenze zu vergleichen. Aber auch die zuständigen Behörden können dann sehr viele Informationen aus den Daten herauslesen.
Softwarespezialist Stefan Öing ist bei Atlantic Zeiser Leiter des Bereichs Track & Trace. Er erläutert, welche Lösungen den besonderen Herausforderungen gerecht werden und was dies in der Praxis bedeutet.
pj: Herr Öing, der äußerst umfassende Ansatz, den Russland für die Rückverfolgung von Medikamenten vorgesehen hat, wird weit über das hinausgehen, was von der EU im „Regelfall“ vorgesehen ist …
Stefan Öing: Das ist richtig, das russische Konzept, das unter seiner Abkürzung FSIS DCM bekannt ist, wird sogar in den Schatten stellen, was sich Brasilien ursprünglich vorgenommen hatte, aber bislang nicht vollumfänglich realisieren konnte.
pj: Und was ist so besonders daran?
Stefan Öing: Das geht so weit, dass die Behörden vorliegende Informationen über die Lagerzeit derjenigen Medikamente abrufen können, die gerade im Umlauf sind. Oder dass sie genau nachvollziehen können, welche Medikamente wann, wo und in welcher Menge aufgrund von Qualitätsproblemen, fehlerhafter Zulassung oder Fälschungsverdacht aus dem Verkehr gezogen wurden.
pj: Welche Identifizierungstechnologie soll zum Einsatz kommen?
Stefan Öing: Für die maschinenlesbare Serialisierung soll nach unserem Wissensstand ein Data-Matrix-Code verwendet werden. Das geht aus mehreren Stellungnahmen und Präsentationen zu diesem Thema hervor, insbesondere auch von solchen, die von offiziellen russischen Stellen verbreitet werden. Darüber hinaus kommt der Aggregation eine Schlüsselfunktion zu. Ohne die Aggregation wird sich der umfassende Track-&-Trace-Ansatz nicht realisieren lassen.
pj: Welches Zeitfenster ist für die Umsetzung vorgesehen?
Stefan Öing: Den russischen Behörden ist schon bewusst, dass sie ein sehr komplexes System errichten wollen. Deshalb sind zunächst nur Medikamente für sieben besonders umsatzstarke Krankheitstypen betroffen. Dafür gilt als Deadline der 1. Januar 2018. Ein Jahr später gilt die FSIS DCM dann generell für „besonders wichtige“ Medikamente. Wiederum ein Jahr später, also ab 1. Januar 2020, müssen alle Humanarzneimittel entsprechend serialisiert werden. Im Moment laufen schon Pilotprojekte, an denen 16 Pharmahersteller mit insgesamt 30 Medikamenten beteiligt sind.
pj: Dann müssen die Lösungen ja bis zum Jahreswechsel auch in der Praxis funktionieren.
Stefan Oeing: Das stimmt. Die Zeitvorgaben sind eine ernst zu nehmende Herausforderung. Vertreter der russischen Behörden haben die Pharmaunternehmen schon ermahnt, Serialisierungs- und GxP-Projekte nicht mutwillig zu verschleppen, um dann sagen zu können, die Zeit reiche nicht aus. Es besteht in diesem Land eine hohe Erwartungshaltung, die man nicht unterschätzen sollte. Und die Vorgaben sind ja in der Tat nicht einfach dadurch zu lösen, dass die Verpackungslinien mit zusätzlichen Geräten ausgerüstet werden. Hier geht es um die Entwicklung und Anbindung ganzer Informationssysteme.
pj: Wie ist Atlantic Zeiser auf die russischen Herausforderungen vorbereitet?
Stefan Oeing: Um die sehr umfangreichen Anforderungen in Russland zu erfüllen, kommt es in hohem Maß auf die Flexibilität der Software an. Wir haben unseren MEDTRACKER von Anfang so ausgelegt, dass auch neue, derzeit noch unbekannte und komplexe Serialisierungsvorschriften mit ihm abgedeckt werden können. Da bilden die Vorgaben in Russland keine Ausnahme. Die umfangreiche Schnittstellenbibliothek, die die Lösung auszeichnet, kommt uns außerdem zugute, wenn es jetzt darum geht, in einem Land ganz unterschiedliche Datenbanken, Institutionen, Behörden und Hersteller zu verknüpfen. Natürlich darf man den Zeitaufwand nicht unterschätzen, wenn es darum geht, die Schnittstellen im Einzelfall noch zu konfigurieren. Da ist Feintuning notwendig.
pj: Wie sieht es auf der Hardwareseite aus?
Stefan Oeing: Wir haben die Softwarearchitektur von MEDTRACKER so entwickelt, dass sie unter gewissen Voraussetzungen mit bestehenden, auch heterogenen Dritt-Hardware-Ausrüstungen kompatibel ist. Sie ist in der Lage, Hardwarekomponenten wie Kamera-, Drucksysteme oder Sensoren etc. direkt anzusteuern. Es besteht also nicht unbedingt die Notwendigkeit, in neue Hardware zu investieren, wenn die bestehende Ausrüstung grundsätzlich die Anforderungen erfüllen kann.
pj: Was empfehlen Sie, wenn aber tatsächlich ein Track & Trace-Modul neu integriert werden muss?
Stefan Öing: Wir können eine komplette Soft- und Hardwarelösung aus einer Hand planen und realisieren. Zur interpack haben wir z. B. ein neues Track & Trace-Modul vorgestellt, das bei Bedarf auf engstem Raum serialisieren, kontrollwiegen und Tamper-Evident-versiegeln kann – natürlich mit eingebauter Schnittstelle zum MEDTRACKER. Damit kann man auch die russische Herausforderung zuverlässig meistern.