Branchentalk: Nachhaltig verpackt, zielgerichtet kommuniziert

Zum Jahresausklang präsentieren wir noch einmal unsere meistgeklickten Artikel des Jahres 2021. Platz 9: Der Branchentalk zur richtigen Verpackungswahl

Wie finde ich die richtige Verpackung für mein Produkt? Das war das Thema unseres vierten packaging journal TV Live im Oktober. Im Gespräch mit unseren Gästen kristallisierte sich schnell heraus, dass neben Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit der Faktor Nachhaltigkeit bei der Verpackungswahl nicht mehr wegzudenken ist.

In der Oktober-Ausgabe unseres Branchentalks drehte sich alles um “die richtige Verpackung”. Im Gespräch waren sich die dm-Verpackungsexpertin Dagmar Glatz, die Verpackungsberaterin Carolina E. Schweig, der Organic-Labs-Gründer Moritz Mangold sowie Mr.-Fred-Gründer Tobias Kobier schnell einig, dass die Verpackung nicht nur vom Produkt her gedacht werden sollte, sondern als Teil der gesamten Produktionskette bis hin zum Verbraucher.

Ein Start-up, das sich am Markt behaupten will, muss eine Menge Hürden nehmen. In der Regel geht es dabei um das Produkt an sich, weniger um die Verpackung. Dass Letztere aber auch eine Menge Kopfzerbrechen bereiten kann, zeigt das Beispiel des Münchner Unternehmens Organic Labs. Das Start-up produziert ein Pulver aus Hafer, das vom Konsumenten zu Hause mittels Zugabe von Wasser zu einem Haferdrink angerührt wird.

Denn die ursprüngliche gewählte Verpackung von “Super Hafer” stellte sich nach einer Weile doch als problematisch für das umweltbewusste Unternehmen heraus, wie Mitgründer Moritz Mangold berichtet: “Wir hatten am Anfang auf eine zu 100 Prozent industriell kompostierbare Verpackung gesetzt. Dieses Verbundmaterial ließ sich dann aber doch nicht rein kompostieren und wird in Deutschland ohnehin nicht lange genug ruhen gelassen.” Zwar konnte die Kompostierbarkeit nach außen kommuniziert werden, letztlich entschied sich Organic Labs aber dafür, eine neue Verpackung zu entwickeln.

"Wir sind als junges Unternehmen auch intrinsisch so motiviert, ein Produkt und auch eine Verpackung auf den Markt zu bringen, die möglichst gut für die Umwelt ist."
Moritz Mangold
Mitgründer von Organic Labs (Bild: Organic Labs)

Nach vielen Tests war die neue Verpackung dann fertig: eine Verpackung, die zu 100 Prozent übers Altpapier recycelbar ist. Allerdings ohne Zipper und, für den Konsumenten ungewohnt, wesentlich dünner als handelsübliche Beutel. Doch nach einer Umfrage auf den Social-Media-Kanälen des Unternehmens war schnell klar: “Die meisten Leute haben wirklich gesagt, dass sie das Pulver ohnehin in eine andere Verpackung oder den anderen Behälter umfüllen.” Das Prinzip “Sustainability first” hatte sich durchgesetzt.

Für einen zu 100 Prozent recycelbaren Papierbeutel haben Organic Labs auf Zipper und Standboden verzichtet. Das Produkt ist trotzdem erfolgreich.
Für einen zu 100 Prozent recycelbaren Papierbeutel haben Organic Labs auf Zipper und Standboden verzichtet. Das Produkt ist trotzdem erfolgreich. (Bild: Organic Labs)

Usability vs. Sustainability

Die richtige Balance von Usability und Sustainability ist letztlich verkaufsentscheidend. Das kann auch Dagmar Glatz, beim dm-Drogeriemarkt zuständig für Verpackungen und Nachhaltigkeit, berichten. Etwa am Beispiel eines Duschbad-Beutels, der mittels eines Lochs in der Dusche befestigt wird und dann als Duschbad-Spender dient. Zwar konnten durch den Beutel im Vergleich zur herkömmlichen Flasche um die 80 Prozent an Kunststoff eingespart werden. Doch bei den Testpersonen ergaben sich Probleme: So konnte der Beutel in manchen Duschkabinen nicht praktikabel angebracht werden. Ebenso klangen Sorgen durch, dass Kinder möglicherweise übermäßig viel des Produkts verbrauchen könnten. Und so zeigte sich im Fall des Duschbad-Beutels eine gewisse Diskrepanz zwischen Nutzerfreundlichkeit und Nachhaltigkeit. Aber wie findet man dann das richtige Verpackungskonzept, das auch beim Konsumenten funktioniert? “Wir dürfen Gott sei Dank sehr viel testen”, erklärt Glatz.

