Herma – Pionier der Selbstklebetechnik

„Die ersten Etiketten verkaufte ich Anfang Februar an Daimler“, mit diesen schlichten Worten schilderte Unternehmensgründer und Namensgeber Heinrich Hermann später, wie alles im Jahr 1906 begann. Heute ist HERMA ein führender Spezialist für Selbstklebetechnik mit mehr als 1.000 Mitarbeitern.

Unternehmensgründer Heinrich Hermann (Bild: Herma)

Erst wenige Wochen vor dem „Daimler-Coup“ hatte sich Heinrich Hermann im Druckereigewerbe selbstständig gemacht: mit einer Schnellpresse, einer Schneidemaschine und einer Perforiermaschine, alles gebraucht für die durchaus stolze Summe von 6.200 Mark gekauft. Er war stets auf der Suche nach Verbesserungen, entwickelte immer wieder Produktneuheiten und tüftelte sogar an den dafür notwendigen Produktionsmaschinen, weil es sie so, wie er sie sich vorstellte, nicht zu kaufen gab. In vielen Fällen meldete er Musterschutz und Patente an.

Das Ergebnis dieser Herkunft

Fast genau 115 Jahre nach der Gründung kann Herma mit Haftmaterial, Etiketten und Etikettiermaschinen auf ein weltweit nahezu einzigartig umfassendes Know-how in der Selbstklebetechnik zurückgreifen. Am Hauptsitz in Filderstadt vereint man so unterschiedliche Disziplinen wie Papier- und Folienverarbeitung, Drucktechnik und Maschinenbau unter einem Dach. Gerade erst hat man dort über 100 Millionen Euro in die Hand genommen, um eine hochmoderne Fertigung für Etikettiermaschinen und ein weiteres Haftmaterialwerk zu errichten. Die beiden neuen Produktionsstätten gingen 2019 bzw. 2020 in Betrieb.

Blick auf einen Teil des HERMA-Hauptsitzes in Filderstadt (Bild: Herma)

Masterplan bis 2040

Beide Produktionsanlagen stehen auf dem Gelände, das Herma erst Mitte 2015 in unmittelbarer Nachbarschaft zu seinem Hauptsitz erworben hat. Die getätigten Investitionen sind nur die erste Stufe eines Masterplans für das über 80.000 Quadratmeter große Gelände, der bis ins Jahr 2040 reicht.„Mit der stufenweisen Realisierung dieses Masterplans haben wir erneut die Chance, das Unternehmenswachstum über mehrere Generationen hinweg an diesem Standort zu sichern“, so die Geschäftsführer Sven Schneller und Dr. Thomas Baumgärtner.

„Der Pioniergeist des Gründers Heinrich Hermann, sein Ideenreichtum und seine Beharrlichkeit haben sich tief in der DNA von HERMA verankert“, betonen die beiden Geschäftsführer Sven Schneller (rechts) und Dr. Thomas Baumgärtner (Bild: Herma)

Schon jetzt beschäftigt Herma weit über 1.000 Mitarbeiter, die 2019 zusammen einen Umsatz von 364,4 Mio. Euro erwirtschafteten. In England, Frankreich, den Niederlanden, Österreich und den USA hat HERMA eigene Tochtergesellschaften; die Exportquote liegt für das Gesamtunternehmen stabil bei 60 Prozent, in den beiden Geschäftsbereichen Haftmaterial und Etikettiermaschinen aber deutlich darüber: Weltweit genießt das Unternehmen einen exzellenten Ruf.

Die Beschichtungsanlagen für Haftmaterial gehören zu den modernsten ihrer Art weltweit (Bild: Herma)

Für die Produktion der Haftetiketten beginnt man in den 1950er-Jahren damit, als Ausgangsstoff benötigtes Haftmaterial selbst zu fertigen (Bild: Herma)

Siegeszug der Selbstklebetechnik

Kurioserweise hat ausgerechnet Heinrich Hermann diese Entwicklung nicht mehr erlebt. Als er 1939 im Alter von nur 69 Jahren starb, waren selbstklebende, also mit einem Haftkleber versehene Etiketten hierzulande noch unbekannt. Man benutzte immer noch gummierte Etiketten, die man umständlich anfeuchten musste. Doch unter der Führung der beiden Söhne des Unternehmensgründers, Werner und Heinrich Hermann jun., änderte sich das bald nach dem Krieg.

