Im Anlagenbau aber auch in der gesamten Brau- und Getränkeproduktion soll nicht mehr und nicht weniger als die nächste Revolution folgen: Stichwort Industrie 4.0. Welche Chancen sich daraus für die weltweite Getränke- und Liquid-Food-Industrie ergeben, wird die drinktec 2017 vom 11. bis 15. September 2017 auf dem Münchner Messegelände im Detail aufzeigen.
“So lange sich Materie nicht durchs Internet transportieren lässt, so lange wird es Abfüll- und Verpackungsanlagen geben”: Das Zitat des ehemaligen Vorstands der Krones AG, Hans-Jürgen Thaus, trifft natürlich immer noch zu. Aber die Digitalisierung hat die gesamte Branche längst verändert.
Industrie 4.0, das wirft natürlich zuerst die Frage auf: Welche drei Revolutions- oder Evolutionsschritte gingen ihr voraus? Der erste war die Erfindung der Dampfmaschine und der damit mögliche Antrieb mechanischer Gewerke. Es folgte zweitens die Elektrotechnik, mit der die Massenproduktion weiter gesteigert werden konnte. Als drittes kam der Mikroprozessor, der die Steuerungs- und Prozessleittechnik digitalisierte …
Smart Factory: Intelligent vernetztes Wissenskristall
Der zentrale Unterschied von 4.0 zu dieser dritten Stufe ist die durchgängige Anwendung der Internettechnologien zur Kommunikation zwischen Menschen, Maschinen und Produkten. Aus der hierarchischen IT-Pyramide von der Feld- über die Steuerungs- und Bedienebene bis hin zur Betriebsleit- und Businessebene mit all ihren Schnittstellen entsteht so ein in alle Richtungen und über Grenzen hinweg intelligent miteinander vernetztes Wissenskristall. In einer solchen Smart Factory liefern die Maschinen und Anlagen eigenständig Informationen über alle wichtigen Prozess- und Systemzustände. Gleichzeitig kommunizieren sie untereinander und greifen korrigierend und optimierend in Produktionsabläufe ein. Oder einfacher ausgedrückt: Der Rohstoff weiß, was er einmal werden will. Die Maschinen wissen, was sie können und wann sie Kapazitäten frei haben und bieten ihre Dienste selbständig an. Alles natürlich in enger Abstimmung mit der Nachfrageseite, die aus historischen Daten, aktuellen Trends und gegebenenfalls sogar mithilfe von intelligenten Kühlschränken sowie externen Wettermodellen vorausgeplant wird.
Eine solch intelligente Fabrik beherrscht komplexe Abläufe perfekt, ist resistent gegen Ausfallzeiten und kann jederzeit flexibel auf Änderungen im Produktionsprozess reagieren. Durch die autarke Steuerung der Produktion entfallen Ausfalls- und Stillstandzeiten, die Maschinen sind immer optimal ausgelastet, der Energieaufwand wird reduziert. Da weniger Ausschuss entsteht, sinkt auch der Materialaufwand.
Einige Ideen sind bereits Realität
In der Getränke- und Liquid-Food-Industrie haben Bausteine der Industrie 4.0 längst Einzug gehalten. „Viele Geräte unterstützen dies durch Features wie Heartbeat-Technology, indem sie sich selber in ihren Funktionen überprüfen und aktiv auf kommenden Bedarf an Eingriffen hinweisen. Die Verfügbarkeit von so vielen Signalen ermöglicht außerdem eine bessere Verlinkung von Batch- und Prozessdaten mit der Qualitätssicherung“, so Holger Schmidt, Global Industry Manager Food & Beverage der Endress & Hauser Messtechnik GmbH & Co. KG. Auch Teleservice ist an der Tagesordnung. Die Anpassung eines Palettierroboters an eine neue Verpackung erfolgt in diesem Fall zum Beispiel durch eine externe Computersimulation. Das fertige Programm wird nachfolgend übers Wochenende via Internet aufgespielt und zum Produktionsstart am Montagmorgen sind (wenn überhaupt) nur noch kleinere Optimierungen notwendig.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt von Industrie 4.0 ist die individualisierte Produktion. Ziel ist das Bedienen aller relevanten Kundenwünsche zu niedrigen Kosten. „Noch wirkt es wie eine ferne Vision“, erklärt Richard Clemens „Aber gerade die Getränkeindustrie unterliegt schnell wechselnden Trends. Die kundenindividuelle Produktion könnte eine Antwort auf die immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen sein. Bis es soweit ist, sind jedoch noch viele Entwicklungsschritte und entsprechende Investitionen notwendig.“
Kostengünstig abfüllen
Einen wichtigen Beitrag dazu könnte das Forschungsprojekt „RoboFill 4.0“ leisten. Dabei sollen sich durch ein neuartiges, flexibles Automatisierungskonzept kundenindividuelle Getränkeflaschen und -gebinde kostengünstig abfüllen lassen, auch in Losgröße 1. Das derzeitige Projektkonsortium setzt sich zusammen aus dem Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie (TUM), Lehrstuhl für Lebensmittelverpackungstechnik (TUM), Fraunhofer IWU – Projektgruppe RMV, Bayerische Staatsbrauerei Weihenstephan, Beckhoff Automation GmbH & Co. KG, infoteam Software AG, Krones AG, ProLeiT AG, Siemens AG, Till GmbH, Yaskawa Europe GmbH und der Zimmer GmbH.
Konkret sollen sich bei RoboFill 4.0 die Maschinen und Prozesse zukünftig selbst planen und optimieren können. Die Synchronisation der Kundenwünsche und Produktionsaufträge sowie die zugehörige Produktionsplanung und -steuerung erfolgt dabei über ein virtuelles Abbild der Produktionsumgebung in der Cloud. Im Vergleich zu starr konfektionierten und gesteuerten Abfülllinien der Getränkeindustrie entstehen damit hochflexibel arbeitende und intelligent durch das Produkt gesteuerte Bearbeitungsstationen. RoboFill 4.0 soll auf diesem Wege vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber konkurrierenden Produzenten des internationalen Marktes liefern.