Ein weiterer Meilenstein bei der Umsetzung der lange geplanten und kontrovers diskutierten europäischen Green-Claiming-Richtlinie ist gesetzt: Am 22. März 2023 stellte die zuständige EU-Kommission ihre Maßnahmen gegen „Grünfärberei und irreführende Umweltaussagen“ vor: ein großer Schritt für den Verbraucherschutz – eine große Herausforderung für die Verpackungsbranche.
Dabei hängt die Messlatte hoch: „Mit diesem Vorschlag geben wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern die Gewissheit, dass etwas, das als umweltfreundlich verkauft wird, auch tatsächlich umweltfreundlich ist“, sagt Frans Timmermans, Vizepräsident der Kommission. Doch ursprünglich sollte die Green-Claiming-Richtlinie längst umgesetzt sein. Sie gehört zum europäischen Green Deal, einem sehr anspruchsvollen Maßnahmenpaket zum Umweltschutz in Europa. Das erste und das zweite Paket wurden bereits im März und im November 2022 angenommen. Beim dritten Paket wurde nun vor allem das Timing diskutiert. „Inhaltlich bleibt die Kommission konsequent bei ihren Maßnahmen, einige Aspekte wurden sogar noch verschärft, wie beispielsweise das Verbot von neuen nationalen Umweltzeichen (Kreislauf-Label). Bei der Umsetzung kann das Paket nicht mit der Geschwindigkeit mithalten, die bei der SUPD, dem Einweg-Plastikverbot, vorgegeben wurde, aber die Länder sind gewillt, hier schnell zu handeln“, erläutert Experte Malte Biss von Flustixv.
Umsetzung in Deutschland
Die EU-Kommission will die Richtlinie im ersten Quartal 2024 in die Mitgliedstaaten geben, diese haben dann theoretisch noch zwei Jahre Zeit, die Vorgaben als Gesetz umzusetzen. Malte Biss geht jedoch davon aus, dass Deutschland hier Vorreiter ist und bei der Umsetzung Druck macht: „Anders als bei anderen EU-Richtlinien gilt Deutschland hier als ein Treiber der Maßnahmen. Wenn die größte Volkswirtschaft der EU Maßnahmen umsetzt, bleiben auch die anderen Märkte nicht unberührt. In Deutschland liegt die Umsetzung beim Bundesumweltministerium von Steffi Lemke sowie dem Landwirtschafts- und Ernährungsministerium von Cem Özdemir. Sowohl Lemke als auch Özdemir haben die Greenwashing-Themen oben auf ihrer Agenda stehen und sind gewillt, die Richtlinien sehr schnell umzusetzen. Bereits jetzt erfüllen Teile der Industrie die Vorgaben und nutzen unabhängige Zertifizierungsverfahren, denn Nachhaltigkeit ist nach dem Preis der wichtigste Faktor bei der Kaufentscheidung“, fasst Biss zusammen.
Jede umweltrelevante Aussage zertifizieren
Es bleibt bei dieser Aussage, sie wird sogar verschärft. „Auch Aussagen, die lediglich den gesetzlich vorgegebenen Mindeststandard hervorheben, dürfen nicht mehr kommuniziert werden. Wenn ab 2025 bei Kunststoffverpackungen ein Rezyklatanteil von 25 Prozent vorgeschrieben ist, darf nicht mehr mit Claims wie ‚Verpackung zu 25 Prozent aus recyceltem Kunststoff‘ geworben werden. Da muss dann eine Schippe (Rezyklate, Anm. d. Red.) draufgelegt werden“, betont Malte Biss.
Die zuständige Kommission bezeichnet solche Slogans als „ausdrückliche Werbeaussagen“ und nennt weitere Beispiele: „T-Shirt aus recycelten Kunststoffflaschen“, „klimaneutraler Versand“, „Verpackung zu 30 Prozent aus recyceltem Kunststoff“ oder „ozonfreundlicher Umweltschutz“. Das sind alles Beispiele, die dem Verbraucher im Alltag häufig begegnen. Die Umsetzung dieser Richtlinie wird entsprechend sichtbare Auswirkungen haben und den Markt maßgeblich verändern.