Wie wichtig Tests sind, weiß auch das Unternehmen F&F Pet Food aus Bamberg. Nach einer testreichen Frühphase in Sachen Verpackung schaffte man für das Hundefutter “Mr. Fred” in Franken kurzerhand eine komplette Tetra-Pak-Anlage an. Wie es dazu gekommen ist, berichtet Mitgründer Tobias Kobier: “Unser Anspruch ist ‚Hundefutter in Lebensmittelqualität‘ zu produzieren, daher wollten wir von Anfang an das Futter wirklich frisch kochen.” Das Problem: Konventionell müsste man eine permanente Kühlkette aufrechterhalten, und dennoch wäre das Produkt am Ende maximal sieben bis zehn Tage im Kühlschrank haltbar. Los ging die Suche nach alternativen Verpackungsmöglichkeiten, die aber auch Differenzierungsmöglichkeiten am Markt bieten sollten.

“Wir wollten, nicht zuletzt aufgrund eines Alleinstellungsmerkmals, auf keinen Fall in der Dose abfüllen. Kunstdärme kamen für uns, aufgrund der finalen Optik, auch nicht infrage. Durch Zufall sind wir dann auf Tetra Pak gestoßen. Das Ergebnis hat uns sowohl in der Qualität als auch der Optik völlig überzeugt”, so Kobier. Wie aber kommuniziert man diese für das Produkt eher ungewöhnliche Verpackung an den Konsumenten? “Da braucht es schon Customer Education. Doch Umwelt- und gleichzeitig Verbraucherfreundlichkeit der Verpackung haben die meisten unserer Kunden auch ohne zielgerichtete Kommunikation bereits überzeugt.” 

Hundefutter mal nicht in der Dose: Bei Mr. Fred setzt man auf eine Tetra-Pak-Lösung.
Hundefutter mal nicht in der Dose: Bei Mr. Fred setzt man auf eine Tetra-Pak-Lösung. (Bild: Mr. Fred)

Abwägen verschiedener Faktoren

Schon diese beiden Beispiele zeigen, dass Suche und Auswahl der richtigen Verpackung bei Weitem kein Selbstläufer sind, ganz im Gegenteil. Carolina E. Schweig, Verpackungs- und Materialberaterin, kennt sich in diesem Bereich bestens aus. Die Diplom-Ingenieurin berät mit ihrem Büro seit mehr als 25 Jahren kleine wie große Unternehmen auf der Suche nach der idealen Verpackung für ihr Produkt. Generell rät Schweig zu einem Abwägen zwischen Haltbarkeit, Ressourceneinsatz, Treibstoffgasemission und nicht zuletzt auch der Wirtschaftlichkeit. “Unsere Herangehensweise ist es, sich irgendwo zwischen Ressourcen, Umwelt-Impact und Wirtschaftlichkeit irgendwo in der Mitte trifft”, so Schweig.

Im Falle von dm heißt eine dieser Lösungen “Refill-Konzept”. Also der Verkauf verpackungsärmerer Nachfüllbeutel, beispielsweise für Reinigungs- oder Hygieneprodukte. Bei Refill-Systemen im Drogeriemarkt sind die Refill-Zahlen noch nicht so gut, wie sie sich vielleicht vorstellen könnte, aber so Glatz: “Was gut läuft, sind die Refill-Konzepte für zu Hause und auch Produktänderungen bei Shampoo, weg vom flüssigen, hin zum festen Shampoo.” Entscheidend sei, dass der Kunde die Änderung gut integrieren könne, dann seien nachhaltige Produkte und nachhaltige Verpackung erfolgreich.

Ressourcensparende Lösungen wie Trocken-Shampoos oder Refill-Beutel
Ressourcensparende Lösungen wie Trocken-Shampoos oder Refill-Beutel kommen dank zielgerichteter Kommunikation bei den dm-Kunden gut an. (Bilder: dm Drogeriemarkt)

Dass eine praktikable und gleichzeitig nachhaltige Verpackung beim Verbraucher ein Thema ist, kann auch Moritz Mangold bestätigen: “Unser Motto ist grundsätzlich ‚Gut für dich, besser für alle‘. Und da sind es bei unserer Verpackung schon sehr egoistische Beweggründe: weniger schleppen, keine Lebensmittelverschwendung, weniger Zucker.”