Sie bemerkten Anfang der 1950er-Jahre, wie in den USA der Siegeszug der „Supermarkets“ begann und vermuteten richtigerweise: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieser Trend auch Deutschland erreicht. Dafür werden Etiketten zur Preisauszeichnung benötigt, die sich schnell, also selbstklebend, aufbringen lassen und die auf möglichst vielen verschiedenen Oberflächen problemlos haften.

Selbstklebeetiketten werden zum Bestseller

Nur war die Idee gar nicht so einfach umzusetzen. Denn das Haftmaterial, der „Rohstoff“ dafür, war zunächst kaum in der Güte zu beschaffen, wie er benötigt wurde. Kurzerhand begann Herma selbst damit, Papierbahnen mit entsprechendem Haftkleber zu beschichten und zu selbstklebenden Etiketten zu verarbeiten.

Weil man in Deutschland der Pionier auf diesem Gebiet war, gestaltet sich der Anfang mühsam und beschwerlich. Ein wichtiger Schritt lag für Werner und Heinrich Hermann jun. darin, die Produktionsmaschinen selbst zu entwickeln. So hatte es der Unternehmensgründer ja seinerzeit ebenfalls vorgemacht. Der Einsatz und die Ausdauer zahlten sich aus.

HERMA beginnt früh damit, internationale Märkte zu erschließen. (Hier ein Blick in die Exportabteilung, wahrscheinlich in den frühen 1960er-Jahren, Bild: Herma)

Das sogenannte F-Gerät ist der Urahn der heutigen HERMA-Etikettierer. Er
wurde 1960 entwickelt (Bild: Herma)

Rasante Entwicklung

Eine Voraussetzung für ihren massenhaften Einsatz war jedoch, sie schnell, präzise und zuverlässig millionenfach auf Produkten aufbringen zu können. Was lag da näher, als das bislang gesammelte Produktwissen mit der eigenen Erfahrung im Maschinenbau zu kombinieren? Nach einigen manuell zu bedienenden Geräten entwickelte Herma 1959 den ersten elektrisch betriebenen Etikettenspender, ein Jahr später den „Urahn“ moderner Etikettierer. Das eigene Haftmaterial erwies sich unterdessen als so gut und so begehrt, dass man es nicht nur für die eigenen Etiketten einsetzte, sondern selbst an andere Etikettendrucker verkaufte.

Von 1950 bis 1976 verdreißigfachte sich der Umsatz des Unternehmens. Heute agieren die drei Geschäftsbereiche unabhängig voneinander im Markt. Das macht das Unternehmen als Ganzes einerseits flexibel, andererseits ausgesprochen krisenfest.

Der Mut, neue Wege zu gehen

Die wichtigste Grundlage für das kontinuierliche Unternehmenswachstum sind und bleiben jedoch innovatives Denken und Handeln. Beim Haftmaterial gehört Herma heute international zu den Innovationsführern. Hier kommt es vor allem darauf an, Papier- und Folienmaterialien, Haftkleber, Unterlagenmaterial und Silikon mit sehr hohen Geschwindigkeiten und äußerster Präzision zusammenzubringen. Mit dem Einstieg in das revolutionäre Curtain Coating, die Vorhangbeschichtung, und später als Pionier bei der Mehrschichttechnologie hat das Unternehmen Maßstäbe gesetzt.

Vor allem die Mehrschichttechnologie trug dazu bei, Etikettendruckern und -verwendern auf der ganzen Welt neue Möglichkeiten und Herma beste Wachstumschancen zu eröffnen. Denn aus Haftmaterial mit mehrschichtigen Klebersystemen gefertigte Etiketten können nun Eigenschaften kombinieren, die bislang, sofern überhaupt Lösungen vorhanden waren, teure Spezialhaftkleber erforderten. Dazu gehört zum Beispiel eine sehr gute Haftung auch unter extremen Bedingungen und dennoch die Möglichkeit eines späteren, unkomplizierten rückstandsfreien Abwaschens, das für viele Recyclingprozesse den entscheidenden Schritt bedeutet.