Künftig mit ökologischen Vorteilen werben
Was muss ein Unternehmen tun, um künftig mit ökologischen Vorteilen seiner Produkte zu punkten? Dazu heißt es aus Brüssel: „Bevor Unternehmen eine der fraglichen Arten von Umweltaussagen in ihre Verbraucherinformationen aufnehmen, müssen diese Angaben künftig unabhängig überprüft und anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse belegt werden. Die Unternehmen werden im Rahmen einer wissenschaftlichen Analyse die Umweltauswirkungen, die für ihr Produkt tatsächlich relevant sind, und auch etwaige Zielkonflikte ermitteln, um ein vollständiges und genaues Bild zu liefern.“ Branchenkenner Biss erklärt, was das bedeutet: „Unter einem vollständigen Bild versteht die Kommission eine unabhängige Überprüfung der gesamten Wertschöpfungskette. Jede einzelne Komponente der Supply-Chain muss unabhängig überprüft und bestätigt werden.“
Aufwendiges Prüfungsprozedere
Brauchen wir in Europa so ein kompliziertes Prüfsystem? Malte Biss hat dazu einen klaren Standpunkt: „Für das Kreislaufsystem in Europa ist das alternativlos. Wir haben derzeit unkontrollierte Materialströme am Markt.“ Ein Beispiel: Einem großen Putz- und Reinigungsmittelhersteller wurden Rezyklate aus Vietnam angeboten. Dabei handelte es sich aber nicht um Recyclingmaterial, sondern um umetikettierte Frischware aus China. Durch lückenlose Audits und Nachweise werden solche Machenschaften deutlich erschwert. „Kreislaufwirtschaft funktioniert nur, wenn wir wirklich wissen, was in den Produkten steckt“, so Biss.
Die Auditierung läuft über die gesamte Supply-Chain, vom Rohstoff bis zum Endprodukt. Die Überprüfung erfolgt durch anerkannte Kontrolleure, deren Ergebnisse von unabhängigen Ingenieuren einer Konformitätsbewertung unterzogen werden. Erst danach erfolgt die Siegelvergabe durch unabhängige Partner. „Wir bei flustix arbeiten hierbei unter anderem mit DIN CERTCO/TÜV Rheinland zusammen.“
Zertifizierung, Überprüfung, Sanktionen
Es stellt sich die Frage, wer künftig noch zertifizieren darf und welche Siegel es dann geben wird. Hier greift die EU-Kommission durch: Zertifizierungsstellen müssen anerkannt sein. Neue Siegel werden nur noch unter strengen Bedingungen zugelassen, es sei denn, sie werden von der EU entwickelt. Die EU zählt aktuell 230 Umweltzeichen, die nun alle überprüft werden. „Wir gehen davon aus, dass auch die EUIPO, das ist die Behörde der EU für geistiges Eigentum, hier eine zentrale Rolle spielen und die Siegelvergabe kontrollieren wird. Die EUIPO vergibt die Unionsgewährleistungsmarken, hier muss jedes international agierende Umweltzeichen gelistet sein. Brüssel rechnet damit, dass am Ende vielleicht noch 100 übrig bleiben“, analysiert Biss.
Dafür installiert die EU ein Prüfsystem, das alle Standards bewertet. Die Durchführung der Kontrollen liegt dann in den 27 Mitgliedstaaten. Jedes Land muss eine geeignete Behörde benennen, die für die Durchsetzung der Bestimmungen verantwortlich zeichnet.
Sanktionen werden in Form von Geldbußen erwartet. Die Höhe richtet sich nach der Schwere des Verstoßes, so werden beispielsweise Wiederholungstäter schwerer bestraft. Einnahmen, die der Gewerbetreibende aus einem Geschäft mit den betreffenden Produkten erzielt hat, können eingezogen werden. Die Strafe soll mindestens vier Prozent des gesamten Jahresumsatzes betragen. Außerdem droht ein Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren und vom Zugang zu öffentlichen Mitteln, einschließlich Ausschreibungen, Zuschüssen und Konzessionen.
Die Veröffentlichung der EU-Greenclaiming-Richtlinie gibt wichtige Anhaltspunkte, die die Unternehmen möglichst zeitnah umsetzen sollten, raten Juristen. Auch bei aktuellen Streitigkeiten werden Richter ein Auge auf die bevorstehenden Greenclaim-Regularien haben.
Welche Fragen sind noch offen?
Unter anderem die von Industrie-Vereinigungen selbst kreierten Gütesiegel mit Umweltaspekt stehen auf dem Prüfstand. Sie kamen im ersten Entwurf nicht vor, nun sollen neben den akkreditierten Umweltsiegeln auch diese Gütezeichen anerkannt werden. Wie das in der praktischen Umsetzung aussieht, ist noch nicht final geklärt, denn die EU verlangt ja Unabhängigkeit. „Spannend wird auch, wie die EU mit nationalen Umweltzeichen umgeht, die über die Landesgrenze hinaus vertrieben und genutzt werden. In Frankreich gibt es bereits das nationale Triman-Logo, auch Deutschland hat ein eigenes nationales Kreislauf-Label in Planung. Das macht jetzt eigentlich nur noch wenig Sinn“, betont Malte Biss.
Herr Biss, wie wird die Wirtschaft auf die neue Richtlinie reagieren?
Welche Bereiche decken beispielsweise die flustix-Siegel ab?
Welche Unternehmen setzen auf die flustix-Zertifizierung?
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