Gerade bei einem Thema wie dem Haferdrink, der vorrangig von umweltbewussten Verbrauchern konsumiert wird, spielt die Nachhaltigkeit aber auch in der Verpackung eine Rolle. “Wir sind als junges Unternehmen auch intrinsisch so motiviert, ein Produkt und auch eine Verpackung auf den Markt zu bringen, die möglichst gut für die Umwelt ist. Bei unseren Kundinnen und Kunden sehen wir dann auch die Bereitschaft, einen gewissen Mehrpreis zu zahlen, den diese nachhaltige Verpackung mit sich bringt”, so Mangold.

Kreislaufwirtschaft ist kein Selbstläufer

Diesen Mehrpreis würde sicher so mancher Unternehmer gerne einstreichen – auch wenn das Produkt vielleicht gar nicht so nachhaltig ist, wie es den Anschein hat. Diese Gefahr sieht zumindest Schweig bei manchen Herstellern. “Das, was momentan in Richtung Nachhaltigkeit kommuniziert wird, ist anhand von Zahlen und Fakten nicht unbedingt belegbar”, so die Ingenieurin. Kompliziertere, unbekanntere Maßnahmen, zirkuläre Ökonomie, Waste Hierarchy sind nur mit großem Aufwand verständlich zu vermitteln, da kann die Kommunikation in Richtung Kunde auch eine Hürde darstellen. “Man muss wirklich mehr ausholen, um den Konsumenten da mitzunehmen. Es ist einfacher zu sagen ‚Wir machen auf Papier und dann ist alles gut‘. Aber Papier ist eben auch nicht Papier”, erklärt Schweig.

Dieser Ansicht ist auch Mangold: “Nicht jede Verpackung, die einen nachhaltigen Anschein hat, ist dann auch wirklich nachhaltig. Es gibt so viele Standbodenbeutel, die eine Kraftpapieroptik aufweisen, aber innen noch mit Kunststoff verarbeitet sind. Und die sind dann immer Restmüll und lassen sich nicht einfach oder gar nicht mit den aktuellen Anlagen recyceln.”

"Wir müssen mehr in die Prozesse gehen, uns nicht immer auf die Packstoffe fokussieren, sondern fragen: Wo ist der größte Hebelarm?"
Carolina E. Schweig
Inhaberin Verpackungsberatung C.E. Schweig (Bild: C.E.Schweig)

Ein vielversprechender Ansatz ist für Verpackungsberaterin Schweig das Cradle-to-Cradle-Konzept, bei dem alle Ressourcen der Produktkette, und damit nicht zuletzt auch Verpackungen, der Verwertung ständig wieder zugeführt, also vollständig recycelt werden. Beim Haferdrink von Organic Labs sieht Schweig bereits den richtigen Ansatz, da es nicht nur um den recycelbaren Verpackungsstoff gehe, sondern beim eigentlichen Produkt durch die Pulverform gegenüber den üblichen Haferdrinks essenziell etwas verändert wurde.

“Der USP ist hier doch die Pulverform, die es ermöglicht, das viel weniger Wasser durch die Gegend transportiert wird. Und alles Weitere, was eingespart wird, was besser ist und so weiter, das ist doch geschenkte Kommunikation!” Sie plädiert daher dafür, die Prozesse zu optimieren und zu prüfen, was “der größte Hebelarm” in Sachen Nachhaltigkeit sein könnte. “Hier muss sich vielleicht der Denkansatz verändern. Also, dass wir beim Thema Nachhaltigkeit, gerade auch bei Start-ups, in geschlossenen Systemen und gesamten Loops denken sollten. Woher kommt irgendwas und über welche Stufen muss das weitergebracht werden? Und wenn wir so herangehen, haben wir einfach die besseren Lösungen. Also nicht nur für die Umwelt und die Gesellschaft, eben auch dann im wirtschaftlichen Bereich”, so Schweig.