Wo es störungsfrei laufen soll, sind Etikettierer wie das Aushängeschild HERMA 500 -hier mit Vollausstattung- zunehmend die erste Wahl (Bild: Herma)

Effizienz und Wirtschaftlichkeit

Die Serienfertigung von Etikettierern und kompletten Etikettiermaschinen lässt sich mit einer hohen Variabilität in der Anwendung kombinieren. Es versetzt die Experten in die Lage, große Stückzahlen auf höchstem Qualitätsniveau zu fertigen und gleichzeitig auf die Bedarfe sehr unterschiedlicher Branchen einzugehen.

Ob Pharmazeutika, Lebensmittel oder Konsumgüter: Von der zuverlässigen Kennzeichnung auch großer Stückzahlen mit hoher Taktung hängen Effizienz und Wirtschaftlichkeit ganzer Fertigungslinien ab. Ein herausragendes Beispiel ist der Etikettierer Herma 500. Die Kombination aus hoher Leistung und umfassender Konnektivität, aus höchster Flexibilität und optimaler Bedienbarkeit macht ihn weltweit einzigartig.

Gebündeltes Spezialwissen

Obwohl die drei Geschäftsbereiche selbstständig agieren, profitiert Herma sehr von dem gebündelten Spezialwissen in der Selbstklebetechnik. Selten wurde das so greifbar wie beim InNo-Liner-System, für das Herma im vergangenen Jahr den Deutschen Verpackungspreis in der Kategorie Nachhaltigkeit erhielt. Es ist das wohl erste trägermaterialfreie Etikettierkonzept, das wirklich den Anforderungen von Versand- und Logistikzentren gerecht wird. Damit lassen sich bei Versandetiketten riesige Materialmengen einsparen.

Allein in den wichtigsten Versandnationen fallen derzeit etwa 100 Milliarden Versandetiketten pro Jahr an. Das bedeutete bislang Tausende Tonnen von Unterlagenpapier, die aufwendig entsorgt werden mussten. Das InNo-Liner System beendet dies. Was Anwender vor allem überzeugt, ist die Einfachheit des Systems, das aus einer kombinierten Aktivier- und Spendeeinheit sowie einem speziellen Haftmaterial besteht. Die Aktiviereinheit für den zunächst nicht klebrigen Haftkleber ist rein wasserbasiert. Das heißt: keine Lösemittel, keine Hitze und keine anderen Mittel mit diversen unerwünschten Nebenwirkungen. Und der Etikettenverwender ist praktisch frei in der Wahl des Etikettenpapiers: Er benötigt keine Silikonschicht und erlaubt damit große Freiheiten bei der Vorbedruckung.

Etiketten sind weiterhin ein wichtiges Standbein: Ob konventionell oder (wie hier im Bild) digital gedruckt kommt modernste Fertigungs- und Logistiktechnologie zum Einsatz (Bild: Herma)

Tragfähige Grundlage für den Unternehmenserfolg

Die Neuerfindung des Etiketts, dieser „Game Changer“ – der tatkräftige und zupackende Unternehmensgründer Heinrich Hermann hätte wohl seine helle Freude daran gehabt. 29 Gesellschafter hat Herma heute. Sie alle sind in vierter Generation Nachfahren von Heinrich Hermann. Aus dem Management hat sich die Familie allerdings schon 1982 komplett zurückgezogen. Statt dem Prinzip „Familie im Unternehmen“ gilt deshalb seit fast 40 Jahren bei Herma das Prinzip der starken Unternehmensfamilie, die sich in ihrer Grundhaltung einig ist, die große Nähe zum Unternehmen sucht, das Operative jedoch dem jeweils besten Fremdmanagement überlässt.

„Es geht auch den heutigen Familiengesellschaftern immer darum, eine dauerhaft tragfähige Grundlage für den Unternehmenserfolg zu schaffen. Das hat viel mit Nachhaltigkeit im weitesten Sinne zu tun“, erläutert Geschäftsführer Sven Schneller. „Und damit ist die Familie nach wie vor ein wichtiger Anker in turbulenten Zeiten.“

 

Dieser Artikel ist im packaging jourrnal 8/2020 erschienen