Der komplette packaging journal TV Talk Live

Den Verbraucher in der Kommunikation mitnehmen

Neben den technischen Herausforderungen, die dieser Ansatz mit sich bringt, gibt es jedoch noch eine weitere Variable: Es ist erneut der Verbraucher. Der kann dabei sowohl unterstützend als auch hindernd wirken, wie Dagmar Glatz aus eigener Erfahrung weiß: “In unseren Märkten gibt es jetzt graue Rezyklat-Flaschen. Und unsere Kundinnen und Kunden sind tatsächlich an der Stelle interessiert und gehen mit. Am Ende geht es aber um das Produkt an sich, und wenn ein Kunde das kauft, dann nicht vorrangig wegen der Verpackung.” Wie schon beim Beispiel Haferdrink zu sehen, ist die zielgerichtete und vor allem verständliche Kommunikation das A und O.

Gerade deshalb findet auch Glatz, dass die gesamte Ökobilanz und dementsprechend ein verständlich kommunizierter Cradle-to-Cradle-Ansatz so wichtig seien. Momentan griffen Kunden immer noch häufig automatisch nach der Papierverpackung. “Dabei können wir mittlerweile Toilettenpapier in sehr dünnen Folien einpacken. Mit 40 Prozent PCR-Anteil ist auch noch nach oben hin einiges möglich. Und das dem Kunden zu vermitteln, der jetzt ganz oft denkt, Papier sei die nachhaltigste Verpackungslösung. Aber Papier ist eben oft nicht das nachhaltigere Verpackungsmaterial, was Gesamtökobilanzstudien belegt haben. Diesen Mythen entgegenzuwirken, das ist wirklich eine Herausforderung”, so Glatz. Und weiter: “Und da wieder ein Stück aufzuklären. Das ist jetzt unsere Arbeit von uns allen gemeinsam.”

"Ressourcensparende Lösungen wie Trocken-Shampoos oder Refill-Beutel kommen dank zielgerichteter Kommunikation bei den dm-Kunden gut an."
Dagmar Glatz
dm-Produktmanagement Nachhaltigkeit und Verpackungen (Bild: dm Drogeriemarkt)

Tatsächlich hat dm 2018 gemeinsam mit einigen Partnern das Forum Rezyklat ins Leben gerufen, das nicht zuletzt die Vermittlung der Themen Kreislaufwirtschaft und Wertstofftrennung zur Aufgabe hat. “Damit haben wir auch unseren Industriepartnern mitgegeben, dass wir gerne solche Verpackungen mit einem 70-Prozent-Rezyklat-Anteil extra in unseren Filialen ausloben”, so Glatz. Dennoch sei die Kreislaufwirtschaft eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Rechtliche Grundlagen sind vorhanden

Kreislaufwirtschaft und Recycling liegen also nicht im Verantwortungsbereich einzelner Unternehmen, sondern der ganzen Branche. Tatsächlich gibt es bereits seit dem 1. Januar 2019 neue und strengere Vorschriften zur Förderung der Kreislaufwirtschaft. So stieg die Recyclingquote für Kunststoffverpackungen von vormals 36 Prozent auf zunächst 58,5 Prozent und bis 2022 auf 63 Prozent. Bei Metallen, Glas und Papier stieg die geforderte Recycling-Quote auf 90 Prozent.

Vor allem bei diesem Punkt wundert Schweig sich über manche Branchenvertreter: “Ich finde es erschreckend, wie viel Unternehmen überhaupt nicht realisieren, dass wir dieses Gesetz bereits haben. Ich werde immer wieder bei Workshops nach der Ãœbergangszeit und dem Inkrafttreten dieser Vorgaben gefragt, und meine Antwort ist jedes Mal: ‚Am 1. Januar 2019 ist dieses Gesetz in Kraft getreten‘ – auch wenn es aktuell keine Bestrafung gibt.”

Auch die Rechtslage spielt bei der Suche nach der richtigen Verpackung eine entscheidende Rolle. Das Start-up Organic Lab hatte da mit seinem Hafer-Drink gewissermaßen instinktiv den richtigen Riecher beziehungsweise die richtige Motivation. “Wir hatten gar nicht die Zeit, uns in alle Gesetzestexte einzulesen”, räumt Mangold ein. “Aber als junges Unternehmen wollten wir eben auch eine Verpackung auf den Markt bringen, die möglichst gut für die Umwelt ist.”

Und so zeigt sich, dass Nutzerfreundlichkeit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit eben nicht im Widerspruch zueinander stehen müssen.

Vorherige Ausgaben von packaging journal TV Talk Live

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